Beschwerde der Arbeiterinnen der Silberkammer des königl. Schlosses zu Berlin  . Von durchaus vertrauenswürdiger Seite geht uns zur Veröffent­lichung das folgende Schriftstück zu, das ein eigenthümliches Licht auf die Bedingungen wirst, unter denen Arbeiterinnen im königlichen Schloß beschäftigt werden. Die Zuschrift lautet: Charlottenburg  , den 8. Juni 1397. An die Redaktion derGleichheit"! Zur gefälligen Kenntnißnahme des Organs für die Interessen der Arbeiterinnen folgende Thatsachen, um deren Veröffentlichung ersucht wird. In den Kreisen der Arbeiterinnen der Silberkammer des kgl. Schlosses zu Berlin   wird bittere Klage geführt über die Bedingungen, unter denen sie beschäftigt werden. Die effektive Arbeitszeit der Frauen beträgt pro Lohntag 13'/, Stunden, exklusive 2 Stunden Pausen für Frühstück und Mittag. Die Arbeitszeit fängt früh'/-3 Uhr an und dauert bis Nachts 12 Uhr. Der Lohn dafür beträgt täglich 2 Mk. SO Pf. Der Herr, der die Frauen für das Silberwaschen annimmt, erklärt beim Antritt der Arbeit:Meine Arbeitszeit fängt um' ,8 Uhr früh an und dauert bis 12 Uhr Nachts, wem das nicht gefällt, der kann sich gleich meldender braucht nicht erst anzufangen!" Während der Zentenarfeier dauerte die Arbeit geradezu ununterbrochen Tag und Nacht und doch erhielten die Arbeiterinnen nicht mehr als den sonst für das schwere Silberwaschen üblichen Lohn. Bis vor einiger Zeit bekamen die Frauen außer dem Lohn bei Festlichkeiten etwas zu essen. Neuerdings ist das nicht mehr der Fall, dafür aber ist bei den in Betracht kommenden Gelegenheiten Küchenpolizei an­gestellt worden. Seitens der in der kgl. Silberkammer beschäftigten Frauen wurde vor einiger Zeit eine Beschwerdeschrift an zuständiger Stelle eingereicht. Leider ist jedoch nicht in der erhofften Weise Abhilfe geschaffen worden. Die Arbeiterinnen sehen sich deshalb veranlaßt, den Weg der Oeffentlichkeit zu beschreiten. Vielleicht bewirkt dieses Vorgehen, daß die zuständige Stelle Notiz von den Beschwerden der Frauen nimmt und nach Recht und Gerechtigkeit Wandel schafft. Außer Abstellung der bereits angedeuteten Mißstände wünschen die Arbeiterinnen dringend noch eins: das Aufhören der unwürdigen Behandlung, die sie seitens einzelner vorgesetzter Personen erdulden müsse». Man bedenke die Länge und Schwere der Arbeit; man be­denke, wie unangenehm und gefährlich die Einathmung des sich verflüchtenden, scharfen Salmiaks ist. Man wird dann wohl ver­stehen, was die Frauen veranlaßt«, ihrerseits dieseFlucht in die Oeffentlichkeit" zu unternehmen, nämlich die Hoffnung, daß ihre Klagen endlich Gehör finden." Für die Richtigkeit der dargelegten Thatsachen haben eine größere Zahl von Arbeiterinnen der Silberkammer des kgl. Schlosses zu Berlin   mit ihren Namen sich verbürgt. Aus leicht begreif­lichen Gründen müssen wir es jedoch ablehnen, auch diese Namen der Oeffentlichkeit zu überliefern. Arbeiterinnen sind allerdings keine Minister, die zwischen Morgen und Abend der Lucanus holt, aber aus Lohn und Brot können auch sie entlassen werden. Wenn die mitgetheilten Thatsachen auf Wahrheit beruhen und unserer Ansicht liegt kein Grund vor, das zu bezweifeln so ist allerdings Abhilfe dringend geboten. Mißstände müssen sicher eine beträchtliche Höhe erreicht haben, sie müssen außerordentlich schwer empfunden werden, damit im kgl. Schloß beschäftigte Arbeiterinnen sich dazu ausraffen, ihre Leiden und Wünsche in einem ausgesprochen sozialdemokratischen Blatte vor die Oeffentlichkeit zu bringen. Das vorausgesetzteWenn" festhaltend, will uns bedünken, daß die ausschlaggebenden Persönlichkeiten im Silberamt keine Ahnung haben von den bekannten Februarerlassen des deutschen   Kaisers, den Schutz und die Rechte der Arbeitskräfte betreffend. Zu ihrem Ohr scheint nicht das Kaiserwort von derheiligen Stellung der Frau" gedrungen zu sein. Wie wäre es sonst möglich, daß im kgl. Schloß zu Berlin   Arbeiterinnen unter den skizzirten Bedingungen beschäftigt werden? Wie wäre es sonst möglich, daß Familienmütter von 16 unseren Gewährsleuten bekannten Arbeiterinnen der Silberkammer sind 15 Frauen von früh bis Nachts 12 Uhr zu schaffen gezwungen sind und damit selbstverständlich in die bare Unmöglichkeit versetzt werden, die Pflichten derheiligen Stellung der Frau" als Gattin und Mutter zu erfüllen? Unverbürgten Zeitungsnachrichten zufolge soll die Kaiserin gelegentlich geäußert haben, daß vier X den Wirkungskreis der Frau zeichnen: Kirche, Kinder, Küche und Keller. Daß die Kaiserin j der Kirche fortgesetzt ihre allerhöchste Aufmerksamkeit zuwendet, ist bekannt. Erst kürzlich meldeten die Blätter, der Kaiser habe erzählt, daß seine Frau aus ihrer eigenen Tasche Mittel zur Verfügung ge­stellt, damit an zwei Tagen der Woche der Organist in protestanti­schen Kirchen Berlins   spiele. Dies zu dem Zwecke, die Leute auch an den Wochentagen an den Kirchenbesuch zu gewöhnen. Unter anderem sollen auch Frauen von Sozialdemokraten der Kaiserin da­für gedankt haben. Daß die Kaiserin wie der Kirche, so Küche und Keller die persönlichste Aufmerksamkeit zuwende, darf billigerweise nicht vorausgesetzt werden. Ihr liegen ja nicht blos die zahlreichen Repräsentationspflichten ihres hohen Standes ob, sie muß nicht blos heute in Kürassieruniform eine Parade abnehmen, morgen einer Jagd beiwohnen, übermorgen einem Feste prästdiren, der Kreis ihrer In­teressen und Bethätigung ist vielmehr beträchtlich erweitert durch die innigste Theilnahme an dem temperamentvollen, vielseitigen und viel­geschäftigen Walten des Kaisers. Aber sollte der Zuschnitt der Ar­beitsbedingungen in der königlichen Silberkammer etwa bedingt sein durch den bescheidenen Umfang der Mittel, die im Haushalt des Schlosses zu diesem Zwecke angesetzt sind, so wird sicher eine Vor­stellung des Silberamts die Kaiserin bestimmen, für die betreffenden Arbeiterinnen zu thun, was sie für die musikalische und religiöse Er­bauung gethan: aus ihrer eigenen Tasche die Mittel für eine dring­liche Neuerung auszuwerfen. Wir sind ja mit jener dem beschränkten Unterthanenverstand ziemenden Fertigkeit davon überzeugt, daß es den Arbeiterinnen ein besonderer Hochgenuß ist, 13'/, Stunden täglich unter Salmiakaus­dünstungen und gegen kargen Lohn Silbergeschirr zu waschen, von dem nicht blos hohe, nein höchste und allerhöchste Herrschaften nahr­haft und lecker schmausten. Allein uns will bedünken, daß auch der Hochgenuß dieses erbaulichen Gedankengangs auf die Länge nicht das Knurren eines leeren Magens befriedigt, tödtliche Müdigkeit ver­scheucht und grobe Anranzerei als eitel Liebkosung empfinden läßt. Liebhaber des Orakelspiels mögen an der Sternblume grethchenhaft auszupfen, ob wohl Wandel geschaffen wird, oder ob der Gedanke der Sozialreform wie in der deutschen   Gesetzgebung so auch im könig­lichen Schlosseverstummt" ist. Aus der Bewegung. Von der Agitation. Eine Agitationstour durch Hannover  unternahm vom 8. bis 25. Mai die Genossin Baader-Berlin. Dieselbe sprach in Linden, Limmer, Hannover  , Quakenbrück  , Bramsche  , Osnabrück  , Einbeck  , Göttingen  , Münden, Bovenden  , Osterode   a. H., Alfeld  , Peine  , Celle   und Lüne­ burg   in zum Theil überfüllten Volksversammlungen über:Frauen­arbeit und Frauenfrage",Die Gesetzgebung und die Frauen",Die Bedeutung der politischen Rechte für die Frauen". In der sehr gut besuchten Versammlung in Lüneburg   wurde gegen die Novelle zum preußischen Vereins- und Versammlungsgesetz Protest erhoben; eine entsprechende Resolution soll laut Beschluß der Versammlung dem Abgeordnetenhause übermittelt werden. In verschiedenen Städten hatten die Behörden unfreiwillig genug recht tüchtig für den Besuch der Versammlungen seitens der Frauen agitirt. Sie hatten nämlich aus Versammlungen, die einige Wochen früher stattfanden, die Frauen durch den überwachenden Beamten hinausweisen lassen. Die mit dem Hinweise auf das Ungesetzliche dieser Maßregel begründete Beschwerde hatte Erfolg, und so strömten denn in Schaaken die Frauen herbei, als sie hörten, daß eine Frau sprechen sollte. Durch Aufmerksamkeit während des Vortrages und in nachheriger persönlicher Aussprache mit der Referentin bekundeten die weiblichen Versammlungsbesucher, daß sie den sozialistischen   Ideen zugänglich und nach Möglichkeit bestrebt sind, die Sache des Proletariats zu fördern, die ihre eigene Sache ist. Nirgends fehlt es an Verhältnissen, welche die Unzu­friedenheit der arbeilenden Massen wecken und steigern, Frauen wie Männer zum Nachdenken über ihre Lage anregen und ihnen das Verständniß der sozialistischen   Lehren erschließen. So ist z. B. in Alfeld   kürzlich der Gemeindeanger verkoppelt worden. Viele der armen Leute sind in der Folge außer Stande, wie bisher ein Stück Vieh aufzuziehen. Sie müssen jetzt das Futter kaufen, das ihnen früher der Gemeindeanger unentgeltlich lieferte. Der Umstand war sicher von Einfluß auf den Versammlungsbesuch in Alfeld  . Dieser war ein so zahlreicher, daß nicht nur in dem geräumigen Saale eine dichte Menge sich drängte, sondern daß noch Schaaken von Leuten auf dem Hofe vor den geöffneten Fenstern standen und zuhörten. Eine Anzahl der Anwesenden trat sofort dem Verbände der Fabrik-, Land- und Hilfsarbeiter bei. Auch in dem herrlichen Münden ver­sprachen sämmtliche der sehr zahlreich anwesenden Frauen, sich dem genannten Verbände anzuschließen. In Quakenbrück   war der Saal um 8 Uhr bereits gänzlich gefüllt, aber nur von Männern. Die