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hinein von Völkerfrieden und allgemeiner Volksbeglückung, der Mann, der für diese Ideale arbeitet, weiß, daß er auf einem ganz bestimm­ten Wege Schritt vor Schritt vorwärts gehen, hunderterlei Hemmnisse mühsam forträumen und viele Feinde, die ihn zurückhalten oder ihm entgegentreten, überwinden muß.

thätigkeiten aufgereizt haben. Diese Auffassung steht im Widerspruch| beweist, wie jung sie noch ist; der Jüngling schwärmt ins Blaue zu dem Sinn des an anderen schlesischen Orten unbeanstandet abge­haltenen Referats. Genossin Greifenberg bezweckte, die Arbeiterinnen für den Anschluß an die Gewerkschaftsorganisation zu gewinnen. Jm Gegensatz zu den Lehren der Geschichte sind die Breslauer Behörden der Ansicht, durch polizeiliche Schärfe und jesuitische Klügelei eine Bewegung aufhalten zu können, die wie die der proletarischen Frauen mit Naturnothwendigkeit aus den sozialen Verhältnissen emporwächst. Ihrer harrt die bitterste Enttäuschung.

Warum kann die Frauenbewegung nicht unabhängig bleiben?

Alle Bewegungen, die von wohlmeinenden bürgerlichen Ideologen ausgingen, wurden, bei ihrer ersten Entstehung, feierlich als partei­lose" proklamirt. Der schöne, unter edeldenkenden Menschen auch aus­führbare Gedanke, daß Angehörige verschiedener religiöser, politischer und philosophischer Richtungen sich im persönlichen Verkehr über diese Differenzen hinwegsehen, und den sachlichen Gegner nicht als einen persönlichen verfolgen und verunglimpfen sollen, wurde in einem sentimentalen Ueberschwang der Gefühle verallgemeinert, indem man erklärte, daß sachliche Gegner in ihrer öffentlichen Thätigkeit, sofern sie nur humane Gesinnungen haben, gemeinsame Sache machen könnten. Im praktischen Leben unerfahrene Schwärmer sind oft im Stande gewesen, an dieser Meinung lange festzuhalten. Der schroffe Charakter, den das Parteileben leicht annimmt, die Härten, die es häufig für das persönliche Leben des Einzelnen mit sich bringt, die Schranken, die es selbst zwischen einander Nahestehenden aufzurichten vermag, sind die Ursache, warum weiche, milde Naturen es vollständig ver­dammen; stehen sie dabei selbst außerhalb jedes politischen Meinungs­tampfes, so liegt keinerlei Veranlassung vor, sie ihres Standpunktes wegen anzugreifen. Bewegen sie sich jedoch mitten in diesem Kampf, nehmen sie Stellung zu den Fragen der inneren und äußeren Politik und behaupten sie dabei dennoch parteilos zu sein, so liegt die Ver­pflichtung vor, diesen Irrthum aufzudecken, der geeignet ist, in un­tlaren Köpfen Konfusion hervorzurufen.

Auch die Frauenbewegung soll, wie viele ihrer Trägerinnen aus dem bürgerlichen Lager ebenso naiv wie enthusiastisch erklären, partei­los sein; sie soll über den Parteien" stehen. Schon diese Erklärung

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Gevatter Tod .

Don Henrik Pontoppidan.*

Draußen im Osten, hinter dem langen zusammengesunkenen Wallgraben, der die Grenze zwischen der Gemeindeweide und den eigentlichen Dorfländereien bildete, lag ein kleines hübsches Käthner­häuschen mit grünen Fensterrahmen, weinlaubgeschmücktem Giebel und Bienenkörben die Gartenhecke entlang. Einsam und traurig lag es auf der grauen steinigen Erde, die sich nach der Föhrde zu schräg abdachte. Aber in dem kleinen zierlich angelegten Garten vor dem Häuschen stand ein prangender Flor der feinsten und seltensten Blumen. Namentlich im Sommer, wenn die Ranken und Schlinggewächse hoch auf das Strohdach hinaufkletterten und wenn auf den kleinen Zwergbäumen, deren Zweige sich unter ihrer Last zur Erde bogen, die Früchte zwischen dem Laube reiften, sah es inmitten der mageren, trostlosen Dede bezaubernd aus eine tropische Dase, ein tausendfarbiger Blumenforb, der seinen feinen flüchtigen Wohlgeruch in den bittersalzen Athem des Meeres hinaus­sandte. Es war in Wirklichkeit erstaunlich, was man auf dem kleinen Fleckchen Erde alles hervorgebracht und durch sorgsame liebe­volle Pflege zur Blüthe gebracht hatte. Und an manchem stillen Sommerabend, wenn die Sonne sich zum Untergehen rüstete, kamen einzeln oder paarweise die Dorfbewohner mit Pfeife oder Strick­strumpf heraus, um sich am Anblick des hervorgezauberten Reich­thums zu erfreuen. Das Paradies der Käthnersleute" hieß es wohl auch gewöhnlich in der Leute Mund; ja es gab wohl Manchen, der nahe daran war, zu glauben, daß auf der Stätte in Wirk­lichkeit ein besonderer Segen ruhe.

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Die Käthnersleute selbst wußten freilich von einem solchen nichts. Acht Jahre waren es her, seitdem sie von der Gegend jenseits der Föhrde mit zwei rothangestrichenen Truhen, einem Spinn­

* ,, Aus ländlichen Hütten." B. Heymanns Verlag, Berlin C., Nieder­wallstraße 13.

Die bürgerliche Frauenbewegung soll aber nicht nur parteilos sein, sie soll es bleiben. Man fürchtet, sie könne ihren idealen Charakter verlieren, wenn sie sich bestimmten Parteien anschließt und verkündet feierlich, sie sei zu groß für eine Partei". Etwas von den Folgen der mit der jahrhundertelangen rechtlichen und politischen Unterdrückung der Frau Hand in Hand gehenden Ver­himmelung des weiblichen Geschlechts spricht aus diesen Ansichten. Die Gegner der Frauenemanzipation kämpfen fast immer im Namen der Würde, der Reinheit und Hoheit der Frau; ihre Wortführerinnen gleichen ihnen, indem sie in seltsamer Ueberhebung auch der neuen Frau" und der von ihr getragenen Bewegung ein Piedestal unter die Füße zu schieben suchen, von dem sie bei Leibe nicht in das Gewühl des öffentlichen Lebens hinabsteigen darf. Als Beispiel wird, wie das Sitte ist, seitdem einige Führerinnen der bürgerlichen Frauen­bewegung einmal fünf Wochen in England zum Zweck sozialer Studien" zubrachten- ich war, nebenbei gesagt, damals auch dabei, bin aber zu ganz anderen Resultaten gekommen auf die britische Frauenbewegung hingewiesen, von der man steif und fest behauptet, sie sei parteilos. An der Hand der geschichtlichen Entwicklung dieser Bewegung läßt sich nun aber besonders deutlich nachweisen, wie sie sich, je mehr sie an Bedeutung zunahm, in immer entschiedenere po­litische Richtungen spaltete. Von dem Augenblick an, wo sie aus dem Stadium der Aufstellung und Vertheidigung bloßer Theorien zu ihrer Umsetzung in die Praxis überging, begann der Streit über die Mittel und Wege, die zu diesem Zweck einzuschlagen sind. Solange die Frauenbewegung eine fast ausschließlich akademische war, d. h. sich nur die Eröffnung der Universitäten und die Zulassung zu höheren Berufen zum Ziele setzte, blieb sie natürlich auch den politischen Fehden fern; sobald sie jedoch umfassender wurde, und infolge der rapiden wirthschaftlichen Entwicklung die sozialen Fragen in den Kreis ihrer Bestrebungen aufgenommen werden mußten, trat sie mit auf den politischen Kampfplatz. Es giebt heute in England konservative, liberale und sozialistische Frauenvereine aller Schattirungen, die sich untereinander scharf bekämpfen; wenn ein Deutscher dies etwa leug­

rad und dem Inhalt eines Ehebetts herübergekommen waren. Und in dieser ganzen Zeit hatten sie sich beständig von den Menschen ihrer Umgebung fern gehalten. Von Morgen bis Abend hatte man sie unbekümmert ihrer Arbeit nachgehen sehen, entweder draußen auf dem Felde hinter ihrem weißen, langbärtigen Gaul oder im Garten mit Gärtnermesser und Spaten. Aber noch nie hatten sie sich unter die Bevölkerung gemischt, obschon diese häufig genug ver­sucht hatte, eine Annäherung herbeizuführen. Selbst in der Kirche, wo sie regelmäßig zu den drei hohen Festzeiten des Jahres er­schienen, setzten sie sich zusammen in einem der hintersten Stühle hin und hielten einander getreulich an der Hand, während ihr Blick unverwandt auf dem Prediger ruhte; und wenn der Küster das letzte Wort des Vaterunsers gesprochen, erhoben sie sich schweigend und waren schon weit über die Sandhügel hinaus, ehe die Schaar der übrigen Kirchengänger aus dem Portal herausgekommen war.

Er war eine ziemlich kleine zusammengefrochene und über­arbeitete Gestalt, mit jener allzugroßen rechten Schulter und der im Ganzen etwas schiefen Figur, die Leuten eigen sind, deren Leben ein einziges mühsames Arbeiten war. Der Ausdruck in seinen großen, fahlen, treuherzigen Augen deutete auf einen etwas verkrüppelten Verstand und in der That mußte auch immer die Frau einspringen, wenn etwas Ernstes oder Verwickeltes abgemacht werden sollte. Sie war ein großes und gesundes Bauernfrauen­zimmer von der Art, die nun im Aussterben begriffen ist. Gewiß: Mangel und frühe Leiden hatten ihre Wangen gehöhlt und das Leben hatte eine gewisse scheue Vorsicht in ihren Blick gelegt. Aber ihre ganze Haltung zeugte von einem derben und festen Muth, den noch nichts ganz zu brechen vermocht hatte. Es lag über ihrem großen, durch intelligente Augen erhellten Gesicht eine ruhige Selbst­sicherheit, die gleichsam mit unerschrockenem Blick das Leben zu messen schien, wie einen Gegner, den man nicht mehr fürchtet. Man erzählte sich, daß es ihnen seiner Zeit sehr schwer geworden wäre, zusammen zu kommen und man verstand, daß sie darum jetzt sich um so fester und unzertrennlicher aneinander anschlossen.