der Bourgeoisie finden, die sich enthusiastisch dieser Bestimmung fügen, und sich ,,, über den Parteien" stehend, nur der Arbeit für die Lösung der Frauenfrage zu widmen versprechen würden. Mitten in dieser Arbeit würden die Ernsten unter ihnen bald einsehen, daß die Lösung der Frauenfrage von der Lösung vieler anderer Fragen bedingt wird, daß sie in innigem Zusammenhang mit den allgemeinen wirth­schaftlichen und politischen Zuständen steht und daß von einer wirk­samen Arbeit im Interesse der Frauenbewegung nur dann die Rede sein kann, wenn sie mit der Arbeit im Interesse der sozialen Be­wegung Hand in Hand geht.

Im Gegensatz zur deutschen bürgerlichen Frauenbewegung ist die deutsche Arbeiterinnenbewegung längst zu diesem Resultat ge= kommen, und zwar weniger auf Grund eines theoretischen Gedanken­gangs, als auf Grund praktischer Erfahrung. Die männlichen Be­rufe", um deren Eroberung die Frauen der Bourgeoisie kämpfen, stehen den Proletarierinnen offen; die Frauenfrage aber ist durch diesen Umstand ihrer Lösung nicht näher gebracht worden, denn die Arbeit im selben Joch mit dem Mann bedeutet keine Befreiung, sondern eine nur noch tiefere Versklavung der Frau. Im Konkurrenz­tampf mit dem stärkeren Geschlecht muß das schwächere unterliegen, bis Beide einsehen lernen, daß es in ihrem gegenseitigen Interesse liegt, nicht gegeneinander, sondern miteinander gegen den gemeinsamen Feind, die kapitalistische Gesellschaftsordnung, zu kämpfen. Die Frauenbewegung ist nicht zu groß für eine Partei", sondern ihre Förderung ist vielmehr nur im Rahmen einer Partei möglich und zwar, nach unserer Einsicht, im Rahmen der sozialdemokratischen. Wie, kann man mir von bürgerlicher Seite einwerfen, können wir unsere Ziele die Eröffnung der Universitäten, die Zulassung zu den höheren Berufen, ja selbst die rechtliche und politische Gleich­stellung mit dem Mann nicht auch mit Hilfe anderer Parteien erreichen? Gewiß kann das geschehen, wenn die bürgerlichen Par­teien sich überhaupt nach vorwärts entwickeln sollten, aber wir be­streiten, daß mit der Erreichung dieser Ziele die Frauenfrage gelöst ist. Mit der Zulassung zu den Universitäten und den höheren Be­rufen wird der heftige Konkurrenzkampf zwischen Mann und Weib, der im Proletariat bestanden hat und auch noch besteht, in der Bour­geoisie entfacht werden; mit der Gewährung politischer Rechte werden die Parteien aller Schattirungen, zunächst vor allem die konservativen, numerisch zunehmen, ohne daß zu Anfang ein merklicher, oder etwa gar ein hervorragend reformirender Einfluß des weiblichen Elements betrogene Hoffnung würde ihr sogar ernste Sorge bereitet haben, wenn nicht ein anderes, noch mehr bedeutungsvolles Ereigniß ge­rade in dieser Zeit alles Andere in den Schatten gestellt hätte. Der Zeitpunkt der letzten Abbezahlung war nämlich eingetreten. Die glückliche Stunde, von der sie so lange geträumt und der sie mit so langsamer Mühe entgegen gesteuert hatten, war endlich da. Mit einem sonderbaren, weihevollen Hochgefühl sahen Beide den Tag sich nähern. Es war, als könnten sie noch immer nicht glauben, daß er wirklich eingetroffen war. In der Nacht vorher war ihr Gemüth so bewegt, daß sie keine Ruhe fanden, und schon zwei Stunden vor Tagesanbruch war Simon aus dem Bett und stand fir und fertig im besten Sonntagsanzug, um nach der Stadt zu gehen. Mit rothgeränderten Augen bewegte sich Ane unruhig in der Stube umher und legte hier und da noch eine letzte Hand an seinen Anzug; und als sie den letzten Schimmer seines funkel­neuen Sonntagsrockes, in dessen geräumiger Innentasche die zwei­hundert Kronen gut und sicher eingenäht waren, hinter den Kies­hügeln hatte verschwinden sehen, legte sie sich über die schlafende fleine Eulalia und brach einen Augenblick in erschütterndes Weinen aus. Noch am Nachmittag, als Simon endlich zurückkam und mit einem Kopfnicken andeutete, daß es nun vollbracht sei, lag etwas Fremdartiges in ihrem Wesen, beinahe wie eine leise Nieder­geschlagenheit oder Leere. Ane hatte, um dem Tag einen festlichen Anstrich zu geben, den Tisch mit gebratenem Hering und Sauer­fohl gedeckt; aber feiner fonnte es zu einem richtigen Appetit bringen und gesprochen wurde nur wenig.

Nach Tisch gingen sie zusammen in den Garten hinaus, wo Alles in duftender Blüthe stand. Darauf wanderten sie über das Feld hinaus, besahen den Roggen, freuten sich über die Kuh, die sich's im Klee wohl sein ließ, und über die Schafe auf dem Hügel. Bolle, das langbärtige Pferd, stand auch hier; und hinter dem Rücken ihres Mannes, gleichsam als schäme sie sich ihrer Verschwen­dung, holte Ane ein Stück Brot aus der Tasche und steckte es dem Thiere zu. ( Fortsetzung folgt.)

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zu spüren sein wird. Der furchtbare Gegensatz zwischen Arm und Reich, die Ausbeutung gerade des weiblichen Proletariats und seine, das weibliche Geschlecht aufs Tiefste erniedrigende Folge, die Prosti­tution, werden nach wie vor bestehen. Fragen tiefgehender Natur, wie die der Gestaltung der Beziehungen der Geschlechter zu einander, werden noch ungelöst sein. Aber, befreit von den Fesseln bürgerlicher und politischer Rechtlosigkeit, werden die Frauen dann erst in eine wirklich lebendige Frauenbewegung eintreten, die durchaus politisch sein wird. Uns ist es nicht zweifelhaft, welche Partei schließlich als Siegerin aus dem Kampfe hervorgehen muß. Es ist diejenige, welche schon jetzt nicht nur für alle auf dem Boden der heutigen Gesellschafts­ordnung durchführbaren Forderungen der Frauenbewegung eintritt, sondern die zu gleicher Zeit für die völlige Lösung der Frauenfrage die Wege ebnet. Viele unter uns Frauen sind durch ihre eingehende Beschäftigung mit der Frauenfrage zu den Ueberzeugungen dieser Partei selbständig gelangt, ehe sie noch wußten, daß sie damit in das Lager der Sozialdemokratie traten. Ihre Zahl ist in stetem Wachs­thum begriffen und jede Einzelne ist ein lebendiger Beweis gegen die irrthümliche Auffassung von der unabhängigen"," parteilosen" Frauenbewegung. Soll sie wirklich eine Bewegung sein, so muß sie von dem ihr künstlich gebauten Piedestal herunter mitten in das be­wegte öffentliche Leben der Gegenwart, wo die Gegner im Kampf ihre Kräfte messen und der Lebensfähige Sieger bleibt. Berlin .

Lily Braun .

Frauen im Betriebe der preußischen Staatseisenbahn- Verwaltung.

Seit mehr als zwanzig Jahren sind sowohl im Betriebe der Reichspostverwaltung als der preußischen Staatseisenbahnverwaltung weibliche Arbeitskräfte beschäftigt. Während der erstgenannte Betrieb seinen weiblichen Angestellten im Jahre 1892 die Beamtenqualität verlieh, hat sich die Eisenbahnverwaltung bisher nicht dazu verstanden, eine so selbstverständliche und durchaus berechtigte Maßregel zu er­greifen. Es besteht auch, wie die jüngsten Etatsberathungen ergeben haben, vorläufig keine Aussicht, daß in absehbarer Zeit eine Aenderung dieses unwürdigen Zustandes herbeigeführt wird.

Die Zahl der von der Staatseisenbahnverwaltung in selbständi­gen Stellungen Fahrkartendienst, Abfertigungsdienst, Bureaudienst und Telegraphendienst beschäftigten Damen beläuft sich nach An­gabe des Geh. Oberregierungsraths Gerlach gegenwärtig auf 236; dazu kommt eine sehr geringe Zahl weiblicher Gehilfen in unselbständi­gen Stellungen, meist Töchter von Beamten, welche lediglich in den Funktionen des Mannes aushilfsweise Dienst thun. Des Weiteren

sind über 3000 Schrankenwärterinnen angestellt, d. h. solche Personen, welche die Schranken zu bewachen und zu bedienen haben, die das Publikum beim Herannahen eines Zuges von dem Uebergang über die Bahn abhalten sollen.

Bereits im Jahre 1873 hat das preußische Staatsministerium die Frage der Anstellung weiblicher Kräfte erörtert und sich mit der Beschäftigung von Frauen einverstanden erklärt, aber unter der aus­drücklichen Bedingung, daß ihnen der Charakter von Staatsbeamten nicht beigelegt werden dürfe. Maßgebend hierfür war einmal die Befürchtung, daß die Frauen dem Publikum gegenüber nicht die nöthige Autorität(!) besitzen würden und sodann der Zweifel, ob weibliche Beamte ihre Amtspflichten mit Erfolg erfüllen könnten.

Da nun nach den gesetzlichen Vorschriften nur den etatsmäßigen Beamten ein Anspruch auf Pension aus der Staatskasse zusteht, so haben die weiblichen Angestellten, nicht genug damit, daß sie schlechter entlohnt werden als ihre männlichen Kollegen, auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit kein Recht auf den Bezug einer Pension; sie er­halten nur in Bedürftigkeitsfällen aus den vorhandenen Dispositions­fonds Gnadenpensionen oder laufende Unterstützungen. Wenn sie im Dienste des Staates ihre Kräfte geopfert haben, so werden sie mithin auf den Weg der Gnade und Bettelei verwiesen. Wenn man ferner bedenkt, wieviel für die weiblichen Angestellten auf einen günstigen Bericht ihrer Vorgesetzten ankommt, da ihnen im Falle eines ungünstigen Urtheils von vornherein jede Aussicht auf Erfüllung ihres Gesuches genommen ist, so kann man sich leicht vorstellen, welchen Versuchungen die Damen ausgesetzt sind. Sind auch dies­bezügliche konkrete Fälle bisher nicht in die Deffentlichkeit gedrungen, so liegt doch die Vermuthung, daß aus den geschilderten Verhältnissen Mißstände erwachsen, für Jeden äußerst nahe, der mit den Dingen dieser Welt nur einigermaßen vertraut ist.

Rechtlichen Anspruch haben die Frauen einzig und allein auf die Summe, welche sie als Mitglieder der Arbeiterpensionskasse der Staatseisenbahnverwaltung beziehen, und die nach zweiunddreißig­jähriger Dienstzeit die ungeheure Höhe von 300 Mark jährlich er­