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Genossin Schneider zu einer Agitationstour mit Hindernissen. In Schwelm   wurde die Versammlung von vornherein verboten unter Anrufung des den Kapitalisten hochpreislichen§ 8 des preußischen Vereinsgesetzes, außerdem weil die Anzeige lautete: Deffentliche Ver­sammlung der Arbeiter und Arbeiterinnen". Einem simplen Menschen­verstand ist es zwar unerfindlich, inwiefern die so formulirte Ver­sammlungsanzeige den guten Vater Staat kränken und mit Gefahr bedrohen könne. Aber die hehre Aufgabe der Polizei ist es ja, in Sachen der Staatsgefahr das Gras wachsen zu sehen, unschuldsvoller Weisheit froh" zu ahnen, finden und strafen, was an verwerflicher Umstürzlerei, kein Verstand der Verständigen" in einer Versammlungs­anzeige zu entdecken vermag. In Hagen   sollten zwei Versammlungen stattfinden. Die eine davon wurde verunmöglicht, weil der Wirth in letzter Stunde das zugesagte Lokal verweigerte. Maßgebender Ein­fluß soll ihm vor der Versammlung gruselig gemacht haben. Die zweite Versammlung war sehr gut von Frauen besucht, wurde aber aufgelöst, noch ehe daß sie eröffnet worden. Der überwachende Beamte forderte den Einberufer auf, alle im Saal befindliche Frauen ohne Ausnahme, die Referentin inbegriffen, zu entfernen. Als sich darauf­hin Genossin Schneider zum Wort meldete, um das Ungesetzliche dieser Forderung nachzuweisen, erfolgte die Auflösung der Versammlung. In Iserlohn   spielte sich ungefähr der gleiche Vorgang ab. Nach erfolgter Bureauwahl wurde der Vorsitzende vom Ueberwachenden aufgefordert, alle anwesenden Frauen aus der Versammlung zu weisen. Da diese ohne die Referentin nicht stattfinden konnte, mußte der Vor­sthende sie für geschlossen erklären. Offenbar fürchtete die Polizei, die Versammlung solle nun in einem anderen Lokale abgehalten werden. Sie folgte nämlich der Genossin Schneider und einer Gruppe von Arbeitern und Arbeiterinnen, die mit ihr gingen, bis in den Sigungssaal des Verbandes der Schneider und Schneiderinnen, ob­gleich daselbst schon ein überwachender Beamter anwesend war. Als Genossin Schneider in die Diskussion der stattfindenden Vereins­fizung eingriff, wurde dies freventliche Beginnen behördlicherseits gerügt und die Vereinssizung als eine Fortsetzung der geschlossenen öffentlichen Versammlung erklärt. Selbstredend wurde diese Auffassung gebührend zurückgewiesen. Mit dem Schluß der Vereinssihung war die gesellschaftsretterische Mission der hohen Löblichen noch nicht be­endet. Die Polizeibeamten forderten allerdings erfolglos- die Räumung des Lokals, in welchem Genossen und Genossinnen noch etwas bei einander blieben. Und um das saure und ehrenvolle Tag­werk würdig abzuschließen, fanden sie sich noch im Hotel ein, wo Genossin Schneider abgestiegen war. Da ihr Auftauchen hier eine unzweideutige Demonstration der Gäste zur Folge hatte, forderten daß weibliche und männliche Philisterseelen die glänzende Erschei nung mit dem Schmutze der Verleumdung zu besudeln suchten. Mußte es nicht das Zetergeschrei der Mittelmäßigkeit und Niedrigkeit heraus­fordern, wenn sie in der Einleitung zu einer Prosaschrift sagte:

,, Da ich einen Theil meiner Jugend mit Musikübungen hinge­bracht habe, und der Rest der Zeit meines mangelnden Verstandes wegen mir zu kurz gewesen ist, um meinen guten Willen für die Hebung meines Geschlechts dadurch Ausdruck zu geben, daß ich es nicht nur an Schönheit, sondern auch an Wissen und Tüchtigkeit über oder gleich den Männern dastehen lassen möchte, so kann ich weiter nichts thun, als die tugendhaften Frauen bitten, ihren Geist doch ein weniges über ihren Spinnrocken zu erheben und der Welt zu zeigen, daß, so wir auch nicht zum Befehlen geschaffen sind, wir doch als Ge­fährtinnen in persönlichen wie öffentlichen Angelegenheiten von denen nicht zu verachten sind, die zu befehlen haben."

Von glühender Leidenschaft durchlodert sind die Liebeslieder der Louise Labé  ; man halte nur im Auge, daß Italiens   Künste, italienischer Geschmack lange vor Katharina von Medici   ihren Einzug in Frank­ reich   gehalten hatten, wie ja auch König Franz I. eine ganze Kolonie von italienischen Künstlern und Gelehrten an den Hof zog. Boccaccios sehr sinnliche Novellen waren in Aller Händen, und Marguerite, Königin von Navarra  , schrieb ihre leicht geschürzten Erzählungen, die auch nicht für Klosterfräulein passen dürften.

Aber Louisens Gedichte sind nicht üppig oder lüstern, zudem durfte sie, unserem Uhland vorgreifend, sagen:

Was ich in Liedern manches Mal berichte Von Küssen in vertrauter Abendstunde, Von der Umarmung wonnevollem Bunde,

Ach, Traum ist leider alles und Gedichte.

Frauen von geschichtskundiger Tugend und Sittenſtrenge fanden kein Unrecht an dem Lebenswandel unserer Dichterin, die vorzüg­lichsten waren ihre innigen Freundinnen. Sie verdiente diese Aus­zeichnung, da sie mit Recht in einem ihrer Gedichte von sich rühmt: " Niemals war mein Auge betrübt, bei meinem Nachbar mehr regnen

die Beamten den Wirth auf, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und die nicht in Demuth vor dem Auge des Gesetzes" er­sterbenden Gäste, meist Geschäftsreisende, an die Luft zu setzen. Dieses vom schönsten Selbstgefühl zeugende Verlangen wurde seitens der Gäste beantwortet mit der gleichen Aufforderung die Beamten be­treffend. Leider hat es die Polizei in unglaublicher Vertrauens seligkeit bis jetzt verabsäumt, die spiritistische vierte Dimension behufs genauerer Ueberwachung staatsgefährlicher Persönlichkeiten sich dienst­bar zu machen. Da mithin den pflichteifrigen Iserlohner Beamten die Möglichkeit fehlte, die umstürzlerischen Träume der umstürzlerischen Frau Schneider gewissenhaft kontrolliren zu können, hatte ihre Amts­thätigkeit ein Ende, als sich besagte Umstürzlerin zur Ruhe begab.- Natürlich zeitigt auch in Westfalen   das geschickte und berechtigte Ein­greifen der Polizei in das Versammlungsrecht der Arbeiter und Arbeiterinnen recht schöne Erfolge für die Aufklärung des arbei­tenden Volks über das Wesen des Staats. Von welch großem agita­torischem Werth ihr Wirken ist, das erhellte recht deutlich aus den Aeußerungen, die seitens von Frauen in Hagen  , Iserlohn   und Schwelm   fielen. Auch in dieser Hinsicht gilt das Wort: Es leben unsere Freunde, die Feinde!" Die von der Polizei nicht vereitelten Versammlungen, welche Genossin Schneider auf ihrer Agitationstour abhielt, waren ausnahmslos sehr gut besucht, zum Theil sogar über­füllt. In Hameln   z. B. vermochte das Lokal die Zahl der Ver­sammlungsbesucher nicht zu fassen, viele von ihnen mußten umkehren. Erfreulich war es besonders, daß allerorten zahlreiche Frauen und Mädchen den Versammlungen beiwohnten. Der Erfolg der Agitation ist ein derartiger, daß im Oktober im Bezirk Wieseck   und in der Frankfurter   Gegend eine zweite Reihe von Versammlungen statt­finden soll. Die stattgehabten Versammlungen haben viele Hunderte von Arbeiterinnen zum Nachdenken über ihre Lage angeregt. Wenn die Agitation nicht erlahmt, wenn mit zäher Ausdauer und in plan­mäßiger Weise weiter für die gewerkschaftliche Organisation der aus­gebeuteten Frauen und Mädchen gearbeitet wird, so reifen mit der Zeit sicher, wenn auch langsam, die gewünschten Früchte. A. Sch.

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Von der Thätigkeit der weiblichen Fabrik­inspektoren in England.

Der Vertreter des preußischen Handelsministeriums, der vor mehreren Monaten die tiefgefühlten Bedenken einer unverfälscht kapi­talistisch empfindenden Seele gegen die Anstellung weiblicher Fabrik­inspektoren zum Besten gab, erklärte bekanntlich u. A. auch, er wisse nicht, wie sich die weiblichen Aufsichtsbeamten in England bewährt zu sehen als bei mir;* nie habe ich Zank und Streit zwischen Freunden gefäet; nie habe ich des Gewinnes halber mich gebückt. Lügen, Andere täuschen und mißbrauchen war mir ebenso zuwider wie von ihnen übelreden."

Wohl sind ihre Dichtungen im Geschmack der Zeit ausgeputzt mit gelehrtem Schmuckwerk der altgriechischen und altrömischen Götter­und Heroenwelt, auch die Form und Sprache Louisens weisen Mängel auf, aber es sind die allgemeinen aller damaligen Dichter: an Innig keit und Wahrheit der geschilderten Gefühle übertrifft sie kein Bruder und keine Schwester in Apoll  .

So recht im Geschmack der italienisch- renaissancemäßigen Poesie ist auch das Gesprächsstück in Prosa, das wir von unserer Dichterin besitzen: Diskurs zwischen Amor und Thorheit. Amor führt Prozeß­flage vor den Göttern des heidnischen Himmels, weil Thorheit ihn geblendet hat, Apollo vertritt die Anklage, Merkur   die Vertheidigung. Nachdem Merkur   fast alle Kulturthaten der Menschen auf eitel Thor­heit zurückgeführt hat, spalten sich die Meinungen des hohen Gerichts: hofes, und Jupiter, der Vater der Götter und Menschen, der Himmels­könig, schließt wie der Richter in des weisen Nathans Erzählung von den drei Ringen: er vertagt die Verhandlungen auf dreimal siebenmal neun Jahrhunderte, bis dahin sollen Liebe und Thorheit sich vertragen und letztere erstere stets führen, und zwar überallhin, wohin ihr beliebe.

Wer berufsmäßig die weiten Gefilde der französischen   Literatur durchwandert, wird die Lyrik, die Liederdichtung des 16. Jahrhunderts wohl oft genug mit einer weiten, öden Steppe vergleichen. Aber wie eine grüne, wasser- und pflanzenreiche Oase muthet ihr die Poesie unserer Louise Labé   an, sie entschädigt für manche lange Strecken, die von ge­drechselten Reimereien und langweiligen Redekünfteleien gebildet wer­den. Hier aber rinnt frisches Quellwasser lebendiger, wahrer Poesie!- Wann Louise Labé   starb ist unbekannt, eine vorhandene Auf­zeichnung ihres letzten Willens datirt vom 28. April 1565.

* Goethe: Auf was für Wegen ich auch geloffen: Auf Neidpfad habt ihr mich nimmer betroffen.