-106 und deshalb der kapitalistischen   Ausbeutung anheimfallen. Wo ist die Proletarierin, der Mammonsgewalt nicht Striemen auf die gebeugten, müden Rücken gezeichnet hätte?

Härter ja noch als auf dem Arbeiter lastet auf der Arbeiterin des Kapitals Joch. Ihr Proletarierthum zwingt sie als Nicht­befizerin von Produktionsmitteln bei Strafe Verhungerns in die tapitalistische Ausbeutung hinein, und ihr Weibthum treibt durch Bedürfnißlosigkeit, Gehorsam und Fügsamkeit diese Ausbeutung auf die höchste Spitze, giebt ihr die proletarische Frau als zwiefach Schwache preis. Unter dem Zwange der denkbar ungünstigsten Lage schließt mithin die freie Arbeiterin" den freien Arbeits­vertrag" hohnvoller Benennung ab.

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Zwiefach nöthig bedarf in der Folge die Proletarierin des Schutzes der Organisation. Die Gewerkschaft bildet innerhalb gewisser Schranken das Gegengewicht gegen die Ohnmacht der Arbeiterin als Glied des Proletariats und als Frau. Tief Tief einschneidend wirkt sie auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Lohnstlavinnen ein. Man vergleiche den verhältnißmäßig hohen Verdienst und die Lebenshaltung der Textilarbeiterinnen von Lancashire   mit den Hungerlöhnen und der ärmlichen Eristenz­weise der sächsischen Spinnerinnen und Weberinnen. Erstere sind seit dem ersten Viertel unseres Jahrhunderts in die Gewerkschaft einbezogen, wo heute ihre Zahl der hervorragenden Verwen­dung der Frauenarbeit in der Textilindustrie entsprechend die der männlichen Mitglieder überwiegt. Letztere stehen der über­großen Majorität nach ihrer Berufsorganisation noch fern. Und wenn in dem vorliegenden Falle die Zugehörigkeit oder Nicht­zugehörigkeit der Arbeiterinnen zur Gewerkschaft auch nicht der einzige Grund der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen ist, so ist sie doch unbestritten eine der wesentlichsten Ursachen davon.

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Doppelt begründet und berechtigt ist somit der Anspruch der Proletarierin auf ein freies, unbeschränktes, gesetzlich gewähr= leistetes Vereins- und Versammlungsrecht. Das Gesetz muß dieses ihr Recht sicher stellen gegen die kapitalistischen Nücken und Tücken, durch welche der Arbeitgeber" so oft die Koalitionsfreiheit seiner " Hände" vernichtet. Es muß dieses Recht schützen gegen die frisch- fromme Schneidigkeit und die spitfindige, waghalsige Deu­tungskunst der Behörden.

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Wie aber steht es in Deutschland   mit dem Recht der Prole­tarierin auf Organisation? Wohl zuerkennt das Reichsgesetz der Arbeiterin die Koalitionsfreiheit, aber was sie von rechts her dar­reicht, das nimmt die Frau Base Vereinsgesetzgebung in vielen Einzelstaaten wieder fort. Ueberall, wo den Frauen als politisch Unmündige die Betheiligung an politischen Organisationen und an politischen Vereinsversammlungen verboten ist, da kann die Arbeiterin sich auch gewerkschaftlich nicht frei organisiren und bethätigen. Kein Gesetz legt die Begriffe wirthschaftlich und politisch fest. Die Behörden entscheiden darüber, ob Organisationen, ob Versamm lungen, an denen Arbeiterinnen sich bethätigen, wirthschaftlichen oder politischen Charakters sind. Und in der Mehrzahl der Fälle destilliren sie mit ebenso viel feinsinnigem Geschick als löblichem Eifer aus jeder Arbeit, mit der Arbeiterinnen sich befassen, den erforderlichen politischen Propfen heraus, um auflösen, verbieten und strafen zu können.

So verfiel z. B. die Zahlstelle des Verbands der Schneider und Schneiderinnen zu Nürnberg   wegen angeblich" politischer" Be­thätigung der Auflösung. So wurde seinerzeit der Arbeiterinnen verein zu Breslau   gerichtlich geschlossen und seine Leiterinnen wurden bestraft, weil diese Organisation auf politischem Gebiete gesündigt haben sollte. Und worin bestand die hochnothpeinliche politische Morithat? In einer Vereinssizung war ein Artikel der ,, Gleichheit" vorgelesen worden, der zur Sammlung von Arbeits­ordnungen aufforderte! Wir könnten einen reichen Strauß ähn­licher Blüthen polizeilich- juristischer Weisheit und Pflichteifrigkeit Herrn v. d. Necke zu Füßen legen, dafern ihm der Lucanus Zeit und Gelegenheit zu der Begründung einer neuen und sehr dringenden ,, Korrektur" des preußischen Vereinsgesetzes lassen sollte.

So lange in vielen deutschen Einzelstaaten die oben an­gezogene reaktionäre Fassung und die beliebte noch reaktionärere Handhabung des Vereins- und Versammlungsrechts den Frauen gegenüber in Kraft bleibt, so lange besteht auch die Koalitions

freiheit breiter Arbeiterinnenschichten Deutschlands   nur auf dem Papier. Tausende und Zehntausende von Proletarierinnen werden damit in die Unmöglichkeit versetzt, Dank der Macht einer hinter ihnen stehenden Gesammtheit einen Arbeitsvertrag unter möglichst günstigen Bedingungen einzugehen. Freiestes, unbeschränktes, ge= feßlich gewährleistetes Vereins- und Versammlungsrecht für das weibliche Geschlecht, diese Forderung muß deshalb von allen er­hoben werden, welche die Herbeiführung besserer Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen für eine der brennendsten Aufgaben unserer Zeit erachten.

Allein nicht nur für den gewerkschaftlichen Kampf auf wirth­schaftlichem Gebiete benöthigt die proletarische Frau das freie Vereins- und Versammlungsrecht. Auch behufs Vertheidigung ihrer Interessen im politischen, im öffentlichen Leben. Die Prole= tarierin steht in einem Klassenstaate, der von den Besitzenden be­herrscht wird. herrscht wird. Diese bedienen sich ihrer politischen Macht, um die wirthschaftliche Ausbeutung der werkthätigen Masse so voll­ständig als möglich zu machen und in alle Ewigkeit hinein aufrecht zu erhalten, sie bedienen sich ihrer, um den gesammten Zuschnitt des öffentlichen Lebens den Geldsacksinteressen entsprechend zu gestalten. Jede Berücksichtigung der Bedürfnisse des arbeitenden Volkes muß durch dessen Kampf erzwungen werden.

Und die Zustände, die Vorgänge im öffentlichen Leben greifen unmittelbar oder mittelbar in die Eristenz der Proletarierin ein. Die Art und Weise der Besteuerung, ihre Höhe, die Verwendung der durch das Darben der Masse zusammengebrachten Steuer­millionen, die Handelspolitik, das Heerwesen, die Arbeiterschutz­gesetzgebung 2c. 2c. sind von bestimmendem Einfluß auf das Wohl und Wehe der Frau. Diese muß deshalb mit dem freien Vereins­und Versammlungsrecht die Möglichkeit besißen, auch auf politischem Gebiete ihre Interessen wahren zu können. Wissen und Organi­| sation muß sie erst hier mit ihren Brüdern der Frohn und der Armuth zur Macht zusammenschweißen, die ernste Reformen erringt. Und zwar nicht blos Reformen zu Gunsten der dem Kapital zinsenden Masse. Auch alle jene Neuerungen, welche der Grundsatz der sozialen Gleichberechtigung der Geschlechter bedingt, in erster Linie davon die politische Gleichberechtigung der Frau. Denn die Proletarierin bedarf des Verfügungsrechts über ihre Person, sie bedarf der vollen Bürgerrechte, damit sie gleich bewehrt und kampfestüchtig wie der Proletarier für die Befreiung ihrer Klasse zu streiten vermag.

Die unbeschränkte Vereins- und Versammlungsfreiheit kann auf die Dauer Millionen von Frauen und Mädchen nicht vor­enthalten werden, die ihr Recht auf Grund ihrer Lebensbedingungen fordern. So fußt unser Reformverlangen nicht auf dem Flug­sande ideologischer Phrasen von einem vorgeblichen ,, Naturrecht" der Frau als Mensch. Es ist vielmehr fest gegründet auf den granitnen Fels der wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Um­wälzung, die sich getrieben von wirthschaftstechnischen Revolutionen im Schooße der bürgerlichen Gesellschaft vollzogen hat und weiter vollzieht. Es ist fest gegründet auf dem Klasseninteresse des be= freiungssehnsüchtigen Proletariats, das der Jdeen- und Streit­genossenschaft seiner Frauenwelt auf der ganzen Linie des Klassen­kampfes nicht entrathen kann. Mit ruhiger Entschlossenheit ant­worten deshalb die aufgeklärten Proletarierinnen auf allen zopfigen und reaktionären Widerstand gegen ihre Forderung: Wir heischen unser Necht, wir kämpfen für unser Recht.

Bus der Bewegung.

Von der Agitation. In dem Wahlkreis Höchst- Usingen­Homburg Idstein hielt Genossin Steinbach- Hamburg kürzlich eine Reihe sehr erfolgreicher Versammlungen ab. Die Referentin sprach u. a. in Höchst, Homburg  , Eschersheim  - Heddernheim  in sehr gut besuchten Versammlungen, in denen sie die Nothwen­digkeit der gewerkschaftlichen und politischen Organi­sation der Arbeiterklasse darlegte. Die Ausführungen unserer Genossin wurden überall mit begeistertem Beifall aufgenommen, ein Umstand, der zusammen mit dem guten Versammlungsbesuch die be­sondere Galle der Kreisblätter erregt hat. Die Agitationstour hat den Arbeiterorganisationen eine gute Zahl neuer Mitglieder zu­geführt.