Sieg war ein so vollständiger, daß der König die tapfere Frau zu sich einlud. Sie folgte der Einladung nicht, indem sie erklärte:„ Ich müßte Scheuklappen tragen, wie meine Pferde, wollte ich an Karls II . Hofe erscheinen."
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Anne Cliffords Vorgehen fand keine Nachahmung. Erst der Kampf um die Grundrechte des englischen Volkes unter Jakob II. weckte unter den Frauen des Bürgerthums Vertheidigerinnen der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts. Mary Astell wurde Ende des siebzehnten Jahrhunderts ihre erste energische Wortführerin. Die Rolle, welche Frauen zur Zeit der französischen Revolution im politischen Leben spielten, die Thatsache, daß sie ihre Rechte forderten, blieb nicht ohne Einfluß auf die Entwicklung der englischen Frauenbewegung. Es entstanden Vereine nach französischem Muster, und Ende des achtzehnten Jahrhunderts stellte Mary Wollstonekraft in ihrem bahnbrechenden Werke: Vindication of the Rights of Women"( Forderung der Frauenrechte) betreffs der politischen Gleichberechtigung der Frauen die weitgehendsten Forderungen auf. Dieselben wurden in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts in zahlreichen Vereinen verfochten. Die Frauen betheiligten sich in der Folge nicht blos reger am öffentlichen Leben, sie suchten auch und häufig mit Erfolg die ihnen nicht durch ein Gesetz abgesprochenen Rechte auszuüben. Frauen wurden zu Armenpflegern, Armenhausverwaltern, Gefängnißinspektoren gewählt und betheiligten sich hier und da an den Wahlen der Kirchspiele. Als charakteristisch und in der Entwicklung des modernen Lebens begründet, hebt es Lily Braun treffend hervor, daß in der Zeit der beginnenden Chartistenbewegung die politische Gleichberechtigung der Frau nicht mehr lediglich aus ihrem Besitze hergeleitet wurde, vielmehr auch aus ihrer Arbeit.
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Die Reform des Parlamentswahlrechts von 1832 brachte den Frauen statt der erhofften Bestätigung und Wiederherstellung ihrer alten Rechte die ausdrückliche Beseitigung derselben. Im Gegensatz zu den alten Bestimmungen sprach das neue Gesetz nur von„ male persons", männlichen Personen. Der Kampf um das Frauenstimmrecht wurde nun mit um so größerer Energie fortgeführt. Von tiefgehendem Einfluß auf seine Entwicklung war die amerikanische Frauenbewegung. 1848 fand in New York der erste Frauenkongreß statt, er forderte die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts. Der Kampf für die Emanzipation der Neger, an dem die Frauen den regsten Antheil nahmen, förderte die amerikanische Frauenbewegung mächtig. Ihre Wellen schlugen nach England hinüber. Mill trat im Juli 1851 in einem Artikel der„ Westminster Review" als Vorkämpfer für die Frauenrechte auf den Plan, sein späteres unsterbliches Werk„ The Subjection of Women"( Die Hörigkeit der Frau) lieferte den Frauenrechtlerinnen ebenso schneidige als wuchtige Waffen. Im Parlament liefen Anträge für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ein. 1851 beantragte Lord Brougham , daß in allen Wahlgesetzen der Vereinfachung der Ausdrucksweise wegen" ,, male person" durch„ man" ersetzt werden solle. Sein Antrag wurde angenommen unter Hinzufügung der einschränkenden Erläuterung, daß das Wort„ man" überall dort Frauen einschließen solle, wo nicht besondere Bestimmungen es anders vorschreiben. Der Antrag war derart verklausulirt, daß seine Annahme kaum einen Erfolg der Frauenbewegung bedeutete. In dem gleichen Jahre wurde dem Hause der Lords von dem Earl of Carlisle die erste Massenpetition der Frauen um das Stimmrecht überreicht. Die Konservativen, denen der Earl angehörte, gewannen in der Folge die Sympathie der Frauen. Noch mehr und nachhaltiger war dies der Fall, als der hervorragendste Führer der Partei, Disraeli , der spätere Lord Beaconsfield , 1866 im Unterhause sehr warm für das Frauenstimmrecht eintrat. Die Konservativen erfreuen sich seit jener Zeit der thatfräftigsten Unterstützung eines großen Theiles der englischen Frauenrechtlerinnen. Diese Unterstüßung war nicht zu unterschätzen, weil schon damals die Wahlagitation vielfach in den Händen der Frauen lag, und die Wahl eines Kandidaten hier und da ganz wesentlich von dem Wohlwollen oder der Abgeneigtheit der politischrechtlosen Frauen abhing. Mill ließ sich angelegen sein, das liberale und demokratische Element in der Frauenbewegung zu stärken. Zum Gesetzentwurf der Regierung, die Wahlrechtsreform betreffend, brachte er ein Amendement ein, das den Frauen die gleichen politischen Rechte wie den Männern sichern sollte. Trotz der glänzenden Begründung durch Mill, ward es mit 196 gegen 76 Stimmen abgelehnt. Ebenso ward der Antrag verworfen, das Wort„ man" wieder durch den Ausdruck„ male person" zu ersetzen. Auf Grund dieser Thatsache versuchten die fortgeschrittensten Frauen in Manchester und Salford ihr Recht auf einem anderen Wege zu erlangen. Gegen 7000 Frauen, die als Besitzer oder Miether sich zur Wahl berechtigt glaubten, forderten die Eintragung ihrer Namen in die Wählerlisten. Ein Theil von ihnen hatte Erfolg, die abgewiesene Mehrzahl strengte behufs Durchsetzung ihres Rechts einen Prozeß an. Der Gerichtshof
entschied gegen die Frauen. Die Niederlage wirkte ungemein agitatorisch, sie feuerte zum weiteren energischen Kampf an. Frauenstimmrechtsvereine schossen wie Pilze aus der Erde, in immer größeren Massen traten die Frauen in Beschlüssen, Petitionen 2c. für ihre politische Gleichberechtigung ein. Zahlreiche Anträge für das Frauenstimmrecht wurden im Parlament eingebracht und diskutirt, wo die Zahl der Gegner der geforderten Reform stetig abnahm. In dem Kampfe um das Parlamentswahlrecht trat auch der um die Bürgerrechte der Frau in den Stadt, Gemeinde- und Schulverwaltungen. Die Bewegung griff in die Kolonien hinüber, wo der Kampf für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ein leichterer war. Die Frauen erhielten in Neuseeland 1893 das aktive Wahlrecht, in Süd australien 1894 das aktive und passive Parlamentswahlrecht. In England selbst besitzen zur Zeit nur bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung das Stimmrecht für den Schulrath, den Gemeindeund Bezirksrath, die Armenpflegschaft, den Stadtrath und Grafschaftsrath. Die Agitation für das Parlamentswahlrecht wird mit Energie und Erfolg weitergeführt. Drei große, politisch von einander geschiedene Organisationen führen in planmäßiger Weise den Kampf: die konservative„ Primrose- Ligue", mit einer Million männlicher und weiblicher Mitglieder; die liberale„ Womens Liberal Federation", deren fast 200000 weibliche Anhänger eine ebenso energische Agitation für die liberale Partei entfalten, wie die Damen der„ Primrose- Ligue" für die Konservativen; die„ Womens Franchise League", deren Mitgliedschaft sich aus Sozialisten und bürgerlich Radikalen zusammensetzt. Die konservative Organisation fordert das Wahlrecht nur für steuerpflichtige Witwen und unverheirathete Frauen. Der liberale Verband verlangt das Stimmrecht auch für die verheiratheten Frauen. Der radikale Flügel der englischen Frauenbewegung kämpft für das aktive und passive Wahlrecht aller Frauen. Die Arbeiterinnen stehen in ihrer Masse dem Kampf für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts theilnahmslos gegenüber. Die Schuld daran mißt Lily Braun den Arbeiterparteien bei, welche von dem Beginn ihrer Entwicklung an die Arbeiterinnen nur für die gewerkschaftliche Organisation zu gewinnen suchte und ihrer politischen Aufklärung so gut wie feine Aufmerksamkeit zuwendeten. An dem Charakter und den Forderungen der drei angeführten großen Stimmrechtsorganisationen weist sie nach, daß es in England keine einheitliche, über den politischen Parteien stehende und von ihnen unabhängige Frauenbewegung giebt. Sehr richtig bemerkt sie:„ Von dem Augenblick an, wo die Frauenbewegung sich ernsthaft mit politischen Fragen beschäftigte, kann von einer einheitlichen Frauenpartei nicht mehr die Rede sein, und die jetzt schon vorhandene Differenzirung wird sich mit der Gewährung politischer Rechte, nach denen zu streben noch den einzigen äußeren Zusammenhalt der Frauenbewegung darstellt, immer entschiedener ausprägen. Die Frauen werden sich den Parteien der Männer anschließen; sie werden in ihnen, soweit es sich um Fragen handelt, die ihr Geschlecht besonders nahe angehen, neue Gesichtspunkte vertreten, aber ebenso wenig wie sie eine Masse im Volke bilden, sondern den verschiedenen Klassen zugehören, werden sie jemals eine Partei für sich darstellen.
Bekanntlich wurde im Februar dieses Jahres im englischen Unterhause ein Gesetzentwurf in erster Lesung mit 230 gegen 159 Stimmen angenommen, der einem kleinen Theil der begüterten Frauen das aktive Wahlrecht zum Parlament verleiht. Im Sommer soll dieser Entwurf abermals vor das Plenum kommen. Regierung und Oberhaus stehen ihm ablehnend gegenüber. Daß die politische Gleichberechtigung der Geschlechter in England in nicht zu ferner Zukunft Thatsache werden wird, dürfte nach der bisherigen Entwicklung der einschlägigen Verhältnisse kaum zweifelhaft sein. Diese Erwartung spricht auch aus Genossin Brauns Ausführungen. Gegenüber den stizzirten Fortschritten der Engländerinnen tritt die kümmerliche und schwächliche Entwicklung der deutschen Frauenrechtelei scharf in Erscheinung. Des Weiteren widerlegt der Artikel durch die zusammengefaßten Thatsachen die von den deutschen Frauenrechtlerinnen über den grünen Klee gepriesene Taktik der weisen Selbstbeschränfung und Mäßigung". Er zeigt, daß nur große Ziele große Massen in Bewegung setzen und zur Macht erstarken lassen. Er räumt gründlich auf mit den kolportirten Märchen von dem„ parteilosen" Charakter der englischen Frauenbewegung, jenem Märchen, das ebensosehr in der Unkenntniß der englischen Verhältnisse wurzelt, wie in dem tiefempfundenen Bedürfniß, die Unklarheit der Auffassung und die Schwäche des Handelns, die rückständige Entwicklung der deutschen Frauenrechtelei als besonders verehrungswürdige Tugenden zu verherrlichen.