- 1 Die traurigen Erwerbsverhältnisse der männlichen Grubenarbeiter werden verständlich, wenn man bedenkt, daß die Frauen und Mädchen auf den Gruben und Hütten Oberschlesiens pro Tag sage und schreibe 78 bis 86 Pf. verdienen, und zwar bei ttstundiger ununterbrochener Arbeit? Im Bericht der Berginspeklion für 1893 finden wir mehrmals bei Besprechung oberschlesischer Bergwerksver­hältnisse den Satz: die Frauenarbeit und die Anstellung der jugendlichen Arbeiter ist im Abnehmen begriffen, Wohl wurde uns bei unserem Besuch an der russischen Grenze von Bergleuten ver­sichert, daß das gerade Gegentheil der Fall sei, doch liegt kein ziffernmäßiger Beweis für diese Behauptung vor. Aber wie dem auch sei: der oberschlesische Grubenbaron hat heutzutage nicht mehr be­sonders nöthig, die Frauenarbeit in ausgedehntem Maße zu ver­wenden. Durch die bisherige umfangreiche Verwendung der Frauen ist es ihm gelungen, die Löhne der Männer wie oben gezeigt auf ein schmählich niedriges Niveau herab­zudrücken. Die Befolgung des Richterschen Rathes:Stellt Frauen ein", hat in den oberschlesischen Gruben bewirkt, daß heute Hunderte von Männern, um nicht ganz arbeitslos zu sein, zu der Hälfte ihres früheren Lohnes schuften müssen. Die Frau hat ihre Rolle alsLohn- regulirer" gespielt, und da ein Mann doch bei der in Frage kommen­den Arbeit mehr leisten kann und zugleich durch die Koalition der Zechenbesitzer die Kohlenpreise sehr erheblich gestiegen sind, so kann die Frau eventuellihrer Familie" zurückgegeben werden. An ein völliges Zurücksenden der Frauen zureigentlichen weiblichen Thätigkeit" ist trotzdem keine Rede. Zu Hunderten schaffen Weiber und Mädchen auf den oberschlesischen Gruben. Es ist von Interesse, die Namen der Besitzer dieser Werke zu kennen. Da ist zunächst der Fiskus, dem zahlreiche Gruben und Hütten eigen sind. Derallerchristlichste" preußische Staat, dessen Vertreter so oft aus dieHeiligkeit der Familie" hinweisen, trägt durch die Verwendung weiblicher Arbeitskräfte wacker das Seinige zur Zer­störung der Familie bei. Die Familie soll ja wohl die Grundlage des Staats sein. Wenn dies stimmt, so beglückwünschen wir den preußischen Staat zu seinem eminent staatserhaltenden Wirken in den oberschlesischen Gruben. Immerhin muß anerkannt werden, daß die fiskalischen Betriebe im Punkte der Frauenausbeutung wenigstens das Dekorum wahren. Weit schlimmer liegen die Verhältnisse auf den Privatgruben und Hütten, die in der Gegend alsherrschaftliche" bezeichnet, allerorts gehaßt und wenn möglich gemieden werden. Und doch eignen diese Werke den hervorragendsten Stützen unseres Das Sparkassenbuch. Skizze von R. Noland. II. Herr Anton Rüster?" Jawohl, Herr Professor!" Sie kommen sich nach Ihrer Frau zu erkundigen; nun, es steht schlecht. Machen Sie sich über kurz oder lang auf das Schlimmste gefaßt..." Also ist gar keine Aussicht?..." Nein! Gar keine!" Erschüttert verließ Rüster das Zimmer des ordinirenden Pro­fessors, auf dessen Abtheilung Anna lag. Er ging in den Garten­anlagen spazieren, wie traumverloren, ei starrt in dumpfem Schmerz. Er achtete nicht des eisigen Windes, der durch die kahlen Bäume fuhr. Er mußte sich sammeln, sammeln für die Abschiedsstunde; wer weiß, ob er Anna nächsten Sonntag noch lebend antraf, ob er nicht im Verlaufe der Woche noch an das Sterbelager würde gerufen werden? Und gerade heute hatte er sich vorgenommen, sie um die Ausfolgung des Sparkassenbuches zu bitten! Wie wird sie das aufnehmen? Er kannte ihren eifersüchtigen Charakter; wird sie nicht mißtrauisch werden und daraus schließen, daß sie sterben müsse? Wird ihr dieser Gedanke nicht den Todesstoß ver­setzen? Mit welcher Leidenschaft hatte sie ihn geliebt und liebte sie ihn noch! Seinetwegen war sie auch in die Fabrik gegangen; seinetwegen hatte sie vom frühen Morgen bis spät in die sinkende Nacht hinein gearbeitet, damit er seinen politischen Agitationen nachgehen könne, damit er sich der auch von ihr leidenschaftlich geförderten Bewegung des Proletariats widmen könne! Sie war stolz auf ihn, und er hatte es geschehen lassen, daß sie sich plagte und mühte; hatte es geschehen lassen, daß sie sich durch die an­strengende Fabrikarbeit ein organisches Leiden zuzog: ihre körper­christlichen Staates. Die Fürsten Pleß, Fürst Hohenlohe, Herzog von Ujest, Graf Matuschka und derberühmte" Zentrumsführer Graf Ballestrem sind die Repräsentanten des Grubenkapitals in Oberschlesien . Wie, wird mancher fragen, die Leuchten des Zentrums, die Grafen Matuschka und Ballestrem , die so oft gegen dieZerstörung der Ehe" durch die Sozialdemokratie gedonnert, sie lassen auf ihren Gruben eine schmach­volle Frauenausbeutung bestehen? Gewiß, und wer sich das Jahr­buch des oberschlesischen berg- und hüttenmännischen Vereins für 1892 ansehen will, der findet dort, daß gerade in den Betrieben dieser Herren eine schlechtere Bezahlung der Frauen üblich ist. Löhne(Durchschnitt) von 70, 74, 78, 80 bis 88 Pfg- bezahlen gerade die frommen Grafen und Fürsten , der Fiskus ver­steigt sich doch wenigstens bis zu Tagesverdiensten von 90 Pfg. bis 1 Mk. Auch Damen derhöchsten Gesellschaft", so die Gräfin v. Saurma-Jeltsch, Gräfin Schafgatsch u. A. m. tragen ihr Theil zur Auspowerung ihrerSchwestern" bei. Wie oft hat nicht frommer Zentrumsmund den Standpunkt vertreten:Die Frau gehört ausschließlich und unter allen Umständen ins Haus. Dort ist ihr eigentliches Wirkungsfcld, die Industrie ist unweiblich." Die Sozialdemokratie theilt bekanntlich diesen Stand­punkt nicht. Wohl aber fordert fie im Interesse der Frau, der prole­tarischen Kinder und der gesammten Arbeiterklasse einen gesetzlichen Schutz der Frauenarbeit. Insbesondere gegen die Ausbeutung der Frauen bei Beschäftigungen, welche nachgewiesenermaßen den weib­lichen Organismus besonders schädlich beeinflussen. Die Frauenarbeit auf Gruben und Hüttenwerken, welche oberschlesischen Zechenbaronen und frommen Zentrumsleuchten so einträglich ist, will deshalb die Sozialdemokratie vollständig beseitigt wissen. Denn wenn irgend eine Beschäftigung gesundheitsschädlich, wenn sieunweiblich" ist, so ist es die betreffende Arbeit der Frauen. Doch man urtheile selbst. Die Frauen werden in Oberschlesien nur über Tage, nicht unterirdisch beschäftigt. Früher waren auch Frauen in der Tiefe angestellt, und auch heute soll dies vorkommen. Beweise konnten wir dafür nicht erlangen. Die Kohle wird durch den Aufzug zu Tage gefördert in Wagen, die je mehrere Zentner fassen. Am Eingang des Schachtes nehmen die Frauen diese Wagen in Empfang und befördern dieselben zur Abladestelle. Bei dem Kippen der Wagen entwickelt sich solch dichter Staub, daß alle Gegenstände sehr rasch mit einer dicken Schmutzdecke überzogen werden. Inmitten des furchtbaren Schmutzes arbeiten nun die Frauen täglich elf Stunden ununterbrochen. In liche Konstitution war von jeher eine schwache gewesen. War nicht er also Schuld an ihrem frühzeitigen Tode? Anna", flüsterte er vor sich hin,hättest Du mich nicht so ver­wöhnt, es wäre besser gewesen. Ich muß vorwärts, gegen meinenWillen! Nächsten Sonnabend erhalte ich den letzten Lohn, dann bin ich arbeits­los.... Was dann? Wird man dem Agitator Arbeit geben?..." Ja, Rüster war entlassen worden: ein Streik war ausgebrochen, und die Bewegung hatte ihn an die Spitze der Fabrikarbeiter gedrängt. Die Arbeiter hatten gesiegt, obwohl die Verhältnisse nicht günstig gewesen waren. Allein ihre treffliche Organisation, die Einigkeit und die Leitung der Sache durch Rüster, der die öffentliche Meinung geschickt zu benutzen und dadurch auf den Fabrikherrn einen Druck auszuüben verstanden hatte, bewirkten, daß Herr Creder die Forderungen der Arbeiter bewilligte. Rüster aber siel der Sache zum Opfer, er wurde entlassen: und bei dem erbitterten Verhältnisse zwischen Kapital und Arbeit war keine Aussicht vorhanden, daß er bald Beschäftigung bekäme. Er war bekannt und kein Fabrikant, in Wien wenigstens, würde ihn auf­nehmen. Die einzige Aussicht war die Provinz oder das Aus­land, und dazu brauchte er Geld. Drohend lag die Zukunft vor ihm, Hunger und Elend, Noth und Sorge grinsten ihn an und umschwirrten sein Haupt gleich beutegierigen Raben.... Und sie, die an ihm mit so inniger, fast schwärmerischer Zuneigung hing, sie, die treue Gefährtin, die aufopferungsvolle Seele, die mit ihm alle seine Schicksale getheilt, die sich gefreut und theilgenommen an seinen Erfolgen, mitgelitten unter den Verfolgungen, sie sollte er heute in tödtliche Aufregung versetzen? Der Erhaltungstrieb drängte ihn dazu; die Liebe hielt ihn davon ab. Nein! War sie auch dem sicheren Tode verfallen, er wollte ihn wenigstens nicht beschleunigen! Mit diesem festen Vor­satze unterbrach er die Kämpfe in seinem Innern und schritt aus die Krankenabtheilung zu, wo seine Frau lag.