Ich lasse die Frage offen, ob vielleicht später, wenn uns mehr Kräfte zur Verfügung stehen, Gruppen organisirt werden können, welche in dem von Genossin Braun geschilderten Sinne thätig sind. Haupt­bedingung für eine bessere, umfassendere, gründlichere Ausbildung der Genossinnen ist meiner Ansicht nach nicht die Gründung besonderer Frauengruppen. Wohl aber mehr freie Zeit, bessere Lebensverhältnisse, damit die in unseren Tagen ungemein bildungsdurstige proletarische Frau lernen, sich entwickeln und auch im Kampfe für die sozialistische Idee mehr zu leisten vermöge als gegenwärtig.

Auguste Jäger- Leipzig.

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Genossin Ihrer, die vor dem Tribunal zu Schweidnitz   unter der Anklage erscheinen mußte, Staatseinrich­tungen verächtlich gemacht zu haben, nutzte ihre Anwesenheit in Schlesien   zum Abhalten mehrerer Agitationsversammlungen aus. Sie sprach in Langenbielau  , Reichenbach, Blumenau und Rasch­dorf. Sämmtliche Versammlungen waren ausgezeichnet besucht, und die Hörer gaben ihre Zustimmung zu den Ausführungen der Referentin durch reichen Beifall zu erkennen. In Raschdorf hatten die Gegner alles aufgeboten, eine Mehrheit in der Versammlung und womöglich das Bureau in ihre Hände zu bekommen. Es sollte der Rednerin das Sprechen unmöglich gemacht werden. Trotzdem fiel die Leitung der Versammlung unseren Parteigenossen zu, und Genossin Ihrer fonnte ihr Referat ohne störende Zwischenfälle halten. Im Anschluß an ihre Ausführungen über die neuesten Heer- und Marineforderungen nahm die auch von zahlreichen Frauen besuchte Versammlung mit überwältigender Mehrheit eine Resolution an, welche gegen die geplanten Mehrausgaben für Heer und Flotte entschieden protestirt und die betreffenden Forderungen für einen weiteren Grund erklärt, daß das arbeitende Volk sich der Sozialdemokratie anschließt.

In Leipzig   und Umgegend hielt Genossin Ihrer sehr gut besuchte und äußerst wirksame Versammlungen ab. Im Felsenkeller zu Leipzig  - Plagwitz   sprach sie über Die Theilnahme der Frauen am Emanzipationskampfe der Arbeiter". An der Hand zahlreichen Thatsachenmaterials zeichnete sie ein Bild der wirthschaftlichen Um­wälzung, welche die Thätigkeit und Stellung der Frau revolutionirt, Millionen aus Nur- Hausfrauen in Berufsarbeiterinnen verwandelt hat. Eindringlich wies sie hierauf nach, welches zwingende Interesse die Proletarierin hat, am politischen und gewerkschaftlichen Kampfe ihrer Klassengenossen theilzunehmen. Als die Referentin im Laufe

Beim verschämten Wohlthäter".

Von J. H. Wehle.

Ich habe einen speziellen Hausarmen, und der König hat feinen besseren Bettler als ich; denn mein Klient ist ein wohl­bestallter Millionär, der mehr Aftien in seinem Feuerfesten verwahrt hält, als ich Papierschnitzel in meinem Schreibtisch. Daß er meine Bettelfundschaft wurde, das kam so: Der arme Millionär hatte die Gewohnheit, immer über die schlechten Zeiten zu klagen, Zucker und Kaffee werden immer theurer und die Coupons immer schmäler. Da wurde im Kreise von Bekannten die Frage aufgeworfen, was Herr Jammermann thun würde, wenn man ihm ein Almosen gäbe. Ich wurde mit der Ausführung des Versuches betraut.

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Nun, wie geht's?" fragte ich den armen Millionär beim nächsten Zusammentreffen.

Schlecht, große Familie, kostspieliger Haushalt..." Immer das alte Lied; aber Sie wissen, daß ich Niemanden leiden sehen kann. Da haben Sie einen Beitrag zur Bestreitung Ihres Haushalts."

Dabei reichte ich ihm ein Vierkreuzerstück. Ich erwartete, daß er es zurückweisen würde. Aber das that er nicht. Herr Jammermann verdirbt nicht leicht den Scherz und ist namentlich ein Freund von praktischen" Späßen. Er steckte also die Münze lachend ein, und was die Hauptsache ist, er gab sie nicht zurück.

Seither erhält er regelmäßig sein Almosen, und dieser Ver­kehr hat sich im Laufe der Zeiten weiter ausgebildet. Er nimmt auch abgelegte Kleider entgegen. Für seine Verschämten", wie Herr Jammermann stets hinzufügt.

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Denn Herr Jammermann ist auch öffentlicher Wohlthäter, und die verschämten Armen" sind seine Spezialität. In den Zeitungen erscheinen die Ausweise über die Gaben, die er von Anderen für seine Verschämten gesammelt, die Ausweisung über

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ihrer Darlegungen erklärte: Nur in der gewerkschaftlichen Bewegung können sich die Frauen frei bewegen, ohne behördlichen Chikanen zu begegnen", entzog ihr der überwachende Polizeibeamte das Wort. Offenbar von Rechts wegen", denn im Hause des Gehenkten soll man nicht vom Strick reden". Ueber das Thema: Moderne Sitten­anschauungen" referirte Genossin Ihrer im Pantheon zu Alt- Leipzig. In fesselnder Weise und unter scharfer Kritik des Gegensatzes in der bürgerlichen Welt zwischen der mit den Lippen bekannten und der geübten Moral, zeigte die Referentin, daß die Sittenanschauungen sich mit den wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Umgestaltungen gleichfalls wandeln. Ihre Ausführungen gipfelten in dem Satze, daß erst die Umwandlung des Privateigenthums in Gemeinbesitz die Vor­bedingung für das Entfalten einer neuen, höheren Sittlichkeit schaffe. In Gaußsch sprach Genossin Ihrer in einer öffentlichen Versamm lung der Textilarbeiter und Arbeiterinnen über die zeitgemäße Frage: ,, Wollen die Arbeiterinnen eine Verkürzung der Arbeitszeit?" Ueber­zeugend wies sie die Gründe für die Bejahung dieser Frage nach. Die äußerst rührige Agitation der Leipziger Parteigenossinnen hatte wesentlich dazu beigetragen, daß sämmtliche Versammlungen auch von Seiten der Frauen sehr gut besucht waren. Die Agitation hatte hauptsächlich in der Vertheilung von Handflugblättern bestanden. Sowohl die politischen wie die gewerkschaftlichen Organisationen haben durch die drei Versammlungen neue Mitglieder gewonnen, der beste Beweis, daß die trefflichen Worte unserer rührigen Genossin nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen sind.

A. J.

Für den Textilarbeiter Verband unternahm Genossin Greifenberg   Berlin   vom 16. Februar bis 7. März eine Agitations­tour durch Sachsen  . In Lindenau  , Gohlis  , Schönefeld  , Großenhain  , Meißen  , Freiberg  , Baußen, Gersdorf   und Ullersdorf in Böhmen   fanden Versammlungen statt, die gut besucht waren. Genossin Greifenberg   wies in schlagender Weise und unter reichem Beifall die Nothwendigkeit der gewerkschaftlichen Organisation und des wirthschaftlichen Kampfes auch für die Arbeiterinnen nach. In allen Orten, wo sie referirte, hat der Textilarbeiter- Verband männliche und weibliche Mitglieder gewonnen.

Von der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeite­rinnen. In der Stadt Altenburg   waren 1896 in zwanzig Berufen 1934 Arbeiter und 207 Arbeiterinnen gewerkschaftlich organisirt. Den 2141 organisirten Arbeitskräften standen zusammen 4429 un­organisirte gegenüber, unter denen sich 332 Lehrlinge befanden. Bringt man deren Zahl in Abzug, so war über die Hälfte der beschäftigten Arbeiterschaft gewerkschaftlich organisirt, die Lehrlinge einbegriffen

die Vertheilung dieser Spenden werden aber nicht veröffentlicht, denn sonst wären es ja teine Verschämten. Man weiß daher nicht genau, wie viel Herr Jammermann aus eigener Tasche auf den Altar des verborgenen Elends niederlegt. Daß aber die Summe sehr groß sein muß, wird als selbstverständlich angenommen, auf Grund der eigenen Andeutungen des Herrn Jammermann. Eine bestimmte Summe hat er nie angegeben. Denn darin hält er sich strikte an das Wort Fieldings: Doing good by stealth", das Gute nur im Verborgenen zu üben, als wäre Wohlthun ein Verbrechen. Nur mit einem ist er jederzeit sehr freigebig, mit Rathschlägen. Kein Armer verläßt sein Haus, ohne eine Fülle guter Lehren, und das ist gewiß ein Schatz, den sie nicht so leicht verlieren oder ausgeben können wie baares Geld. Aber von direkten Spenden des Herrn Jammermann fann man, wie gesagt, nichts Gewisses erfahren. Er ist zu zartfühlend davon zu sprechen, und dasselbe Zartgefühl ist wahrscheinlich schuld daran, daß er empfangene Geschenke weder zurückweist noch mit Gegen­geschenken erwidert. Er will den Geber nicht verlegen, und das würde gewiß geschehen, wenn das Geschenk so groß ist, denn dann würde ein Gegenpräsent so gedeutet werden, als ob Herr Jammer­mann sich beeile, einer Verpflichtung gegen den Spender ledig zu werden. Kleinere Aufmerksamkeiten aber darf man schon deshalb nicht zurückweisen, um den Schein der Prozigkeit zu vermeiden. Also ist es pures Zartgefühl, daß Herr Jammermann Geschenke nur nimmt und niemals giebt.

Zartgefühl ist überhaupt seine stärkste Seite, wie der folgende rührende Zug beweist. Er hatte einem Geschäftsfreund eine Ge­fälligkeit erwiesen, keine, die sich in Geld oder Geldeswerth umseßen ließe. Jammermann hatte dem Betreffenden einen Empfehlungs­brief an ein Geschäftshaus gegeben. Nun wußte der zartfühlende Jammermann, daß der Empfohlene sich ihm verpflichtet fühlte, und daß er fortwährend darauf sann, wie er seinen Dank am besten