173 im Durchschnittsjahr Ehescheidungen 1860-64.......... 16 186667.......... 18 186869.......... 19 137071.......... W 187273.......... 23 1874.......... 32 Die gleiche Erscheinung läßt sich für andere Staate» nachweisen. Die Zahl der Ehescheidungen mehrt sich, und das beweist sicher nicht ein gedeihliches Familienleben. Fragt man nun: wo ist die Familie am meisten zerrüttet? so lautet die Antwort: in jenen Gesellschaftsschichten, die sich in der kapitalistischen Weltordnung des meisten wirthschaftlichen Wohllebens erfreuen. Nach einer für Sachsen aufgestellten Statistik kamen auf 100 000 Ehen_ . ,,, Scheidungsklagen 1. Bei den Dienstboten........... 239 2. Taglöhnern........... 324 3. Beamten............ 337 4. selbständigen Gewerb- und Handeltreibenden 354 5. den Künsten und Wissenschaften Obliegenden 485 Die größere Häufigkeit von Ehescheidungen in den oberen Gesell­schaftsschichten ist zweifellos zum Theil dadurch bedingt, daß dort die gegenseitigen Anforderungen von Mann und Frau höhere sind. So kommen z. B. bei den Künstlern am meisten Klagen auf Ehe­scheidungen wegen körperlicher Mißhandlung vor. Das beweist aber keineswegs, daß in den betreffenden Kreisen die körperlichen Mißhand­lungen häufiger sind als in den anderen Gesellschaftsschichten. Eine Künstlerfrau, die von ihrem Mann geprügelt wird, klagt eben eher auf Scheidung als eine Arbeiterfrau, die sich oft Prügel und noch manches Andere gefallen lassen muß. Andererseits aber kommen in Künstlerkreisen die wenigsten Klagen wegen Treubruchs vor. Ob dieser Umstand einer größeren ehelichen Treue entspricht, ist jedoch zu be­zweifeln. Man sieht, es liegt ein gut Stück Pharisäerthum darin, wenn die sogenanntegute Gesellschaft" über die sittliche Verdorbenheit der Arbeiterklasse sich entrüstet. Sie treibt es von ihrem eigenen Gesichts­punkte der Heiligkeit der Familie aus jedenfalls nicht besser, eher schlimmer als diese. Am meisten klagen die Frauen auf Ehescheidung. Schon das zeigt, daß die Frauen der meist leidende Theil in der Familie sind. Es wird hauptsächlich auf Ehescheidung geklagt: wegen körper­licher Mißhandlung, wegen Ehebruch, wegen böswilliger Verlassung. Die Häufigkeit der Klagen wegen des einen oder anderen angegebenen Grundes entspricht nicht immer der obigen Reihenfolge, doch ent­fallen auf die drei angeführten Ursachen zusammen, je nach den ver­schiedenen Ländern, von drei Viertel bis neun Zehntel der Gesammt- zahl der Ehescheidungen. Nur in puncto des Treubruchs als Ehe­scheidungsgrund halten Frauen und Männer einander so ziemlich die Waage. Bei den Frauen spielt dagegen als Entscheidungsgrund selbst­verständlich die weitaus größte Rolle körperliche Mißhandlung, bei den Männernböswillige Verlassung", was man gemeiniglich Durch­brennen nennt. Wenn die Fraudurchgeht", so ist das offenbar nur ein Nothbehelf für die Ehescheidung und beweist in der größten Zahl der Fälle, daß der Frau das Leben mit dem Manne unerträglich geworden ist. Zieht man das in Betracht, so kann man mit Sicher­heit sagen, daß acht Zehntel der Ehescheidungen nichts sind, als eine Rebellion der Frau gegen ihre eheliche Unterdrückung durch den Mann. Dieses Resultat ist noch deshalb sehr bemerkenswerth, weil eine geschiedene Frau viel weniger Aussichten hat, sich wieder zu verhei- rathen, als ein geschiedener Mann. In Sachsen z. B. wiesen eine Zeit lang die geschiedenen Männer den doppelten Prozentsatz von Wiederverheiratheten auf, als die geschiedenen Frauen. Doch die Scheidungen sind nur ein sinnenfälliges Symptom für die heutige Zerrüttung des Familienlebens, sie zeigen aber bei weitem nicht den vollen Umfang an, in welchem dieses zerfallen ist. Wie ungezählten Frauen und Männern ist nicht die Familie zur Hölle geworden, sie aber tragen ihr Kreuz aus Rücksichten auf die Kinder, auf Verwandte, tragen es wegen der ökonomischen Unmöglichkeit, sich zu scheiden, und aus tausend anderen Gründen. Thatsachen die Fülle beweisen, welch schönes Idyll die bürgerliche Familie ist, die von Dichtern besungen wird und die durch eine Umsturzvorlagegeschützt" werden sollte. Eine mit der Zersetzung der bürgerlichen Familie zusammen­hängende Erscheinung ist die uneheliche Zeugung. Mit diesem Thema werden wir uns in einem besonderen Artikel beschäftigen. Vvn der Tlzätigkeit einer Amerikanischen Fabrik- insxektvrin. In keinem der deutschen Vaterländer, mit denen der Deutsche gesegnet ist, hat man sich bisher zur Anstellung weiblicher Gewerbe­aufsichtsbeamten entschließen können. Und handelte es sich darum, die diesbezügliche Forderung abzuweisen, so wurde u. A. meist in der Rolle der sozialpolitischen Unschuld vom Lande erklärt, man wisse Wirr und naß hängen die gelösten Flechten um ihr blasses Gesicht und die runden, nackten Arme. Aus dem zerrissenen Hemde quillt der Busen hervor, weiß wie Marmor in der Starre des Todes. Die nassen Kleider klatschen um ihren Leib. Um sie herum stehen die Dorfbewohner, die Alten flüsternd, die Jungen neugierig scheu. Theilnahmslos spielen Kinder dazwischen. Was sie wohl in den Tod getrieben hat?" Etwa ein Liebesverhältniß?" Natürlich ein Liebesverhältniß!" Böse Blicke fliegen zum Schloß hinauf, hier und da erhebt sich ein zorniges Murmeln. Mörder!" Aber sie sagen es nicht laut. Er ist ja ihr Brotgeber ihr Herr. Auf einmal durchläuft ein Flüstern die Reihen: Ihre Atutter!" Eine Gasse öffnet sich der zerlumpten Alten. Was sie wohl sagen wird?" Sie sagt gar nichts. Sie steht bei der Tobten und stampft mit dem Krückstock den Boden und faselt und lacht. Sie ist ja schon lange kindisch, die Alte. Auch der Herr Pfarrer wirft von fern einen Blick herein, kopschüttelnd salbungsvoll: Wie man so gottlos sterben kann!" -j- q- 4- Drei Tage und drei Nächte lang liegt sie unter freiem Himmel >m Garten des Schulzenhofes. In der Kapelle ist kein Platz für die Selbstmörderin. Dann kommt der Sarg, der Armensarg. Roh gezimmert ist er und schwarz und schmucklos und diel zu klein.... Aber am Ende pfercht man sie doch hinein. Ihr üppiges Blondhaar quillt aus den Fugen hervor, aus einer Spalte hängt ihr blaues Schürzenband. Laßt es hängen! Nur nicht Zeit verschwenden an die Armenleiche. Eine mitleidige Seele ist zum Herrn Pastor gelaufen, ob er nicht kommen wolle, an ihrem Sarge ein Vaterunser zu beten. Aber der Herr Pastor hat keine Zeit. Er muß zum Diner, der Herr Pastor, beim Gutsherrn. Und dann ist es ja auch eine Selbstmörderin.... Sonntag Nachmittag. Auf den Straßen Lachen und Leben, Kleinbürgervolk aus dem nächsten Städtchen, dazwischen elegante Equipagen. Die Gutsbesitzer der Nachbarschaft fahren auf das Schloß zum Diner... Da kommt es die Straße herab vom Schulzenhof her, ein Leichenzug. Es hat sie Niemand zu Grabe tragen wollen die Selbst­mörderin. Aber der Schulze ist ein barmherziger Mann; den Hundewagen hat er hergegeben, auf den Hundewagen haben sie den Sarg gestellt. Zwei barfüßige Jungen schieben lachend von hinten mit, das Schürzenband schleift im Staube. Die lachenden Spaziergänger weichen auseinander. Die ge­putzten Damen in den eleganten Equipagen kreischen auf. Empörend!" Entsetzlich!" Wie? Was? Eine Selbstmörderin?" Konnte man sie denn nicht in der Nacht begraben!" Ich habe mir das ganze Essen verekelt!" Pank äs brnit, gnädigste Frau, ein Glas Burgunder, und der Braten schmeckt" Der Zug stürmt den Kirchhof hinan.