proletarischen Frauen für Wahrung ihrer wichtigsten Interessen nicht recht ist, das ist den höheren Töchtern" zur Kurzweil müßiger Stunden billig. Eine Satire auf diese Zustände braucht nicht erst geschrieben zu werden.
Die öffentliche Jahresversammlung des englischen Zentralausschusses für Frauenarbeit fand im Januar zu London statt. Mr. Haldane, der Vorsitzende der Organisation, bezeichnete es als deren Hauptaufgabe, nicht etwa die oder jene Theorien und Parteien zu unterstützen, sondern durch Schaffung einer gesunden öffentlichen Meinung die Erwerbsverhältnisse der Frauen zu verbessern. Er betonte, daß die Interessen der Frauen erst dann gebührende Berücksichtigung finden würden, wenn das weibliche Geschlecht in den Besitz des Stimmrechtes gelangt sei. Mrs. Homan berichtete über mehrere Seiten der Thätigkeit des Ausschusses. Er suchte die Berufsbildung der Blumenmacherinnen zu verbessern, um ihnen zu höheren Löhnen zu verhelfen. Er regte bei dem Londoner Grafschaftsrathe( Sektion für technischen Unterricht) an, daß ein Kursus für Kinderhygiene ins Leben gerufen ward. Er begann eine Enquete über die Lebensverhältnisse der lohnarbeitenden Kinder. Mrs. Hicks berichtete über die angestellten Versuche der Gruppe für Erziehung und Organisation, eine Leihbibliothek für die girl's clubs( halb Vergnügungs-, halb Bildungsvereine für Arbeiterinnen) zu gründen. Mrs. Schwann aus Manchester referirte über das Wirken des dem Zentralausschuß föderirten, aber selbständigen Frauen- Gewerkschaftsraths der genannten Stadt. Derselbe legt den Schwerpunkt seiner Aktion darauf, die Arbeiterinnen gewerkschaftlich zu organisiren. Mrs. Schwann rühmte die Unterstützung, welche der Gewerkschaftsrath seitens der organisirten Arbeiter erfährt. Sie betonte die gemachte Erfahrung, daß die besser gestellten Arbeiterinnenkategorien leichter der Organisation zuzuführen seien, als Arbeiterinnen, die zu den niedrigsten Löhnen und unter den ungünstigsten Bedingungen schaffen. Von verschiedenen Seiten wurde die Nothwendigkeit betont, größere Geldmittel für den " Zentralausschuß" zu beschaffen. Derselbe verfügt jetzt über eine Jahreseinnahme von ungefähr 2000 Mart, während die Durchführung des festgelegten Arbeitsplanes ein Budget von mindestens 4000 Mark zur Voraussetzung hat und weitere 2000 Mark erforderlich sind, um eine energische Wirksamkeit der Organisation zu ermöglichen. Der Mangel an Mitteln ist von wesentlichem Einfluß darauf, daß die bisherigen Arbeiten des Zentralausschusses" sehr wenig den an seine Gründung geknüpften überschwänglichen Hoffnungen entsprechen.
* Einen Gesetzentwurf zu Gunsten des passiven Wahlrechts der Frauen für die englischen Grafschaftsräthe hat Mr. Bonsfield dem Unterhause vorgelegt. Als im Jahre 1894 die Lokalverwaltung in England neu geregelt und die Grafschaftsräthe in ihrer jetzigen Form eingerichtet wurden, glaubten die Frauen, daß sie nach dem Wortlaut des Gesetzes gewählt werden dürfen. Mehrere weibliche Kandidaten errangen nicht nur den Sieg über die männlichen, sie nahmen auch bereits ungehindert ihre Pläge im Londoner Grafschaftsrath ein, als einer der unterlegenen Gegenkandidaten sich beschwerdeführend an den Obersten Gerichtshof wandte und dieser die gesetzliche Giltigkeit der Neuerung bestritt. Die Frauen waren daraufhin gezwungen, ihre Plätze zu verlassen.
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* Ein Streik der Plüschweber in Reddish in England ist durch den Mangel an Solidaritätsgefühl seitens ihrer weiblichen Arbeitsgenossen ungünstig verlaufen. An Stelle der streikenden Arbeiter, die 25 Schilling wöchentlich verdienten und für ihre höchst gesundheitsschädliche Arbeit das Einathmen der feinen Plüschfasern hat nach fürzerer oder längerer Zeit fast immer Lungenleiden im Gefolge mehr forderten, traten sofort Frauen ein, die sich bei derselben Leistung und Arbeitszeit mit nur 17 oder 18 Schilling begnügten. Die Fabrikanten lachen sich natürlich ins Fäustchen und werden kaum aus Rücksicht auf das„ Familienleben" und die„ zarte Weiblichkeit" den billigen Arbeiterinnen wieder die Arbeiter vorziehen. Zu Hunderten stehen die Armen jetzt vor den Fabriken und versuchen ihre Konkurrentinnen aufzuklären; bei den meisten dürfte es zu spät sein, und der verlorene Ausstand wird nur die eine günstige Folge haben, daß wieder einmal männliche Arbeiter einsehen, wie nothwendig es auch in ihrem eigenen Interesse ist, die Frauen gemeinsam mit den Männern zu organisiren.
Das Stimmrecht für die unverheiratheten Frauen Finn lands wurde von dem Bürgerstande auf dem Landtage gefordert. Ein Erfolg der Forderung ist sehr wahrscheinlich. In den finnländischen Landgemeinden besitzen die Frauen schon lange die gleichen Rechte wie die Männer; der Gedanke, ihnen auch das politische Wahlrecht einzuräumen, hat deshalb für die Bevölkerung nichts Erschreckendes, Zopfsträubendes an sich, wie für die Masse der gutgesinnten deutschen Philister.
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Zur Bekämpfung der Kindersterblichkeit hat der Gemeinderath von Antwerpen beschlossen, eine Beihilfe von 500 Fres. zur Errichtung einer Verkaufsanstalt für sterilisirte Milch zu gewähren. Dieser Beschluß ist sicher gut und nüßlich, wird aber seinen Zweck nicht im Entferntesten in dem Maße erreichen, wie dies seitens einer wirksamen Arbeiterschutzgesetzgebung, insbesondere zu Gunsten der Frauen, der Fall wäre.
Wenn Menschen schweigen, werden- Kleider reden. Diese Variation des bekannten Bibelwortes drängt sich unwillkürlich auf die Lippen, wenn man dem auf Schritt und Tritt uns entgegengrinsenden Massenelend folgende Mittheilungen französischer Zeitungen gegenüberstellt:„ Cannes weist gegenwärtig unzweifelhaft die höchste weibliche Eleganz in Gestalt der Fürstin Luise von Coburg - Gotha auf. Obgleich dieselbe nur für einen Monat ihren Aufenthalt hier genommen, hat sie ihre Pferde und Equipagen mitgebracht. Ein ganzes Zimmer ihrer Wohnung ist für die Hüte reservirt, deren Zahl 120 beträgt. 3wei andere Gemächer dienen als Garderobezimmer, 200 der kostbarsten Toiletten sind hier untergebracht. 80 große Koffer waren erforderlich, um die fürstliche Garderobe zu transportiren." Wie zahlreich sind die vielköpfigen Proletarierfamilien, denen nicht soviel Räume zur Verfügung stehen, wie sie zur Bergung des Toilettenreichthums von„ Gottes Gnaden" erforderlich sind, der weniger an den persönlichen Gebrauch als an einen Konfektions- und Modebazar erinnert! Die höchste weibliche Eleganz" fann in einem Monat in 200 Kleidern und 120 Hüten prunken, und Tausende und Hunderttausende proletarischer Männer, Frauen, Kinder vermögen kaum ihre Blöße zu decken, gehen in dünnen, zerrissenen Fähnchen, in durchlöcherten Schuhen durch Wetter und Wind, durch Regen und Schnee. Doch wir leben in der besten und vernünftigsten aller Welten, und die hut- und toilettenfrohe Fürstin hat jedenfalls die heilige Stellung des Weibes" und seine Aufgaben richtig erfaßt. Und zwar von„ Gottes Gnaden", wer dürfte daran zweifeln?
Die Entwicklung und der Stand des Frauenstudiums in den verschiedenen Ländern erhellt aus den folgenden Angaben. In Nordamerika ließ das Oberlin- Kollege bereits 1833 Frauen zum Studium zu. 1886 zählte man 266 Frauen- Kolleges und 263 Kolleges, an denen Männer und Frauen studiren. 1849 bestand in Amerika der erste weibliche Arzt sein Examen. Gegenwärtig wird dort die Zahl der studirten Frauen auf 60 000, die der noch studirenden auf 65 000 geschätzt. In England werden die Frauen seit 1878 zu allen Examen und akademischen Graden zugelassen. Von 1877-95 haben in ganz England 260 Frauen das medizinische Staatsexamen bestanden, von den Studentinnen des„ London School of Medicin for Women" und des„ Royal Free Hospital " 183. In Frankreich erhielt 1861 an der Universität Lyon zum ersten Male eine Frau den Doktorgrad. Seit 1870 nahm die Zahl der in Frankreich studirenden Frauen ständig zu, die Mehrzahl derselben waren jedoch bisher Nichtfranzösinnen, sondern Russinnen und Polinnen. Seit mehr als einem Menschenalter stehen die Universitäten der Schweiz den Frauen offen. Bis zum Schluß des Sommersemesters 1886 hatten hier 201 Studentinnen das medizinische Doktorexamen mit Erfolg bestanden. Auch in der Schweiz stellen Russinnen und Polinnen das stärkste Kontingent der weiblichen Studenten. Zu den Universitäten werden die Frauen zugelassen in Schweden seit 1870, in Dänemark , Finnland , Holland und Indien seit 1875, in Belgien und Italien seit 1876, in Australien seit 1878, in Norwegen seit 1884, in Irland seit 1886 und in Ungarn seit 1895. In Rußland hatten sich in den achtziger Jahren aus den Hebammenkursen medizinische Kurse für Frauen entwickelt, die von 1091 Studentinnen besucht wurden, von denen ca. 700 das Doktordiplom erlangten. 1882 wurden diese Kurse aus politischen Gründen geschlossen. Nach der Thronbesteigung Nikolaus II. wurden sie wieder eröffnet, und die Aerztinnen erhielten das Recht, nicht blos wie bisher schon an Hospitälern staatlich angestellt zu werden, sondern auch bis zum Chefarzt avanciren zu können. Ferner wurden die Staatsärztinnen pensionsberechtigt, und die Semstwo( Provinzialverwaltungen) dürfen an den Kreisspitälern weibliche Aerzte anstellen. Da Desterreich die Zulassung der Frauen als ordentlicher Hörerinnen zum Studium der Philosophie beschlossen hat und ihnen die Eröffnung der medizinischen Fakultät in Aussicht stellt, so ist Deutschland das einzige Kulturland, welches die Frauen nur als Hospitantinnen und nicht als vollberechtigte Studirende zu den Universitäten zuläßt. Erst am 16. Juli 1896 hat der preußische Unterrichtsminister die Universitätsfuratoren ermächtigt, selbst über die Zulassung der Frauen als Hospitantinnen zu den Vorlesungen zu entscheiden. Von dem Rechte zu hospitiren machten im Wintersemester 1895/96 in Deutschland 153 Frauen Gebrauch, in Desterreich 18.