Nr. 23 der ,, Gleichheit" gelangt am 13. November 1895 zur Ausgabe.

Ein Frauentag des Allgemeinen deutschen Frauen- Bil­dungsvereins fand Anfang Oktober in Frankfurt   a. M. statt. Wir werden auf die Verhandlungen dieser Gruppe des deutschen   bürger­lichen Frauenvereins noch zurückkommen.

Ausbeutung der Falzerinnen in Berlin  . In nicht wenigen Berliner Buchbindereien erzielen die Falzerinnen nur durchschnittliche Wochenlöhne von 9-10 Mt. Ihre Erwerbsverhältnisse werden im höchsten Grade ungünstig dadurch beeinflußt, daß die Unternehmer in großem Umfange die Arbeit sogenannter Lehrmädchen" ausbeuten. Diese werden wöchentlich gewöhnlich mit 3 Mt. entlohnt, nach 3-4 wöchentlicher Thätigkeit in einem Betriebe entlassen und durch neue Lehrmädchen" ersetzt, die ihrerseits die gleiche Ausbeutung er­fahren, bis sie als ausgelernte"," firme" Falzerinnen aufs Pflaster geworfen werden. Das Unternehmerthum findet jederzeit und überall Mittel und Wege, durch Ausnutzung billigster Arbeitskräfte seine Profite zu mehren.

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Etwas von den Schlemmerlöhnen der Arbeiterinnen. In der Chemnitzer   Gegend ist der Verdienst der Textilarbeiterinnen ein sehr niedriger. Durchschnittliche Wochenlöhne von 10-12 Mark gelten schon als recht gute, solche von 7-9 Mark kommen häufig vor, und gar manche Arbeiterin muß sich mit einer wöchentlichen Einnahme von 5 Mark begnügen. Dafern die Textilarbeiterinnen durch ihren Erwerb nicht blos einen Zuschuß zu dem Einkommen der Familie zu liefern haben, sind ihre Lebensverhältnisse äußerst dürftige. Die sehr zahlreichen ledigen Arbeiterinnen der Textilindustrie, welche ausschließlich auf die eigene Kraft für ihren Lebensunterhalt an­gewiesen sind, nähren sich in der Regel tagaus tagein von Zichorien­brühe, Kartoffeln, Brot, Quark und Häringen. Der Genuß von Fleisch ist ein Luxus, den sie sich nur ausnahmsweise gestatten können. Der­weilen fasteien sich ihre Ausbeuter bei saftigen Beefsteaks und zartem Geflügel, bei altem Wein und im Theater. Und vergnüglich schmun­zelnd streichen sie die Entbehrungslöhne" ein, welche die herrliche tapitalistische Ordnung für sie münzt aus dem Darben und Frohnden der ausgebeuteten Arbeiterkräfte.

Die Errichtung genossenschaftlicher Kornhäuser, in denen das heimische Getreide gelagert und bearbeitet werden, auch zur Unter­lage für Lombardkredite dienen kann, soll nach offiziösen Mitthei­lungen in Preußen durch finanzielle Unterstüßung des Staates rasch ins Leben gerufen, fräftig entwickelt und energisch gefördert werden. Das für den rationellen Betrieb erforderliche Kapital soll, soweit es die Genossenschaften nicht aus Eigenem be­schaffen, letzteren aus Staatsmitteln zugänglich gemacht werden, wobei man freilich für jetzt eine geschenkartige Zuwendung" noch möglicher­weise für entbehrlich hält. Es dürfte erwartet werden, daß schon für das nächste Etatsjahr die Bereitstellung der Mittel zu dem be­zeichneten Zwecke in Aussicht genommen werden dürfte.

Weibliche Studenten an der Universität Genf  . An der Genfer   Universität hat die Zahl der studirenden Damen erheblich zu­genommen. 1887 machten die Studentinnen 9 Prozent der gesammten Studentenschaft aus, 1889 schon 15 Proz. und 1895 dagegen 25 Proz. Die meisten der immatrikulirten Damen sind Russinnen und Polinnen, welche fast ausschließlich Medizin und Naturwissenschaften studiren. Auch die Armenierinnen stellen eine nicht unbeträchtliche Zahl zu den weiblichen Studenten. Die Russinnen arbeiten in der Regel sehr fleißig, verkehren wenig gesellschaftlich mit anderen Nationalitäten und leben vielfach in kleinen Gruppen gemeinschaftlich. Die Dürftig­teit ihrer Mittel veranlaßt sie, meist ihren Haushalt selbst zu führen, neben den Studien zu kochen, zu waschen 2c. Sie sind unter einander durch ein starkes Solidaritätsgefühl verbunden und die rückhaltsloseste gegenseitige Unterstützung gilt ihnen als etwas Selbstverständliches.

Kellnerinnenschutz in der Schweiz  . In der letzten Sitzung des Züricher   Kantonsraths wurde mit überwältigender Mehrheit be­schlossen, daß Mädchen unter dem zurückgelegten zwanzigsten Lebens­jahre den Kellnerinnenberuf nicht ausüben dürfen, und daß auch junge Leute unter sechzehn Jahren von der ständigen Bedienung der Gäste ausgeschlossen sind.

Gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter und Arbeite­rinnen in Frankreich  . Auf einem Kongreß französischer Gewerk­schaften, welcher kürzlich in Limoges   tagte, wurde beschlossen, eine einheitliche Organisation der Gewerkschaften und Berufsgruppen der Arbeiter und Angestellten beider Geschlechter zu schaffen. Dieselbe soll den Namen führen: Confédération générale du travail  "( Al­gemeiner Arbeitsbund) und den Zweck verfolgen, auf wirthschaft­lichem Gebiete alle um ihre Befreiung kämpfenden Proletarier zu vereinigen.

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Fortschritte der Frauenbewegung in Holland  . Seit August 1894 existirt in Holland   ein Verein für die Erringung des Frauen­wahlrechts. Derselbe besteht aus fünf Settionen: in Amsterdam  , Rotterdam  , Grevenhage, Middleburg und Groningen  . Außerdem giebt es ein aus acht Mitgliedern zusammengesetztes Komite, welches eine Reform der Rechtsstellung der Frau anstrebt, in Rotterdam   einen Verein für das Wohl der Frauen und in Groningen   einen Frauen­bund. Diese Organisationen haben sich an die Volksvertretung mit dem Ersuchen gewendet, neben männlichen Fabrikinspektoren auch weibliche anzustellen. Die Regierung hat darauf entschieden, Frauen vom Fabrikinspektorat prinzipiell nicht auszuschließen.

Für die politische Gleichstellung der Geschlechter erklärte sich jüngst der internationale Freidenkerkongreß, welcher in Brüssel  tagte, und an dem auch verschiedene weibliche Delegirte theilnahmen, so u. A. Frau Henrich- Wilhelmi aus Deutschland   und die Gattin des bekannten holländischen Sozialdemokraten van Kol.

Zahl der in England thätigen Personen. Nach dem Jahres­bericht des Arbeitsamtes für das Jahr 1893/94 zählte man in Eng land beschäftigte Personen:

In gelehrten Fächern( einschl. Studirende) Bei häuslichen Arbeiten

Im Handel

In der Industrie

In der Agrikultur und Fischerei

Männlich 666 071 171 463

1 628 337

6 642 381

2 353 488

Zusammen 11 461 740

Weiblich 306 741 2 170 233

47 796 2 383 521

173 202

5 081 493

Ihnen stehen 6852 831 unbeschäftigte männliche und 14 336 858 unbeschäftigte weibliche Personen gegenüber. In England sind also mehr als ein Viertel aller weiblichen Personen erwerbsthätig und müssen wie die Männer hinaus ins feindliche Leben", um ihren Unterhalt zu gewinnen.

Medizinerinnen in Amerika  . In den Vereinigten Staaten  giebt es laut einer kürzlich veröffentlichten Statistik 2000 Aerztinnen. Von ihnen behandeln 610 Frauenkrankheiten, 130 sind Homöopathen, 95 bekleiden Professuren an medizinischen Schulen, 70 sind als Aerzte und Chirurgen an Hospitälern angestellt, 40 sind als Augenärztinnen thätig 2c. Man vergleiche mit diesem Stand der Dinge die ein schlägigen Verhältnisse in Deutschland  !

Ein Mittel.

Wollt ihr den Siegeslauf der Rothen hemmen, Ein Mittel giebt's, dagegen sich zu stemmen: Schafft ab die Unzufriedenheit der Massen; Die andern Mittel dienen nur zum Spaßen. Vor ihnen wird man nie die Segel reffen; Lufthiebe sind's, um ein Phantom zu treffen. Wollt ihr das nicht dann bleibt euch nur der Büttel, Die Volksverdummung und der Bauernknüttel Und all' die andern schönen Geisteswaffen, Um einen Wall dem Siegeslauf zu schaffen. Doch ist's kein Wall, um den die Rothen streiten; Mit Lachen werden sie darüber schreiten.

Mit Lachen, weil ihr faselt vom Verführen"; Die Unzufriedenheit wird hetzen, schüren; Sie sendet immer neue Legionen

Von den Gedrückten, die da darben, frohnen, Und immer mehr noch wühlt sie auf die Massen, Zum großen Kampf die unterdrückten Klassen. Nein, wollt ihr nicht das eine Mittel wagen, Die andern werden ihren Dienst versagen, Wohl aber mehr der Unzufriednen machen Und immerfort nur'n die Saat der Drachen. Ihr Siegeslauf wird euch zu Boden treten, Ihr mögt nun zetern, winseln oder beten.

Zur Beachtung.

Alle Zuschriften, Anfragen, Geldsendungen, welche sich auf die Agitation unter den Frauen beziehen, bezw. für diese Agitation bestimmt sind, sind zu richten an Frau Ditilie Gerndt Berlin 0, Blumenstraße 26.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Eißner) in Stuttgart  . Druck und Verlag vor J. H. W. Diez in Stuttgart  .