Nr. 13.

Die Gleichheit

7. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Begründet von Emma Ihrer in Pankow bei Berlin .

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mr. 2.60.

Stuttgart

Mittwoch, den 23. Juni 1897.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

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Juhalt:

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Die lex Recke . Beschwerde der Arbeiterinnen der Silberkammer des föniglichen Schlosses zu Berlin . Aus der Bewegung. Frauenarbeit in Apotheken. Von Symmachos. Das Frauenstimmrecht in England. Von Lily Braun. - Feuilleton: Die Rückkehr. Von Ginlia Mulazzi. Aus dem Italienischen übersetzt von Jda St.-B. Kleine Nachrichten.

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Die lex Recke .

Im preußischen Abgeordnetenhause sind bis auf Weiteres die Würfel über das Schicksal der lex Recke gefallen. Bis auf Weiteres nur und nicht endgiltig, und dies lediglich Dank der kapitalfrommen Haltung der Nationalliberalen. Die Partei Dreh­scheibe hat damit wieder einmal ihren Namen glänzend bewährt. Mit Männerlungenkraft hatten die Nationalliberalen ihren festen Willen ausposaunt, das so farg bemessene Vereins- und Ver­sammlungsrecht der Reaktion nicht auszuliefern. Mit Mamelufen­gehorsam haben sie dagegen in Gestalt der Bestimmungen gegen die Minderjährigen der Reaktion den kleinen Finger gereicht, und ein Theil von ihnen ist sogar bereit, ihr behufs Zustandekommens eines Sozialistengesezes die ganze Hand zu überlassen. Die Nationalliberalen hatten es in der Gewalt, durch strikte Ablehnung aller von der Regierung geforderten Knebelungsmaßregeln die Vereinsgefeßnovelle zu Falle zu bringen. Sie haben diese ihre Macht nicht ausgenußt. Ihnen fällt mithin die schwere Verant­wortung zu, nicht nur für die angenommene Beschränkung des bisher allen Preußen verfassungsgemäß verbürgten Rechts, sondern auch für das Fortbestehen der Gefahr, daß der weitere Verlauf der Berathungen weitere reaktionäre Maßregeln zeitigt.

Die Nationalliberalen haben allerdings an solch ein Mindest­maß politischer Charakterstärke und mannhaften Eintretens für Volksrechte gewöhnt, daß ihnen ihr Nein gegenüber den schlimmsten Bestimmungen der Vereinsgesegnovelle fast als Verdienst angerechnet werden muß. Gefallen sind in der Folge die Paragraphen des Regierungsentwurfs, welche das Vereins- und Versammlungsrecht überhaupt kurzerhand an die Willkür und das Belieben der Polizei abdankten. Nicht jeder Kuhschnappler Büttel kann, wie es die Reaktion erstrebte, schneidig und auslegungsfroh verfügen, daß die oder jene Versammlung, der oder jener Verein wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, der Sicherheit des Staates und des öffentlichen Friedens" nicht geduldet werden darf. Allein was an freiheitsknebelnden Bestimmungen in der Vereinsgesetznovelle ge= blieben, ist gerade mehr als genug, die schärfste Abwehr der Volks­massen herauszufordern.

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Minderjährige dürfen nicht Versammlungen besuchen, welche politische Angelegenheiten erörtern oder berathen sollen; sie dürfen nicht als Mitglieder in Vereine aufgenommen werden, welche bezwecken, politische Gegenstände zu erörtern; sie dürfen endlich nicht theilnehmen an den von solchen Vereinen veran­stalteten Versammlungen und Sizungen, in denen politische Angelegenheiten erörtert oder berathen werden sollen. Die Minder­jährigen sollen also in Preußen fünftighin im Betreff des Ver­sammlungsrechtes schlechter gestellt werden als die politisch recht­losen Frauen, denn diese können öffentlichen politischen Versamm­

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Bettin( Eißner), Stuttgart , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.

lungen beiwohnen, vorausgesetzt, daß diese nicht von einem politischen Verein ausgehen.

Durch die betreffenden Bestimmungen wird Hunderttausenden die Möglichkeit entzogen, sich in politischen Vereinen und Versamm­lungen aufzuklären, zu schulen und dringende Interessen zu wahren. Mehr noch, diese Bestimmungen seßen Hunderttausende von jugend­lichen Arbeitern außer Stand, in vollem Umfange an der gewerk­schaftlichen Organisation, am wirthschaftlichen Kampfe für bessere Arbeitsbedingungen theil zu nehmen. Sie liefern damit diese Hunderttausende dem Unternehmerthum zu skrupellosester Ausbeu­tung aus; sie schädigen damit die Interessen von Millionen, die Interessen der gesammten deutschen Arbeiterklasse. Denn je ge= ringer die Antheilnahme der Minderjährigen am Gewerkschafts­leben ist, um so schärfer und mörderischer vermag der Kapitalist den älteren Arbeitern gegenüber die Schmugkonkurrenz der jugend­lichen Arbeitskräfte zuzuspizzen.

Die verhängnißvollen Folgen dieses Standes der Dinge für das deutsche Proletariat kann man voll bewerthen, wenn man eins festhält: Berichte von Fabrikinspektoren und statistische Er­hebungen erweisen seit Langem, daß die Zahl der jugendlichen Arbeitskräfte in stärkerem Maße steigt, als die Menge der älteren Arbeiter. Zu Zeiten der Krise, wo die Zahl der beschäftigten Industriearbeiter zurückgeht, wo die industrielle Reservearmee be= trächtlich anschwillt: nimmt gewöhnlich die Zahl der jugendlichen Arbeitskräfte zu. Warum das? Etwa weil die Herren Kapi­talisten in heißer Liebe entbrannt sind für die schönen Augen einer tüchtigen beruflichen Ausbildung der jungen Leute, weil sie in christlicher Nächstenliebe die Sorgen der proletarischen Eltern min­dern möchten? Mit nichtem! Lediglich weil die jugendlichen Ar­beiter nicht blos billigere, sondern gewöhnlich auch willigere, fiig­samere Hände" sind als die älteren Kameraden. Als vorzüg liche Mehrer des allerheiligsten kapitalistischen Profits zieht der Unternehmer die jugendlichen den erwachsenen Arbeitern vor. Ihre Arbeitskraft vermag er nicht nur zu den ihm günstigsten Bedin­gungen auszubeuten, er vermag sie auch zum Zwecke der Lohn­drückerei gegen die älteren Arbeiter auszuspielen. Und das Fazit davon? Es ist bekannt: vorzeitig aufgearbeitete, ausgenußte, welke Persönlichkeiten, eine Steigerung des Arbeiterelends.

Die Arbeiterklasse hat deshalb von jeher für den besonderen gefeßlichen Schutz der jugendlichen Arbeiter gekämpft. Die Gewerk­schaftsbewegung hat deshalb jederzeit ein großes Gewicht darauf gelegt, die jugendlichen Arbeiter zu organisiren, sowohl um diese selbst gegen das Uebermaß kapitalistischer Ausbeutung zu schützen, wie um ihrer Schmußkonkurrenz gegen die älteren Arbeiter die Spize abzubrechen. Die lex Recke dagegen erschwert und ver unmöglicht den Minderjährigen die organisirte Vertheidigung gegen harte Mehrwerthpresserei. Sie erschwert und verunmöglicht es der Arbeiterklasse, durch die Macht der Organisation die Schmutz­konkurrenz zu mindern, die mit der steigenden Verwendung jugend­licher Arbeitskräfte eine immer gefährlichere wird.

Nun behaupten zwar die neunmalweisen Thebaner des Nationalliberalismus: nur dem Einfluß der politischen Verhebung" soll die Jugend entzogen werden; die Gewerkschaftsbewegung hat teine Schädigung durch die Bestimmungen gegen die Minder­jährigen zu befürchten. Die betreffenden Paragraphen setzen ja