Nr. 21 der„ Gleichheit" gelangt am 16. Oktober 1895 zur Ausgabe.
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Aus Reisgefilden voll vom giff'gen Hauch,
Aus Feldern und aus unfruchtbaren Fluren,
Aus dumpfen Festungsmauern auch,
Wo sich im Namen Gottes opfern hin
So viele Kreaturen,
,, Dringt zu mir her ein Weinen trauervoll,
Das stets mir folgt, wohin ich auch mag fliehen; So endlos und so schauervoll,
Wie eine Fledermaus im Dunkeln flattert, Wie Wolken uns der Sonne Licht entziehen.
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Es flieht das Licht, das neu erweckt vom Schlummer, Der flücht'ge Rausch, der heitre Sinn;
Es flieht die Liebe und der Küsse Wonne, Und mir bleibt nur der Kummer.
,, Doch ist's ein Schmerz, der sich nicht beugt noch weicht, Der selbst den Göttern wagt zu widerstreben.
Die hohe Kraft ist's, unerreicht,
Die den gefesselten Prometheus einst
Auf starrem Fels vermochte zu beleben.
,, und düster klingend fort mein Sang sich schwingt, Hoch über bleicher Menschheit eittem Hoffen,
Wie riesenhaft herniedersinkt
Auf Schneegefilde, die im Frost erstarrt,
Ein Aar, zu Tod getroffen."
Aus der Gedichtsammlung„ Schicksal"( Fatalità), deutsch von Hedwig Jahn. Berlin , Verlag von Aleg. Dunder.
Kleine Nachrichten.
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Vom Elend der Strohhutnäherinnen. Die Strohhutnäherinnen in der Umgegend von Dresden arbeiten im Akkord und werden so schlecht bezahlt, daß ein Wochenverdienst von 5 und 6 Mt. teine Seltenheit ist. Da außerdem die Saison sehr furz ist, so sind die Arbeiterinnen zu der größten Anstrengung ihrer Kräfte gezwungen, wenn sie etwas mehr als das Salz zum Brot verdienen wollen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen füllen sie meist durch Nebenarbeiten aus, und Abends nehmen sie Arbeit mit nach Hause, so daß sie in Wirklichkeit statt der vorschriftsmäßigen 11 Stunden im Tag 15 Stunden und noch mehr arbeiten. Wie stets in solchen Fällen kommt die übermäßige Anspannung der Kräfte nicht den Arbeiterinnen zu Gute, sondern den Herren Fabrikanten. Haben die Ersteren Dank des Nachtschuftens einen etwas höheren Verdienst erzielt, so setzen Letztere beim Beginn der nächsten Saison die Affordlöhne herunter, die Arbeiterinnen strengen in der Folge ihre Kräfte noch mehr an, um den Ausfall wett zu machen, und so funktionirt die Schraube der Ausbeutung ohne Ende weiter. Die Unternehmer verstehen es, wie auf Kosten Dritter gespart" werden muß.
Ein Fortschritt, das Frauenstudium betreffend. Die philosophische Fakultät der Universität Greifswald hat beschlossen, Lehrerinnen, welche die Oberlehrerinnenprüfung machen wollen, zu den Prüfungen zuzulassen. Bravo!
Eine wirksame Arbeiterinnenschutzgesetzgebung verlangen schweizerische Arbeiterinnenorganisationen. Der Arbeiterinnenverein und der Tagelöhnerinnenverein der Stadt Bern haben eine Kommission gewählt, welche die Lage der Arbeiterinnen ver schiedener Berufe zu untersuchen und Material für eine Petition an die Regierung zu sammeln hat, in der eine wirksame Arbeiterinnenschutzgesetzgebung gefordert werden soll.
Die englischen Fabrikinspektorinnen, Miß Abraham, Miß Patterson, Miß Deane und Miß Anderson, haben in den letzten zwei Monaten 64 Uebertretungen der Arbeiterschutzgesetze zur Anzeige gebracht. In 29 Fällen haben Schneider ihre Arbeiterinnen über die gesetzliche Arbeitszeit hinaus schaffen lassen und zwar besonders am Sonnabend bis in die tiefe Nacht hinein. Als Entschuldigung gaben sie an, daß ihre vornehmen Kundinnen für den Kirchgang am Sonntagmorgen neue Toiletten zu haben wünschten. Die Gesundheit von Hunderten armer Mädchen wiegt in der kapitalistischen Gesellschaft nicht so schwer, wie die mit höchst weltlicher Eitelkeit gepaarte Frömmigfeit einiger vornehmer Damen.
Eine Kommission zur Untersuchung der Handelsschulen hat die englische Regierung ernannt. In Anbetracht der zahlreichen
weiblichen Zöglinge dieser Institute gehören der Kommission zwei Damen an: Miß Emma Croß und Miß Margaret Eve. Wann werden sich deutsche Regierungen zu ähnlichen vorurtheilslosen und gerechten Maßregeln entschließen?
Eine Statistik der weiblichen Arbeiter in England und Wales hat im Auftrage des Arbeitsamts Miß Collet veröffentlicht. Nach dieser Statistik hat sich der Prozentsatz, den die Arbeiterinnen zur Gesammtarbeiterschaft stellen, von 1881-1891 nicht verändert. Die Zahl der beschäftigten verheiratheten und älteren Arbeiterinnen nahm ab, dafür stieg die Zahl der verwendeten Arbeiterinnen unter 25 Jahren, jedoch nur im gleichen Verhältniß wie die entsprechende Kategorie männlicher Arbeiter. Dies gilt vor allem für die Arbeiter schaft der Textilindustrie. Die Schuhfabriken wiesen eine stärkere Zunahme weiblicher Arbeiter auf, die sich durch die Mehreinstellung jugendlicher Arbeitskräfte überhaupt erklärt. Im Schneidergewerbe war das Gleiche der Fall und zwar, wie Miß Collet meint, in Folge des Uebergangs von der Hausindustrie zur Fabrikarbeit. Alles in Allem war in den zehn Jahren die Zunahme der Frauenarbeit keine bedeutende. In keiner Branche nahmen die männlichen Arbeiter um mehr als ein Prozent der beschäftigten weiblichen ab. Eine Reihe von Tabellen für einzelne Gewerbe und einzelne Orte scheiden die Arbeiterinnen nach ihrem Alter( in Arbeiterinnen unter und über 18 Jahre) und ihrem Familienstand( ledig oder verheirathet). Die Tabellen zeigen, daß die diesbezüglichen Verhältnisse in den verschie denen Gewerben und Orten sehr verschiedene sind, so daß man aus ihnen allein kaum zu allgemeinen Schlußfolgerungen gelangen dürfte. Die noch nicht 18jährigen Mädchen werden meist auf Halbzeit be schäftigt. So in den Wollfabriken, wo ihre Zahl klein ist, und wo meist ältere Arbeiterinnen beschäftigt werden( 85 Prozent der Arbeite rinnen stehen im Alter von über 18 Jahren), von denen aber nur ein verhältnißmäßig geringer Prozentsatz verheirathet oder verwitwet ist. Der Durchschnittslohn der Arbeiterinnen der Wollfabriken betrug 13 Schilling 2 Pence( 13 Mt. 16 Pf.) die Woche. Die Halbzeit arbeiterinnen verdienten pro Woche 2 Schilling 6 Pence bis 3 Schil ling 8 Pence( 2 Mt. 48 Pf. bis 3 Mt. 64 Pf.). Die Baumwollfabriken weisen einen höheren Prozentsaz verheiratheter Arbeiterinnen auf und zahlen die höchsten Löhne, die im Wochendurchschnitt 14 Schil ling 5 Pence( 14 Mt. 40 Pf.) betragen. In den Garnspinnereien werden die wenigsten verheiratheten Arbeiterinnen beschäftigt und, abgesehen von den Wollfabriken in Westengland, die niedrigsten Löhne gezahlt. Dieselben stellen sich für die Ganzzeitarbeiterinnen auf wöchentlich 11 Schilling 5 Pence( 11 Mt. 40 Pf.), für Halbzeit arbeiterinnen, die bis zu 28 Prozent( in Halifax ) der weiblichen Ar beiterschaft ausmachen, 2 Schilling 10 Pence bis 3 Schilling 4 Pence ( 2 Mt. 80 Pf. bis 3 Mt. 32 Pf.). Die mangelhafte Statistik deut scher Arbeiterinnenverhältnisse macht leider einen Vergleich mit den obigen Angaben unmöglich.
Gleichen Lohn bezw. Gehalt für Frau und Mann fordert in einer Resolution die Handelsgenossenschaft von Neusee land, einem der Länder, wo die Frauen politische Rechte besitzen. Die Handelsgenossenschaft hat damit eine sehr alte und bekannte Forderung der Sozialdemokratie zu der ihren gemacht.
Berichtigung. In der unter der Spizmarke Hungerlöhne Nr. 19 veröffentlichten Notiz ist auf Grund einer Mittheilung des Herrn Seifert in Leipzig und genauer Untersuchung des Thatbestands Folgendes richtig zu stellen:
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Der Wohnungsschein der Arbeiterin wurde nicht behufs Aus zahlung des Lohnes gefordert, sondern schon vorher, ehe die Betreffende überhaupt Arbeit mitbekam, und dies zu dem Zwecke, die Firma gegen eventuelle Betrügereien sicher zu stellen. Die Arbeiterin ist am Sonn abend gar nicht in das Geschäft gekommen, sondern erst am Montag Sie hat nicht von 3-7 Uhr resultatlos auf Arbeit gewartet, sondern sie ist erst gegen Abend in das Geschäft gekommen, wo ihr sofort gesagt wurde:„ Es ist noch nichts für Sie eingerichtet, kommen Sie morgen wieder." Als sie am nächsten Tage vorsprach, lag die Arbeit für sie schon bereit.
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Dagegen ist es durchaus richtig, daß der Arbeiterin für das Nähen von 3 Blousen 75 Pf. gezahlt wurden. Die Wochenlöhne dem Seifertschen Geschäft stellen sich für ausgelernte Arbeite rinnen auf ca. 5-11 Mt. Ein Kapitalist mag diese Löhne als Schlemmerlöhne einschätzen. Wir unsererseits rechnen sie nach wie vor zu den Hungerlöhnen.
Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zettin( Eißner) in Stuttgart. - Druck und Verlag von J. H. W. Dieg in Stuttgart .
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