Mißhandlungen in Verbindung mit Ueberarbeit nicht dazu,das moralische Selbstgefühl, welches doch die Grundlage jeder Sittlichkeit ist, zu heben." So im Bericht für Baden zu lesen. Die angeführte Stelle ist nicht nur bezüglich der Frage der weiblichen Aufsicht äußerst interessant.„In mehreren Anlagen sprachen die Arbeiterinnensich sehr befriedigt über die weibliche Aufsicht aus, wobeihervorgehoben wurde, daß diese eine schärfere sei, als die des männlichen Aufsichtspersonals Erwünscht wäre es, wenn auf diesemGebiete umfangreichere Versuche angestellt würden, eshätte dann nicht vorkommen können, daß in einer Fabrik, die neben119 Arbeitern auch Frauen beschäftigt, eine achttägige Arbeitseinstellung deshalb eintrat, weil der Meister sich unsittliche Zumuthungen gegen das weibliche Personal erlaubte und die Widerstrebenden durch Ausgabe wenigervortheilhaften Materials zur Verarbeitung chikanirte.Der fragliche Meister wurde in diesem Falle von der Firma entlassen,auch eine andere Geschästseintheilung beliebt, womit der Ausstandbeendet war."(Bremen.)Das übereinstimmend günstige Urtheil von Fabrikinspektorenüber die weibliche Aufsicht in den industriellen Betrieben legt eineFrage nahe. Wenn die Frau sich vorzüglich eignet zur Ueberwachunggewerblicher Anlagen im Dienste und im Interesse der Besitzer undzum Nutzen der Arbeiterinnen, warum sollte sie— die nöthigen Kenntnisse vorausgesetzt nicht auch eine treffliche Fabrikinspektorin sein,welche im Dienste des Staats, im Interesse der Arbeiterinnen und derAllgemeinheit die Durchführung der bestehenden Gesetzesvorschriftenüberwacht und den weiteren Ausbau des Arbeilerschutzes fördert?_ Sofie Schön.Aus der Bewegung.Bon der Agitation. Eine größere Agitationslour durchThüringen unternahm Genossin Kähler-Wandsbeck in derZeit vom 21. November bis 5. Dezember v. I. In zwölf Orten,größeren und kleineren Städten, sowie auch Dörfern, fanden Versammlungen statt, in denen die Referentin die Themata behandelte:„Die sozialdemokratische Bewegung eine Kulturbewegung, und welchesInteresse haben die Frauen an ihr?" und„Das Programm derSozialdemokratie." Eine längere Agitationstour zählt für die Referenten gewiß nicht zu den Bequemlichkeiten dieses Lebens, obendreinim Winter und in der Hauptsache von kleinerem Orte zu kleineremOrte, wo die gute Verbindung fehlt, oftmaliges Umsteigen und Aufent- lEin Traum.Eine Wrihnachks-Irgrndr von W. Korolenlio.1.Diesen Traum träumte der arme Makar, der seine Lämmerin fernen, düsteren Gegenden weiden läßt— jener alte Makar,den, wie bekannt, alle Vorwürfe treffen.Seine Heimath— das öde Dorf Tschalgan— verlor sichganz in dem großen Jakutsker Walde. Die Väter und VorfahrenMakars rangen diesem Walde ein Stück durchfrorenen Landes ab,und obgleich sie auch von fast undurchdringlichem Walde eingeschlossenwaren, ließen sie doch nicht den Much sinken. Auf dem bearbeiteten Felde erstanden Zäune, Scheunen und Schober, niedrigerauchige Hütten, und endlich erhob sich, wie eine Siegesfahne, indie Lüfte mitten im Dorfe ein Kirchthürinlein, und Tschalgan wardzum großen Dorfe.Während aber Väter und Vorfahren Makars mit dem Walderangen und kämpsten, ihn mit Feuer und Schwert vernichteten,um den Boden urbar zu machen, verwilderten sie selbst mehr undmehr. Jakutische Mädchen zu Frauen nehmend, übernahmen sieauch ihre Sprache und Sitten. Die charakteristischen Züge desgewaltigen russischen Volkes wurden immer undeutlicher undschwanden immer mehr.Indessen vergaß unser Makar doch nicht, daß er ein Tschal-ganischer Bauer war. Als solcher war er geboren, hier hatte ergelebt und hier wollte er sterben. Er war auf seinen Geburtsortstolz und schimpfte andere häufig„verfluchte Jakuten", obgleich erselbst von den Jakuten sich weder durch Sitte noch Lebensartunterschied. Russisch sprach er wenig und schlecht, kleidete sichin Thierfelle, trug kamtschadalische Beinkleider, nährte sich vonGebäck mit Theeaufguß und bereitete sich an Feiertagen oderin anderen außergewöhnlichen Fällen so viel geschmolzene Butter, �4halt in kleinen, unfreundlichen, kalten Wartestellen mit in den Kaufgenommen werden muß. Aber der Erfolg der Agitationstour warein so vorzüglicher, daß er die Referentin für alle Strapazen undBeschwerlichkeiten der Reise reichlich entschädigte. Alle Versammlungen, auch die in den Dörfern, waren sehr gut besucht, und zwarmachten allerorten die Frauen einen starken Theil des Publikumsaus. Angehörige der verschiedensten Bevölkerungsklassen hatten sicheingefunden, Gegner meldeten sich fast nirgends zum Wort. Manch'altes Mütterchen, manch' grauköpfiger Dorfbewohner bekundete durchNicken oder durch den Ausruf:„Sie hat Recht, so ist es." Zustimmung zu den Ausführungen der Referentin, die überall lebhaftenBeifall erntete. Allenthalben hatte diese den Eindruck, daß das werk-thätige Volk den Sozialismus mit offenen Armen aufnimmt. Versammlungen fanden statt in Mühlhausen, Salza bei Nordhausen,Nordhausen, Neustadl a. Orla, Apolda, Bürgeln bei Jena, Gera,Heinrich, Schleusingen, Suhl, Erfurt, Eisenach. In Mühlhausenstand leider den Genossen kein genügend großes Lokal zur Verfügung;den Wünschen der herrschenden Kapitalistenklique entsprechend verweigern die Wirthe die größeren Säle. Die Versammlung in Neustadt a. Orla, in welcher weder der Lehrer noch der Pastor fehlte,erfuhr durch ungerechtfertigtes behördliches Eingreifen eine Unterbrechung. Die Referentiu entwickelte hier„das Programm der Sozialdemokratie". Als sie die Erklärung des Satzes begann:„Religion istPrivatsache", erhob sich der überwachende Beamte mit der Bemerkung,die Religion dürfe nicht in den Kreis der Erörterung gezogen werde».Nachdem Genossin Kähler diese Ansicht zurückgewiesen, konnte dieVersammlung weiter tagen. Es war zum erstenmale seit langer Zeit,daß in Neustadt eine Versammlung nicht von vornherein verbotenwurde oder der Auslösung verfiel. Interessant war das Gepräge derVersammlung in Bürgeln bei Jena.„Um einmal eine Frau sprechenzu hören", hatten sich Angehörige aller Kreise eingefunden, die Tag-löhnerin wie die„Frau Doktor", der Handarbeiter wie der Kaufmann zc. Von den zahlreich anwesenden bürgerlichen Elementen tratNiemand den Ausführungen der Rednerin entgegen. Eines geradezugroßartigen Besuchs erfreute sich die Versammlung in Heinrich,einem Dorfe des Thüringer Waldes. In lautloser Stille, mit gespanntester Aufmerksamkeit, inan ist fast versucht zu sagen mit einerArt religiösen Andacht, folgten hier die Anwesenden dem Vortrage.In Eisenach meldete sich ein Herr Doktor, ein Anhänger der National-Sozialen, zum Wort. Mit vielen Ausführungen der Referentin erklärte er übereinzustimmen, aber eine durchgreifende Besserung unserersozialen Verhältnisse erwartete er nicht von der Sozialdemokratie.! Eine solche kann sich seiner Ansicht nach nur aus nationaler undals gerade im Hause vorhanden war. Er ritt recht gut aufOchsen und rief, wenn er sich unwohl fühlte, den Schamanen, dermit Beschwörungen und Sprüngen auf ihn eindrang, um den bösenGeist der Krankheit zu bannen.Er arbeitete viel und schwer, lebte in größter Armuth, littHunger und Kälte. Halte er andere Gedanken und Sorgen, alsdie um sein Gebäck und seinen Thee? Ja, er hatte welche.Wenn er betrunken war, pflegte er zu weinen.„Was fürein Leben führen wir!"— sagte er dann. Außerdem pflegte erdann zu sagen, er wünsche alles liegen zu lassen und auf denBerg zu gehen. Tort würde er nicht zu pflügen und nicht zusäen, das Holz nicht zu hacken und zu führen, ja sogar auf derHandmühle das Korn nicht zu mahlen brauchen, sondern nur fürsein Heil zu sorgen haben.— Was das für ein Berg wäre, wo erläge— das wußte er nicht genau; er wußte nur, daß es einen solchenBerg gebe, und daß er weit, weit entfernt sei— so weit, daß selbstder Herr Bezirksvogt dort ihn nicht würde erreichen können...Steuern würde er natürlich auch nicht nöthig haben zu zahlen.Nüchtern überließ er sich nicht diesen Gedanken— wahrscheinlich die Unmöglichkeit einsehend, solch' einen prächtigen Bergje zu finden. Im Rausche aber wurde er kühner. Er gab dieMöglichkeit zu, den echten Berg verfehlen und zu einem falschengerathen zu können.„Dann werde ich untergehen—" sagte er.Wenn er seinen Wunsch indessen nicht zur Ausführung brachte, solag die Schuld wohl daran, daß die tatarischen Ansiedler ihmstets schlechten Branntwein verabfolgten, welcher zur Erhöhung derStärke auf schlechtem Tabak abgezogen wurde— ein Branntwein,von dem er schwach und krank wurde.Es war am heiligen Abend, und Makar wußte, daß morgenein großer Feiertag sei. Ihn quälte daher der sehnliche Wunsch,einen kleinen Trunk zu thun, doch besaß er nichts, womit er ein