Nr. 10.
Die Gleichheit
7. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die ,, Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Stuffgart
Mittwoch, den 12. Mai 1897.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
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Inhalt:
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Aufruf! Warum ist für die Arbeiterinnen die gewerkschaftliche Organisation besonders nöthig? Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Aus der Bewegung. Warum Vorschlag. VII. Von Marie Greifenberg. kann die Frauenbewegung nicht unabhängig bleiben? Von Lily Braun . Frauen im Betriebe der preußischen Staatseisenbahn- Verwaltung. Von P. H. Feuilleton: Gevatter Tod . Von Henrik Pontoppidan . Arbeitslos. ( Gedicht.) Von Ada Negri . Kleine Nachrichten.
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Aufruf!
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Genossinnen! Seit etlichen Tagen vor Ostern stehen in NeuIsenburg bei Frankfurt a. M. die Wäscherinnen im Streif. Wahrhaft erbärmliche Arbeitsbedingungen trieben sie in den Kampf:
niedrige Löhne, ungesunde Arbeitsräume, ungenügende Rost und vor allem eine unmenschlich lange Arbeitszeit. Nur in 16 von 76 Betrieben beträgt dieselbe 11 Stunden; in den übrigen Wäschereien sind Arbeitstage von 14-16 Stunden keine Seltenheit, es wird hier und da aber auch 20stündige Frohn gefordert, und dieses mehrere Tage nacheinander. Die von den Wäscherinnen behufs Besserung ihrer Arbeitsbedingungen eingeleiteten Verhandlungen mit den Wäschereibesitzern blieben erfolglos. Nur der kleinste Theil der Unternehmer bewilligte die gestellten Forderungen. So kam es zum Kampfe, in dem gegenwärtig noch 138 Arbeiterinnen stehen. Im Vordergrund ihrer Forderungen steht das Verlangen nach Verkürzung und Regelung der Arbeitszeit. Die meisten Wäscherinnen sind verheirathete Frauen, denen die jetzige unbeschränkte Auswucherung ihrer Arbeitskraft jede Möglichkeit zu treuer Pflichterfüllung in der Familie raubt.
Die Wäschereibefizer rechnen darauf, daß der Hunger die Streifenden zu Paaren treibt. Bis jetzt hat die Organisation der Wäscherinnen und die thatkräftige Solidarität der Arbeiterschaft von Isenburg und Umgegend die schlimmste Noth abgewehrt. Soll jedoch die Fort führung des Kampfes bis zum Sieg ermöglicht werden, der in sicherer Aussicht steht, dafern die Streifenden nur noch kurze Zeit auszuhalten vermögen, so muß sich nun das Solidaritätsgefühl weiterer Kreise bethätigen.
Genossinnen! Wir erachten es als Eure Pflicht, helfend einzugreifen und durch Beschaffung materieller Mittel zum erfolgreichen Ausgang des Kampfes beizutragen. Es gilt nicht blos den Aermsten der Armen, den Ausgebeutetsten der Ausgebeuteten unter den prole tarischen Frauen bessere Arbeitsbedingungen zu erringen, es gilt vor allem die unter den schwierigsten Umständen ins Leben gerufene und wirkende Organisation der Wäscherinnen zu erhalten, auf deren Vernichtung es das Unternehmerthum abgesehen hat. Schon dauert der Kampf in die dritte Woche und die Streifenden haben bis jetzt nicht eine Fahnenflüchtige zu verzeichnen, aber der Hunger macht schließlich auch eine starke Widerstandskraft mürbe.
Genossinnen! Thut allerorts das Eurige, damit der kämpfenden Arbeit der Sieg werde!
gegen.
Beiträge für die Streifenden nehmen die Unterzeichneten ent
Den 30. April 1897.
Frau M. Wengels , Vertrauensperson, Berlin O, Fruchtstr. 30, Querg. II. Frau C. Zetkin, Redakt. der„ Gleichheit", Stuttgart , Rothebühlstr. 147. Die Arbeiterpresse wird um Abdruck gebeten.
Buschriften an die Redaktion ber Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara 3ettin( Eißner), Stuttgart , Rothebühl Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
Warum ist für die Arbeiterinnen die gewerkschaftliche Drganisation besonders nöthig?
Der Klassengegensatz zwischen Reich und Arm, zwischen Kapitalisten und Proletarier liefert die Arbeiterin dem Unternehmer zu schonungsloser Ausbeutung aus. Er ist die Wurzel, aus der für den ausbeutenden Herrn reicher und überreicher Gewinnst empor= sprießt, eine mehr als auskömmliche und angenehme, oft lururiöse und müßiggängerische Eristenz, eine Herrschaftsstellung; für die ausgebeutete Arbeiterin dagegen lange Werkeltage voll aufreibenden Schaffens und Mühens, fargen Verdienst, ein hartes, freudenarmes, entbehrungs- und sorgenreiches Dasein, ein bitter empfundenes Sklavenloos. Will die Arbeiterin die Wirkungen dieses Klassengegensages etwas mildern, strebt sie nach besseren Arbeitsbedingungen als der Grundlage für etwas lichtere Tage, so muß sie sich, wie wir in Nr. 8 nachwiesen, gewerkschaftlich organisiren. Die gewerkschaftliche Organisation verleiht ihr die Möglichkeit, der Kapitalistengewalt gegenüber Arbeiterrecht zu vertheidigen, sie stellt zu Gunsten der erwerbsthätigen Proletarierin Macht der Macht entgegen.
In ihrer Eigenschaft als Proletarierin bedarf die Lohnarbeiterin des Schußes durch die Gewerkschaft, wie der Lohnarbeiter seiner bedarf. Allein die Arbeiterin hat diesen Schutz noch dringender und in höherem Maße nöthig als ihr Bruder der Frohn und Armuth. Denn ihr Weibsein bedingt für sie als proletarische Arbeitskraft auf der einen Seite ganz besonders fühlbare, schädliche Folgen der Ausbeutung, auf der anderen Seite aber eine geringere Widerstandskraft gegen die Ausbeutung.
Daß langes Schaffen, Nachtarbeit, zu kurze Pausen, die Berufsthätigkeit in bestimmten Industriezweigen, unhygienische Arbeitsräume 2c. die Gesundheit der Arbeiterin besonders schädigen, sie in fürzerer Frist und tiefer erschüttern als die des Arbeiters: das empfinden Tausende und Abertausende proletarischer Frauen tagtäglich am eigenen Leibe. Wissenschaftliche Forschungen von Aerzten, Hygienikern, Sozialpolitikern haben das längst und wiederholt gründlich bestätigt. Der Organismus der Frau ist nicht so kräftig, gewissen gesundheitsschädlichen Einflüssen gegenüber ist er empfänglicher, weniger widerstandsfähig als der des Mannes. Schwangerschaft, Entbindung und andere Vorgänge, welche mit dem Geschlechtsleben des Weibes zusammenhängen, bedingen zeitweise einen größeren Kräfteverbrauch, den die schlecht gezahlte Arbeiterin nicht durch entsprechende Nahrung, Pflege und Nuhe wett zu machen vermag. Die häuslichen Pflichten, welche ihr nach Feierabend und früh vor Wiederaufnahme der Brotarbeit obliegen, stellen schwere Anforderungen an ihre Kraft und Leistungsfähigkeit. Kein Wunder in der Folge, daß die hundertfältig schädigenden Einflüsse der kapitalistisch ausgebeuteten Berufsarbeit der Gesundheit und Lebenskraft der Arbeiterin besonders verhängnißvoll werden, so verhängnißvoll, daß sie sich zum großen Theil auf das junge Leben übertragen, das in ihrem Schoße feimt.
Der Pflichtkreis der proletarischen Frau ist mit dem Nackern ums liebe Brot nicht erschöpft. Noch ehe sich Morgens das Thor der Fabrik für sie geöffnet, kaum daß es sich Abends hinter ihr geschlossen, in der kurzen Mittagspause, dafern das ärmliche Heim nicht zu entfernt von der Arbeitsstätte liegt, regt sie im Hause die