Nr. 6.
Die Gleichheit.
7. Jahrgang.
Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mr. 2.60.
Mittwoch, den 17. März 1897.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Inhalt:
Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. Von Lily Braun Gizycki. Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. Von Klara Zetkin . Aus der Bewegung. Ueber den Trade- Unionismus
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der englischen Arbeiterinnen. Von Florence Routledge. Die heilige Stellung der Frau. Feuilleton: Ein Traum. Eine Weihnachts- Legende von W. Korolenko.( Fortsetzung.) Die Letzten werden die Ersten sein. ( Gedicht.) Von Ada Negri . Kleine Nachrichten.
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Die nächsten Aufgaben der deutschen
Arbeiterinnenbewegung.
Die Bemühungen der Behörde, die Arbeiterinnenbewegung durch Auflösung der Arbeiterinnenvereine, durch Verfolgung der einzelnen Agitatorinnen zu vernichten, haben nur den Erfolg gehabt, ihre Kraft zu stählen. Da sie aber gezwungen ist, mit den bestehenden Verhältnissen zu rechnen, so hat sie die Art und Weise ihres Vorgehens darnach einzurichten. In jeder neuen Periode, sei sie nun mehr oder weniger reaktionär, haben wir uns die Fragen vorzulegen: was hemmt und was fördert unsere Bewegung? Je flarer die Antwort ausfällt, desto leichter werden wir daraus folgern können, wo unsere Thätigkeit am energischsten einzusetzen hat.
Was hemmt unsere Bewegung? Brauche ich angesichts der legten Vorgänge in Schlesien und Westfalen noch besonders daran zu erinnern, daß wir es nicht mit flaren unzweideutigen Vorschriften zu thun haben, sondern daß wir immer auf die willkürliche Handhabung des famosen Vereins- und Versammlungs- ,, Rechts" seitens der Ortsbehörden rechnen müssen? Während die zu einem„ Bund" vereinigten, miteinander in engster Verbindung stehenden bürgerlichen Frauenvereine über das Bürgerliche Gesetzbuch, über das Handelsgesetzbuch 2c. 2c. und über darauf bezügliche Petitionen an den Reichstag ungehindert verhandeln können, dürfen Arbeiterinnenvereine nicht nur nicht die geringste Fühlung miteinander haben, es werden sogar Kommissionen mit wenigen Mitgliedern als Vereine" aufgelöst, und solche Vereine gesprengt, die in ihrem Kreise über wirthschaftliche Fragen verhandeln. Während die Führerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung ohne jede polizeiliche Kontrolle in Vereinen und öffentlichen Versammlungen gegen die Herrenmoral" unserer Gesetzgebung zu Felde ziehen und für die politische Gleichberechtigung der Geschlechter eine Lanze brechen, wird unseren Rednerinnen von der überwachenden Polizei das Wort entzogen, noch ehe sie den Mund aufgethan haben oder sobald ihnen auch nur das Wort Politik entschlüpft.
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Aber die Behörden würden uns nicht überall Steine in den Weg legen, wenn nicht eine höhere Macht antreibend hinter ihnen stände: das Unternehmerthum. Ihm ist ein Heer von stumpfsinnigen weiblichen Arbeitsmaschinen weit lieber, als eine Armee festorganisirter, selbständig denkender Frauen, die ihm gegenüber ihre Menschenrechte mit Erfolg geltend machen könnten. Gewiß, auch die bürgerliche Frauenbewegung hat ihre Gegner; aber es sind meist solche, die nur mit theoretischen Waffen zu Felde ziehen, weil sie ja einen direkten, einschneidenden Angriff auf ihren Geldbeutel von dieser Seite nicht zu fürchten haben. Sie sind für die bürgerliche Frauenbewegung die nothwendige dunkle Folie, von der
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Buschriften an die Redaktion der Bleichheit" sind zu richten an Fr. Alara Bettin( Eißner), Stuttgart , Rothebühl Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
sie sich besonders leuchtend abheben kann; für uns dagegen sind sie die tyrannischen Sklavenhalter, die stets drohen, die Rebellen mit der Hungerpeitsche zu Paaren zu treiben. Zahllos sind die Arbeite rinnen, die sich aus Furcht vor dem Verlust ihrer Stellung keiner Gewerkschaft anschließen, keine Versammlung besuchen und an feiner Agitation theilnehmen, so drückend sie auch ihr Loos empfinden mögen.
Doch die äußeren Hemmnisse sind es nicht allein, die uns entgegenstehen. Von innen heraus wachsen sie auch: wir haben in unseren Reihen keine Freunde und Gönner, die Tausende hergeben, um unsere Sache zu fördern. Uns fallen keine Legate und Erbschaften zu, wie etwa dem Allgemeinen deutschen Frauenverein, der ein Mädchen- Gymnasium davon zu gründen und alljährlich seine Günstlinge auf die Universitäten davon zu schicken vermag; Niemand schenkt uns zu Agitationszwecken zwanzigtausend Mark, wie es fürzlich einem bürgerlichen Frauenverein in Berlin geschah. Groschen für Groschen müssen wir uns das Nothwendigste zusammenfuchen; arme Arbeiterinnen müssen von ihren knappen Löhnen zusammenschießen, wenn sie einmal eine Rednerin zu sich kommen lassen wollen. Denn wir zählen keine unter uns, die in der Lage wäre, auf eigene Soften eine Agitationsreise zu unternehmen, und ver schwindend gering ist die Zahl derer, die sich ungetheilt mit allen Kräften der Arbeiterinnenbewegung widmen könnten. Fast alle müssen sich die Zeit, die sie ihr widmen, abringen; fast alle sind gezwungen, allein oder gemeinsam mit dem Manne um das tägliche Brot zu arbeiten. Da ist kaum eine, die, wie die Mehrzahl der Führerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, den größten Theil ihrer Zeit in den Dienst der Bewegung stellen kann, einer Bewegung, welche, wenn wir nicht nur ihre Bedeutung, sondern auch die Zahl der Frauen ermessen, die sie ergreifen sollte, Hunderte ungetheilter Arbeitskräfte erfordern würde. Und diese Arbeitskräfte müßten geschulte sein. In unseren Reihen kämpfen zum größten Theile arme Proletarierinnen, die kaum aus der Volksschule entlassen, gleich in den Kampf ums Dasein traten, die ihren rastlosen Bildungsdrang nur in färglichen Mußestunden befriedigen können, die selten die richtige Anleitung finden, um ihre Studien in ein nüßliches System zu bringen. Selbst der eisernste Fleiß, selbst der regsamste Geist vermag gegen den abgearbeiteten, müden Körper, gegen den von Kindheit an eingeengten Gesichtskreis nicht mit dem Erfolg anzukämpfen, den diejenigen beinahe spielend erreichen, die von Haus aus mit einer höheren Bildung ausgestattet sind und es nur noch nöthig haben, sie nach allen Richtungen hin zu vervollständigen. Wir brauchten Frauen, welche die Zeit, die Fähigkeit und die Kenntnisse haben, um nicht nur alle politischen Tagesereignisse mit selbständigem Urtheil zu verfolgen, sondern um auch die soziale Gesetzgebung des In- und Auslandes, die soziale Entwicklung der Kulturstaaten gründlich kennen zu lernen.
Vieles was uns auf der einen Seite hemmt, fördert uns auf der anderen. Die Verfolgung stärkt die Verfolgten; sie macht energischer, selbstloser; sie zeigt deutlich, auf welch' thönernen Füßen unsere Wirthschaftsordnung steht, da sie sich mit solchen Mitteln muß vertheidigen lassen; sie kräftigt das Solidaritätsgefühl, fie rüttelt selbst diejenigen aus dem dumpfen Hinbrüten auf, an deren Ohr unsere Worte bisher wirkungslos vorüberhallten. Und der Mangel an äußeren Mitteln weckt die beste Kraft des Weibes: die Aufopferungsfähigkeit, sie macht aus zagenden, demüthigen
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