Nr. 8.
Die Gleichheit
7. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch, den 14. April 1897.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Juhalt:
Arbeiterinnen, vertheidigt Euch!- Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. III. Von Ottilie Baader . IV. Von Auguste Jäger. Aus der Bewegung. Vermächtniß eines armen Mädchens. - Feuilleton: Beim verschämten Wohlthäter". Von J. H. Wehle. Kleine Nachrichten.
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Arbeiterinnen, vertheidigt Euch!
In der Fabrik, wo unter Getöse in sinnverwirrender Schnelle die Spindeln kreisen, die Schiffchen sausen, die Räder und Hebel sich regen; in der engen Werkstatt, wo eine dumpfe, schwüle Luft das Athmen erschwert, wo sehr oft das Licht nicht genügend Zutritt findet; in dem ärmlichen Zimmerchen, das Wohn- und Schlafftube, Küche und Werkraum zugleich ist: losgelöst von der früheren hauswirthschaftlichen Thätigkeit der Frau schafft die Arbeiterin.. Was ist ihr Loos?
Zehn Stunden, elf Stunden täglich muß sie sich mühen und noch mehr, dafern Ueberzeit gefordert wird, dafern die Noth zur Erwerbsarbeit daheim nach Feierabend anspornt; zum Arbeitstag fügt sich die Arbeitsnacht, wenn die Berufsthätige als Heimarbeiterin ihr Brot erwirbt. Ihre Arbeit ist meist eintönig und schon darum ermüdend, oft ist sie ihrer Natur nach anstrengend, ja aufreibend, der Gang der Maschine oder der Hunger zwingt die Schaffende zur äußersten Anspannung von Aufmerksamkeit und Kraft. Bei Weitem nicht immer sind die hygienischen Bedingungen im Werfraum mit Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeiterin gestaltet; sehr häufig mangeln die Schutzvorrichtungen, welche ihre Glieder und ihr Leben gegen Gefahren sicher stellen. Arbeiterinnenleben sind billig in einer Zeit, wo die Maschine mehr und mehr die Menschenarbeit verdrängt!
Karg bemessen ist der Lohn, den der„ Brotherr" der Proletarierin auszahlt, meist allzu farg. Nach vielen Tausenden zählen die Frauen und Mädchen, deren Verdienst stets an der Hungergrenze hin und herpendelt. Durchschnittliche Wochenlöhne von 9, 8, ja 7 und 6 Mark sind für ganze Arbeiterinnenkategorien die Regel. Und schwerer noch als die Dürftigkeit des Verdienstes empfinden die Arbeiterinnen bestimmter Industriezweige die tagtägliche Unsicherheit der Eristenz, das Hin und Her zwischen fieberhaftem Schanzen, Geschäftsflaue, vollständiger Brotlosigkeit.
Auf der Grundlage der ungünstigen Erwerbsverhältnisse baut sich die Existenz der Arbeiterin auf, reich an Mühen, Sorgen, Entbehrungen, arm an Erholung, Freude, Genuß: ein Leben als " Hand", als lebendes Anhängsel der todten Maschine, nicht als allseitig sich entwickelndes und bethätigendes Menschenwesen. Der Arbeiterin bleibt weder Zeit noch Kraft, an dem reichen zeitgenössischen Kulturleben jenen Antheil zu nehmen, der ein Entfalten und Erblühen des ganzen Ichs ermöglicht. Ihre Sklavenrast reicht kaum zum Ausruhen, die von der Ausbeutung gelassenen Brocken der Leistungsfähigkeit genügen höchstens zur nothdürftigsten Erfüllung der häuslichen Pflichten, und auch das nicht immer.
Ist vielleicht die Erzeugung der Güter so zeit- und kraftraubend, so wenig ergiebig, daß die werthschaffende Proletarierin nothwendigerweise in einer kulturwidrigen Eristenz verkümmern muß? Mit nichtem. Sinnreiche Arbeitsverfahren, kunstvolle Maschinen
Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Bettin( Eißner), Stuttgart , Rothebühl Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
sezen die für Erzeugung der Güter nöthige Zeit und Kraft mehr und mehr herab, steigern die Leistungsergebnisse der Arbeitskräfte um das Zehn- und Hundertfache, um das Tausendfältige. Läden und Vorrathshäuser vermögen die Fülle der Waaren kaum zir bergen, die Arbeiterfleiß erzeugte. In den Händen der großen Unternehmer, der großen Kapitalisten häuft sich märchenhafter Reichthum, und doch sind, die da so überreich ernten, nicht immer auch solche, die da säen. Wie viele sind nicht heutigentags der Kapitalgewaltigen, welche auch die Leitung ihrer Unternehmungen auf die Schultern bezahlter Angestellten abwälzen, und deren ganze ,, Auch- Arbeit" im Kuponschneiden und Einstreichen der Dividenden besteht?
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Nicht die Armseligkeit des Arbeitsertrags ist die Ursache, daß die Lohnsklavin in harter Frohn sich nichts als Darben erschafft. Vielmehr die Art der Vertheilung desselben auf Grund der heutigen Eigenthums- und Wirthschaftsordnung. Ihr zu Folge fällt den Besizern der großen Arbeitsmittel und wären diese Besizer gesellschaftliche Drohnen der Löwenantheil von den Früchten der Arbeit zu, den Arbeitskräften dagegen, den emfigen Arbeitsbienen nur ein bescheidener Theil. Nicht die Rücksicht auf die billigen Wünsche, auf die dringendsten Bedürfnisse der Arbeiterin bestimmen die Größe dieses Theils. Es entscheiden darüber die Marktverhältnisse auf dem Arbeitsmarkte, denn zu einer Waare ist die Arbeitskraft geworden, und sie wird gekauft und verkauft wie andere Waaren auch, ohne Rücksicht darauf, daß lebendiges Menschenthum an ihr hängt. Armuth und Unfreiheit wird deshalb der Arbeiterin Loos bleiben, solange die bürgerliche Eigenthums- und Wirthschaftsordnung besteht, und diese zu stürzen muß mithin das vornehmste Ziel der Proletarierin sein.
Aber heißt das etwa, daß sie im Hinblick auf ihre Zukunftshoffnungen mit ihrem Gegenwartselend sich ruhig, thatenlos abfinden soll? Ganz im Gegentheil.
Warum denn muß die Arbeiterin langes und schweres Wirken, ungesunde Arbeitsbedingungen, oft als Draufgabe grobe Behand lung und bösartige Chikanen auf sich nehmen gegen ein Entgelt von wahren Bettelpfennigen?
Weil sie für ihren Unterhalt nur auf ihre Arbeit angewiesen ist, und weil sie unter den bestehenden wirthschaftlichen Verhältnissen, in der heutigen Gesellschaft ihre Arbeitskraft auf Produktionsmittel übertragen muß, die sich nicht in ihrem Besiz befinden. Nicht ihr eignet die Maschine, die doch erst durch ihre raschen Handgriffe in Bewegung gesezt wird; nicht ihr gehört der Stoff, den ihre fieberhaftig schaffenden Finger zum eleganten Kostüm gestalten; nicht sie hat Antheil an dem Feld, dessen Früchte sie im glühenden Sonnenbrand einbringen hilft. Die Produktionsmittel sind Eigenthum von Kapitalisten, und wenn die Arbeiterin sich des Lebens Nothdurft erringen will, so ist sie gezwungen, ihre Arbeitsfraft an einen Befizer von Produktionsmitteln zu verkaufen.
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Die freie Arbeiterin geht mit dem Unternehmer einen freien Arbeitsvertrag ein", erklärt die verlogene bürgerliche Weisheit und macht sich damit der gewissenlosesten Wortfalschmünzerei schuldig. Denn die Proletarierin, die arbeiten muß, um essen zu können, und die nur Brotarbeit findet, dafern ein Anwender ihr solche giebt", fann in Wirklichkeit nur wählen zwischen ihrer Freiheit", unter schlechten Arbeitsbedingungen sich vorzeitig zu
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