reicht, während die Reichstelegraphengehilfinnen nach fünfundzwanzig­jähriger Dienstzeit 900 Mark Pension beziehen.

Konnte der oben erwähnte Staatsministerialbeschluß allenfalls begreiflich erscheinen zu einer Zeit, wo die Verwaltung noch feine Erfahrungen betreffs der Amtsführung der Frauen gesammelt hatte, so ist es geradezu unglaublich, daß heute, nachdem fast ein Viertel­jahrhundert mit der Anstellung weiblicher Arbeitskräfte vergangen ist, noch dieselben Gesichtspunkte maßgebend sein sollen. Haben sich die Frauen im Eisenbahndienst bewährt, so darf ihnen der Staat nicht länger ein ihnen zustehendes Recht vorenthalten; haben sie sich nicht bewährt, hat die Erfahrung gezeigt, daß sie für das Amt unbrauchbar sind, so darf der Staat sie logischerweise nicht weiter beschäftigen. Daß die Eisenbahnverwaltung etwa nur aus Mitleid diese ganzen Jahre über weibliche Kräfte verwendete, wird wohl im Ernst Nie­mand glauben. Aber gerade in dem Umstand, daß die Frauen seit so langer Zeit beschäftigt, und daß immer neue weibliche Kräfte ein­gestellt werden, liegt doch der beste Beweis dafür, daß die weiblichen Angestellten nicht so ganz untauglich sein können. Wenn ihnen trotz­dem nicht die Beamtenqualität verliehen wird, so drängt sich einem unwillkürlich die Vermuthung auf, daß die Eisenbahnverwal­tung sich auf den echt kapitalistischen Standpunkt möglichst großer Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft gegen mög lichst geringe Entschädigung stellt. Die preußische Staats­eisenbahnverwaltung hat ja längst auf den Ruhm verzichtet, in erster Linie Kulturzwecken zu dienen; sie erblickt ihre Hauptaufgabe in der Erzielung recht hoher Ueberschüsse, damit dem Staate für die Er­füllung agrarischer Gelüste, für den Militarismus und andere fultur­widrige Zwecke die genügenden Mittel zu Gebote stehen. Deshalb widersetzt sie sich seit Jahren jeder auch noch so geringen Reform und deshalb hütet sie sich auch wohlweislich, ihren weiblichen Ange­stellten eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten.

Gerade jetzt, wo dem Landtage der Besoldungsplan vorliegt, wäre eine günstige Gelegenheit zur Abhilfe gegeben. Aber leider beziehen sich die vorgesehenen Ausbesserungen nur auf die höheren und mittleren Beamten, und die niederen Angestellten, namentlich die schlecht entlohnten Unterbeamten der Eisenbahn, gehen wieder einmal leer aus, sie werden auf die Zukunft vertröstet. Den weiblichen Angestellten jedoch bleibt nicht einmal dieser süße Trost, ihnen wird jede Hoffnung auf Besserung ihrer Berufsverhältnisse rundweg abge= schnitten. Das beweist die Auskunft des Eisenbahnministers in der Budgetkommission, und noch deutlicher die Rede des Regierungs­vertreters in der Plenarsizung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 13. März. In derselben erklärte der Herr rundweg, daß die Eisenbahnverwaltung bisher Anstand genommen hat, dem Staats­ministerium Anträge auf Aenderung der Anstellungsverhältnisse der Frauen zu unterbreiten, weil sie ein Bedürfniß dazu nicht aner­fennen könne.

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Bei der demnächst stattfindenden dritten Lesung des preußischen Staatshaushaltsetats wird die ganze Angelegenheit voraussichtlich noch einmal zur Sprache gebracht werden, aber dafür, daß die Debatte nicht über einige Phrasen der Fürsprecher der bürgerlichen Frauen­rechtlerinnen hinauskommt, bürgt schon die Zusammensetzung des preußischen Abgeordnetenhauses. Die Arbeiterklasse, mag es sich um Opfer des Privat- oder des Staatskapitals, mag es sich um männ liche oder um weibliche Arbeiter handeln, hat von diesem auf Grund des elendesten aller Wahlsysteme" zusammengesetzten Parlament, von dieser Vertretung des Großgrundbesitzes auf der einen und der in­dustriellen Geldsacksinteressen auf der anderen Seite nichts zu erwarten. Eine gründliche Besserung der Arbeitsbedingungen der weiblichen Bahnangestellten ist in der heutigen Gesellschaftsordnung in Deutsch­ land   so gut wie ausgeschlossen, wenigstens auf so lange, als die Arbeiterklasse im Staate nicht eine größere, ausschlaggebende Macht geworden ist. Sie liegt in um so weiterer Ferne, als jeder Versuch einer Organisation der im Eisenbahnbetrieb beschäftigten Frauen zum Zwecke der Erlangung besserer Arbeitsbedingungen von oben herab im Keim unterdrückt werden würde. P. H.  

Arbeitslos.

Groß, braun, zerlumpt, kein Hemde hatt' er an, Lastträger, Schmied, Soldat

Aus seinem kräft'gen Bau man schließen kann; So machte er die Thür erbleichend auf, Ein arbeitsloser Mann.

Er sprach: Ich bin gesund, gebt Arbeit mir,

Ich scheue keine Müh'n Mein Arm ist eisern.

-

Fremd bin ich noch hier,

Und bittend seit zwei Monden schon umsonst

Klopf' ich an jede Thür.

Wer ihm die Antwort gab, weiß ich nicht mehr, Es war ein kurzes Nein.

Im düstern Schreck verzog das Antlitz er, Und rauhen Tones drang ihm aus der Brust Ein Seufzer, lang und schwer.

Er sprach: An eure lieben Todten denkt, Laßt mich nicht von euch gehn.

Ach, das Verstoßen den so furchtbar kränkt, Der Hunger hat. Habt Mitleid doch mit mir

An cure Todten denkt!...

Und weiter sprach er: Wenn an Gott   ihr glaubt, Laßt mich nicht von euch gehn.

Wer hat das Recht auf Arbeit mir geraubt? Ein Fluch ist's, wenn man den verläßt, der fällt, Indeß an Gott   man glaubt!...

Wer ihm die Antwort gab, weiß ich nicht mehr, Ein schüchtern schwaches Nein.

Es schien als schwankt' im Augenblicke er Und ging dann stumm gesenkten Haupts davon, Sich schleppend müd und schwer. Verzaubert folgt' ihm eine ganze Weile Mein Blick und sah ihn ziehn

Auf stein'ger Straße, müd und ohne Eile. Die Junisonne sandte auf sein Haupt

Die brennend heißen Pfeile.

-

Er schwand doch wie im Traume noch betrachtet' Jch den Verzweiflungslauf.

Unnütz die Kraft, der starke Arm verachtet; Stets vorwärts, vorwärts, schmutzig und zerlumpt, Verstoßen und verschmachtet.

Durch Städt' und Dörfer sah ich ihn so gehen, Den stolzen Bettelmann,

Umsonst ließ Wundenmal und Dornen sehen Er seines Elends!... bis er niedersank, Den Tod sich zu erflehen!...

Und mit gesenktem Haupte, bleich vor Schmerzen, Verzeihung, murmelt' ich;

Was von Jahrhunderten nicht auszumerzen An Irrthümern, die Neu und Scham der Welt, Lag schwer auf meinem Herzen.

Ada Negri  .

Aus: Stürme", Deutsch von Hedwig Jahn. Verlag von Alexander Dunder, Berlin  .

Kleine Nachrichten.

Eine Ausstellung von Reform- Frauenkleidung fand Ende April in Berlin   statt. Veranstaltet war dieselbe von dem Verein für Verbesserung der Frauenkleidung", über dessen Wirken in der ,, Gleichheit" wiederholt berichtet wurde. Der Verein bezweckt be= kanntlich, die weibliche Kleidung den Forderungen der Hygiene, Be­quemlichkeit und Schönheit gemäß umzugestalten. Mehrere große Berliner   Konfektionsfirmen sind seinen Bestrebungen dadurch entgegen­gekommen, daß sie Muster reformirter Ober- und Unterkleidung an­fertigten. Die Ausstellung sollte einen Ueberblick über das bisher Geschaffene bieten und gleichzeitig in weiteren Kreisen für den Ge­danken einer Reform der Frauenkleidung Propaganda machen. Die ausgestellten Reform- Kleidungsstücke stellen unserer Ansicht nach einen recht zaghaften und kleinen Vorstoß zur Verwirklichung der Vereins­zwecke dar. Nach jeder Richtung hin leiden sie unter dem allzu ängst­lichen Anlehnen an die Form, das Aussehen der heutigen Frauen­kleidung. Man sucht deren Uebelstände einzuschränken, aber nicht durch radikale Neuerungen vollständig zu beseitigen. Aerzte und Hygienifer vor allem haben deshalb auch an der Reformkleidung genug zu tadeln. Wer sich dagegen mit der bloßen Milderung be­sonders scharf hervortretender Nachtheile der heutigen Frauenkleidung begnügt, der wird auf der Ausstellung manche interessante und lobens­werthe Reform konstatirt finden. Sehr zahlreich sind die Versuche, das Korset zu reformiren, einen den Körperformen und-Bewegungen entsprechenden Ersatz für das seit langem von der ärztlichen Wissen­schaft verurtheilte Kleidungsstück zu schaffen. Besondere Aufmerkſam­feit wird ferner der Herstellung zweckmäßiger Unterkleider zugewendet. An die Stelle der ungesunden Unterröcke sollen mehr oder minder praktische Beinkleider( Hemdhosen 2c.) treten. Da dieselben jedoch fast durchgängig so zugeschnitten sind, daß sie das Aussehen von Röcken haben- als recht ungeheuerlich erschienen uns sehr weite Hosen mit