läßt, sondern einen Lungenkatarrh, eine Lungenentzündung, eine Brustfellentzündung oder gar eine Lungenschwindsucht. Das sind Sachen,die tiefer ins Leben einschneiden, die uns bestenfalls wochenlang lahmlegen, von denen wir uns mitunter gar nicht wieder erholen, die alteund geschwächte Menschen nicht selten über Nacht hinraffen. Hiersieht es mit einer Erkältung schon ernster aus, und man hat alleUrsache, nachzufragen, ob man denn gar nichts gegen diese Geißeldes Winters anfangen kann, ob man wirklich, die Hände im Schooß,alle Störungen und Leiden der Erkältungszeit über sich ergehenlassen muß.Die Frage hat wenigstens das Gute, daß man gedrängt wird,über das Zustandekommen der„Erkältungskrankheiten" nachzudenke».Und da merkt man sehr bald, daß Kälte und„Erkältung" durchausnicht die siamesischen Zwillinge sind, für die man sie gewöhnlich ansieht. Man findet„Erkältung" ohne Kälte und Kälte ohne„Erkältung". Wie frisch und munter ist man oft bei fortgesetztem Regenwetter oder mit dem Thermometer dauernd unter Null, und welchenabscheulichen Katarrh hat man oft im schönsten Frühjahr oder Sommer.Wie oft hat man durchnäßte Kleider ohne„Erkältung", und wie ofteine„Erkältung" ohne jede erkennbare Ursache. Und wie oft führtman eine Erkältung auf eine Kälteeinwirkung zurück, der man sichvorher schon Hunderte von Malen ausgesetzt hat, ohne sich zu erkälten. Offenbar ist es mit der Erkältung nicht so einfach. Dielandläufige Erklärung stimmt nicht. Man muß eine andere Ursachesuchen.Nun, diese andere Ursache hat die Wissenschaft schongefunden. Eö ist die Ansteckung. Mit der Annahme, die Kältesei die Ursache der sogenannten Erkältungskrankheiten, sind wir überhaupt aus dem Holzweg. Die Kälte hat mit ihnen gar nichts zu thun.Die sogenannten Erkältungskrankheiten rühren alle von einer Ansteckung her. Das ist eine sehr wichtige Erkenntniß, denn die Witterung können wir nicht ändern, gegen Ansteckung aber vermögenwir uns zu schützen.Unter Ansteckung verstehen wir bekanntlich das Eindringenvon Schmarotzern in den Körper. Dort Hausen diese ganz ohne Rücksicht auf unser Wohlbefinden, nach ihren eigenen Lebensbedingungenund fragen nichts darnach, ob sie uns unbequem sind oder nicht.Solche Schmarotzer sind z. B. die Tuberkelbazillen, welche die Lungenschwindsucht hervorrufen. Solche Schmarotzer sind auch die Jnfluenza-bazillen, welche die Influenza hervorrufen.Halten wir uns bei dieser letzteren einen Augenblick auf. Denndie Influenza spielt augenblicklich eine größere Rolle im Volkslebenals irgend eine andere akute Infektionskrankheit. Sie ist die Anstifterin der meisten sogenannten Erkältungskrankheiten geworden, undes giebt überhaupt wenige Menschen, die nicht ein- oder mehrmalsim Jahr heimtückisch von ihr überfallen werden. Seit der großenEpidemie von 1889 bis 1899 hat sie sich heimisch bei uns niedergelassen und in den letzten sieben Jahren wie eine wahre Landplagegewüthet.'Wie die Influenza aussieht, wissen die Meisten nur zu gut auseigener Erfahrung. Wer kennt nicht die Abscheuliche, die ihr Giftdurch den ganzen Körper ausgießt; die garstigen Katarrhe, die inNase oder Rachen beginnen und sich auf Kehlkopf, Luftwege undLunge ausdehnen; die brennenden Augen, die bohrenden Kopfschmerzen, die Appetitlosigkeit, die Uebelkeit, die Leibschmerzen, dieDurchfälle, die schlaffen, schmerzenden Glieder, die Nervenschmerzen,die überall auftreten, die Müdigkeit, die sich Wochen und Monatenach dem Anfall erhält.So tritt der gewöhnliche Jnfluenzaanfall auf, der fieberhaftverläuft und die Kranken zwingt, das Bett aufzusuchen. Aber sehrhäufig verläuft die Influenza ohne Fieber, mit milderen Symptomen,oft unter dem Bild eines Schnupfens und Hustens, und diese Erkrankungen werden als„Erkältungen" aufgefaßt: Man behandelt siemit Wärme und schlechter Zimmerluft, raisonnirt auf das Wetter undsteckt nacheinander die meisten anderen Hausgenossen an, weil mannicht weiß, daß man es mit einer ansteckenden Krankheit zu thun hat.Die Influenza ist freilich eine Winterkrankheit, aber der Grunddavon wird uns nun allmälig aufdämmern. Nicht weil es imWinter kalt ist, sondern weil wir die frische Luft von unseren Zimmern absperren, verbreiten sich die Athmungskrankheiten im Winterso viel leichter als im Sommer. Stellen wir uns einmal vor, wiesolche Zimmerluft aussieht. Sie wimmelt von unsichtbaren Pilzen,und wenn sich ein Jnfluenzakranker darin aufgehalten hat, so sindauch Jnfluenzabazillen darin vorhanden. Die Gesunden athmen sieein und erkranken gleichfalls. Die Jnfluenzabazillen stammen ausdem Auswurf und Nasenschleim der Kranken. Der Leichtkranke, dertrotz seiner„Erkältung" seinen Geschäften nachgeht und nicht ahnt,welche Gefahr für Andere in seinem Auswurf verborgen ist, trägtihn iiberall hin und— spuckt ihn überall aus. Es ist geradezu ungeheuerlich, init welcher Sorglosigkeit und Gründlichkeit die Influenzadurch die Unsitte des Spuckens in Stadt und Land verbreitet wird.Man ist nirgends vor de» ekelhaften, krankheitbringenden Spuckfleckensicher. Im Wirthshaus, in der Kirche, im Komptoir, im Laden, inder Werkstatt, in der Fabrik, in öffentlichen Gebäuden, in der Stube,im Eisenbahncoupö und Trambahnwagen, überall werden sie abgelagert und verpesten die Luft für Andere. Und auf der Straße istman in Verlegenheit, wie man seine Schritte setzen soll, um den giftigen Schmutz nicht an Stiefeln und Kleiderstücken mit nach Hausezu nehmen. Kein Wunder, daß die Influenza beim ersten Ausbruchder neuen Epidemie sich wie ein Lausfeuer durch ganz Europa verbreitete und seitdem nicht wieder zu vertreiben war.Auch einen dritten Grund giebt es für die Leichtigkeit, mit! welcher wir immer und immer wieder der Influenza zum Opferfallen, nämlich unseren eigene» Gesundheitszustand. Schlecht genährteund überarbeitete Menschen sind nicht widerstandsfähig gegen dieBazillen. Ein Angriff, welchem ein kräftiger Organismus erfolgreich getrotzt hätte, ist für sie schon unabwehrbar. Die Bazillenkommen, sehen und siegen, wie einst Cäsar mit seinen geschultenTruppen über die Barbaren siegte.Fassen wir das Alles zusammen, so können wir sagen, dieInfluenza ist eine ansteckende Krankheit, die durch Schmutzund Hunger verbreitet wird. Und was von der Influenza gilt,gilt auch von den übrigen sogenannten Erkältungskrankheiten, vorAllem von der Lungenentzündung und der Lungenschwindsucht.Damit sind wir bei der Beantwortung unserer Frage angelangt,was man gegen die„Erkältungskrankheiten" thun könne.Halten wir fest, daß sie ihren Namen mit Unrecht führen, dasie mit der Kälte nichts zu thun haben, nicht durch Kälte entstehen,sondern durch schmutzige Luft verbreitet werden. Statt unsereZimmer also gegen die frische Luft abzuschließen, können wir für einemöglichst ausgiebige und ununterbrochene Luftzufuhr sorgen, imSommer sämmtliche Fenster Tag und Nacht offen stehen lassen undselbst im kältesten Winter von Zeit zu Zeit Alles öffnen und einenFensterspalt dauernd offen halten beim Arbeiten, Ruhen und Schlafen.Wir können uns auch möglichst viel im Freien aufhalten, weil dieLuft dort unter allen Umständen wesentlich reiner ist als in geschlossenen Räumen. Zweitens können wir es vermeiden, den Ansteckungsstoff durch Ausspucken zu verbreiten. Und drittens könnenwir uns kräftig ernähren und vor übermäßigen Anstrengungen hüten.Das sind lauter einfache Verhaltungsmaßregeln, wie sie in jedemmedizinischen Lehrbuch zu finden sind und jeder Arzt seinen wohlhabenden Patienten empfehlen wird. Aber in unserer heutigen Weltklingen sie wie Hohn. Wo sind denn die Menschen, die sich vorSchmutz, Hunger und Ueberarbeit schützen können? Fragen wir uns,� wie eine Arbeiterfamilie, selbst in leidlichen Verhältnissen, dem entsprechend leben soll, so tritt uns auf den ersten Schritt die Unmöglichkeit entgegen, auch nur den elementarsten Regeln einer gesundenLebenshaltung zu genügen und sich dadurch vor Ansteckungsgefahr zuschützen. Darum ist die Arbeiterklasse die ausersehene Beute der ansteckenden Krankheiten. Die meisten proletarischen Wohnungen sindderart beschaffen, daß sie weder im hygienischen Sinne rein gehalten,' noch genügend desinfizirt werden können. In den Bodenritzen, hinterder defekten Holzverkleidung, im aufgesprungenen Mörtel haben sichdie Krankheitskeime von den letzten Insassen her verschanzt, und selbstzu neuen Wohnungen wird altes, vergiftetes Material verwandt. Undist die Wohnung von Hause aus rein, und sorgt die Frau noch sogut für Sauberkeit, so bringen die Kinder eine Ansteckung aus derNachbarschaft oder aus der Schule mit nach Haus. In den meistenvon Arbeitern bewohnten Häusern sind nicht einmal offene Fenstererreichbar. Das bischen theuer erkaufte Wärme kann man nicht aufdie Gasse lassen, denn die feuchte Kälte der unbesonnten, mit einerHandvoll Kohlen geheizten Stube wäre unerträglich. Selbst bei milderem Wetter läßt man die Fenster zu, um den Rauch oder den Gestank der benachbarten Fabrik abzuhalten. Und wie sieht es aus mitdem Aufenthalt im Freien für den Arbeiter mit einem elf- bis zwölf-stündigen und noch längeren Arbeitstag, für die Näherin mit einemsechzehnstündigen, für die Schulkinder, welche in der Hausindustriebeschäftigt sind? Und das Ausspucken? Was soll der Arbeiter mitseinem Auswurf beginnen? Zu Hause freilich kann er einen Spucknapf gebrauchen, und damit wäre schon viel gethan, aber draußenund bei der Arbeit geht das nicht. In das Taschentuch zu spuckenist ebenso gefährlich wie auf den Boden. Das einzige Mittel, um denAuswurf unschädlich zu machen, ist der Gebrauch einer Taschen-Hustenflasche, und diese kostet drei Mark. Und nun gar die Unterernährung und die Uebermüdung! Wie soll der Arbeiter diesen Uebelnentgehen? Wir haben neulich ausgerechnet, daß der Durchschnittslohn nicht einmal bei einer dreiköpfigen Familie für das Unentbehrlichste an Nahrung hinreicht. Der verheirathete Mann mit Frau und