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kampf vergaßen. Im Allgemeinen waren dagegen die Versammlungen gut besucht; für fünf von ihnen wurde die Gesammttheilnehmerzahl auf 2440 geschätzt und in zehn von ihnen traten den Gewerkschaften 218 Mitglieder bei. Soweit bis jetzt ein Ueberblick über den Ver­lauf der stattgehabten Agitation unter den industriellen Arbeiterinnen möglich ist, hat dieselbe schätzenswerthe Erfolge gezeitigt. Wenn man sich in fühler Abwägung der Umstände, welche die Organisirung der Arbeiterinnen weit schwieriger als die der Arbeiter gestalten, nicht in der Illusion wiegte, als ob in einem einzigen Anlauf der Gewerkschaftsbewegung Massenbataillone weiblicher Lohnstlaven er­stehen könnten: wird man auch nicht niedergeschlagen und entmuthigt das Erreichte allzugering veranschlagen und das Weiterschreiten auf dem betretenen Pfade einstellen, weil es sehr schwer ist und nur langsam von Statten geht. Was durch die Agitation erzielt worden ist, bürgt dafür, daß noch mehr erzielt werden wird mit geduldiger und zäher Arbeit und kluger Berücksichtigung der Verhältnisse, unter denen die Arbeiterin sich entwickelt und ausgebeutet wird. Die General­kommission der Gewerkschaften hat sich durch ihre umsichtige und energische Aktion für die Organisirung der Arbeiterinnen um das deutsche Proletariat, um seinen Rampf wohl verdient gemacht.

Zur Bewegung der Konfektions- Schneider und Schnei­derinnen. Am 24. und 25. November tagte in Erfurt die Kon­ferenz der Konfektions- Schneider und Schneiderinnen Deutschlands . Die einschlägige Arbeiterschaft aller größeren Zentren der Konfektion war durch Delegirte vertreten, welche sich über die Taktik verstän­digen sollten, die nach dem 1. Februar 1896 einzuschlagen ist, um den bekannten Forderungen der Fünfer- Kommission zur Verwirklichung zu helfen. Die eingehenden, ruhigen und sachlichen Debatten zeichneten zwar kein neues, aber ein sehr erschütterndes Bild des Elends der Konfektionsarbeiterschaft und zeitigten eine völlige Uebereinstimmung zwischen den Delegirten. Die Konferenz beschloß Folgendes: Am 20. Januar haben überall Versammlungen stattzufinden. In diesen Versammlungen sollen die Forderungen, welche an die Unternehmer gestellt wurden, noch einmal besprochen werden. Die Konfektions­kollegen haben, je nach Bedarf, mit den Unternehmern und Arbeit­gebern Besprechungen stattfinden zu lassen. Der 1. Februar ist als letzter Erklärungstermin für die Unternehmer bestimmt. Das Weitere wird den Umständen entsprechend sich entwickeln. Ein Flugblatt an die ganze Bevölkerung Deutschlands wird am 20. Januar verbreitet werden. Ein zweites allgemeines Flugblatt wird eventuell nach dem 1. Februar herausgegeben. Einstimmig wird beschlossen, zur Schaf fung eines Kampffonds sofort Marken und Listen herauszugeben. Als Sitz der Kommission wird einstimmig Berlin bestimmt. Der Kommission wird das Recht der Kooptation von Mitgliedern auch über Berlins Grenzen hinaus zuerkannt. Folgende Resolutionen fan­den einstimmige Annahme:" Da die Hausindustrie eine der verderb­lichsten Auswüchse ist, die jemals die kapitalistische Produktionsweise erzeugt hat, und sich für die Arbeiter und Arbeiterinnen, ganz gleich ob in der Maß- oder Konfektionsbranche, Zustände herausgebildet haben, die, wenn nicht Einhalt gethan wird, zur vollständigen De­generation der Arbeiter und Arbeiterinnen unseres Berufes führen, beschließt die Konferenz: Die Forderung von Betriebswerkstätten zu einer allgemeinen für Maß- und Konfektionsarbeit zu machen, haupt­sächlich aber mit aller Energie dahin zu wirken, daß für die Kon­fektionsarbeiter und Arbeiterinnen bessere Lebensbedingungen er­rungen werden."- Die Konferenz fordert, daß seitens der Regie­rungen Untersuchungen über die sanitären Verhältnisse sowohl als über die soziale Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Beklei­dungsindustrie veranstaltet werden. Ferner sind die bestehenden Arbeiterschutzbestimmungen in vollem Umfange auf die Hausindustrie auszudehnen." Die Konferenz erwartet von der Reichskommission für Arbeiterstatistik, daß eine schleunige Enquete veranstaltet wird. Sie spricht ihre Mißbilligung darüber aus, daß bisher keinerlei Ant­wort über die von dem Vorstand des Verbandes eingereichte Eingabe erfolgt ist." Ein Glückauf und thatkräftige Unterstützung seitens des gesammten Proletariats der Aktion, welche eine Hebung der geradezu himmelschreienden Lage vieler Tausende von Arbeitern und Arbei­ferinnen bezweckt, die zu den Ausgebeutetsten der Ausgebeuteten zählen.

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Berichtigung. Wie uns mitgetheilt wird, heißt es in dem Bericht über die Berliner Frauenversammlung von Mitte November irrthümlicher Weise, daß Genossin Gerndt mit der Aufgabe betraut wurde, in Berlin die allgemeine Agitation unter den proletarischen Frauen zu leiten." Mit der Leitung dieser Agitation werden viel­mehr die als Vertrauenspersonen der Berliner Genossenschaft in öffent­lichen Parteiversammlungen gewählten Genossinnen Baader und Scholz beauftragt. Genossin Gerndt's Aufgabe ist es dagegen, die Korrespondenz mit den Trägerinnen der proletarischen Frauenbewegung außerhalb von Berlin zu führen und eine planmäßige Agitation unter

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dem weiblichen Proletariat in ganz Deutschland anzuregen und zu fördern. Der Verein öffentlicher Vertrauenspersonen" von Berlin wurde bekanntlich laut polizeilicher Verfügung ,, vorläufig geschlossen". Bis auf Weiteres können mithin die Genossinnen Baader und Scholz, bei denen, nebenbei bemerkt, in äußerst gewissenhafter, aber resultat­loser Weise gehaussucht wurde bei Genossin Scholz bis in den nicht ihres Amtes walten. Da Wichs- und Kammkasten hinein es aber sogar in Preußen schwer fallen dürfte, die in einer öffent­lichen Frauenversammlung gewählte Genoffin Gerndt zu einem poli­tischen Verein" zu stempeln, kann diese in gewohnter Weise den ihr übertragenen Pflichten nachkommen.

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Die Frauenarbeit in den oberschlesischen Gruben und Hüffen.

Hochragende Schlote und weitläufige industrielle Anlagen künden dem Reisenden schon bei Gleiwit an, daß er sich einer industriell sehr entwickelten Gegend nähert. Die Luft ist geschwängert mit Kohlen­staub und Gasdunst. Häuser und Straßen sind gleichmäßig mit einer Kruste von Kohlenstaub bedeckt. Die Szenerie wird noch unangenehmer, je mehr man sich dem eigentlichen Kohlenbecken Oberschlesiens , den Orten Zaborze, Mislowig, Tarnowig, Königshütte nähert. Das Land ist fast ganz flach, der Boden unfruchtbar und nur hier und da zeigen fleine Baumgruppen die Stelle an, wo früher weite Wälder sich erstreckten, die im Interesse der Industrie abgeholzt worden sind.

Wir selbst sind in dem Ruhrrevier, dem größten deutschen Industrierevier, zu Hause, und wissen uns daher mit Kohlenstaub und gasiger Luft abzufinden. Dennoch kam uns die Gegend recht trostlos vor. Dieser Eindruck wurde sehr erheblich verstärkt durch die Bewohner des oberschlesischen Industriebezirks. Aehnlich ab­gehärmte und verkommene proletarische Gestalten sahen wir noch nicht. Die Aermlichkeit der Landschaft fand ihr Seitenstück in der Aermlichkeit der Menschen. Barfuß, schlechter noch als dürftig gekleidet, so kamen uns die Weiber und Kinder trotz des schmutzigen, naßkalten Wetters entgegen. Die Männer trugen plumpe, derbe Stiefel und Kleider, deren Schnitt schon seit Jahrzehnten aus der Mode gekommen ist. Es hatte den Anschein, als ob ihr Anzug einem Trödler­fram aus der Mitte dieses Jahrhunderts entstammte. Wir wußten es, ohne daß es uns gesagt wurde: Hier in Oberschlesien feiert die kapitalistische Ausbeutung ihre durch nichts gehemmten Orgien, und wie dies natürlich ist, auf Kosten des törperlichen und geistigen Wohles der unteren Klasse.

Im Laufe der Tage, welche wir uns in Oberschlesien aufhielten, waren wir in der Lage, uns vollgültige Beweise für das oben Gesagte zu verschaffen. Wir lernten proletarisches Elend in seinem vollen Umfange fennen. Nirgends wie in Oberschlesien ist der Arbeitsmann, ist die Arbeiterin so schmählich unterdrückt, wird besonders die weib­liche Arbeitskraft gleich unmenschlich ausgebeutet.

Nach der amtlichen Statistik betrug die Zahl der im Stein­fohlenbergbau Oberschlesiens beschäftigten Arbeitskräfte 1894: 52 300; davon sind zirka 5400 Frauen und Mädchen. In den anderen Bergrevieren kennt man die Frauenarbeit auf den Gruben und Hütten fast gar nicht; im Bezirk Dortmund gar nicht. Für den Sozialpolitiker genügt die Thatsache, daß in Oberschlesien die weibliche Arbeitskraft in den Gruben und Hütten verwendet wird, um aus ihr auf die wirthschaftlichen Verhältnisse der oberschlesischen Grubenarbeiter zu schließen. Es ist hinlänglich bekannt, daß dort, wo die Frauenarbeit zur Verwendung gelangt, die Erwerbsverhält­nisse relativ wie auch absolut schlechter sind als in solchen Gegenden, in denen die weibliche Arbeitskraft nicht ausgebeutet wird. Die ein­schlägigen oberschlesischen Verhältnisse bestätigen diese alte Wahrheit. Laut der amtlichen Statistik verdiente ein Bergmann im Jahres­durchschnitt pro 1893 im

Bezirk Dortmund

Saarbrücken

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Niederschlesien .

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Oberschlesien

946 M., 925" 729

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661

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Diese Zahlen sind noch interessanter, wenn man gleichzeitig die Länge der Arbeitszeit in den einzelnen Revieren kennt. Sie betrug im Revier Dortmund . 81 Stunden,

Saarbrücken

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Niederschlesien

Oberschlesien

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9

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10

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12

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Also die längste Arbeitszeit und den niedrigsten Lohn für Bergleute finden wir für Preußen in Oberschlesien .