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Für das freie Vereins- und Versammlungsrecht der Frauen und gegen die preußische Vereinsgesetz novelle agitirte Genoffin Zetkin   in mehreren Städten Thüringens  . Ver­sammlungen fanden statt in Jena  , Apolda  , Weimar   und Erfurt  . Sie waren alle vorzüglich besucht, in Jena   und Weimar   wohnten ihnen auch zahlreiche bürgerliche Elemente bei, darunter viele Frauen rechtlerinnen. In Apolda  , Weimar   und Erfurt   wurde die bekannte Resolution, das Vereins- und Versammlungsrecht der Frauen und die preußische Vereinsgesetznovelle betreffend, einstimmig angenommen. in Jena   mit allen gegen zwei Stimmen. Eine für Ilmenau   vor­gesehene Versammlung wurde vom fürsichtigen Stadtoberhaupt ver­boten. Mit diesem Verbot und seiner ebenso gefühlvollen als höheren Begründung beschäftigen wir uns an anderer Stelle.

Der Parteitag für Schlesien   und Posen, der zu Pfingsten in Langenbiel au tagte, beschloß einem Antrag der Genossin Geiser entsprechend eine rege Agitation unter den wertthätigen Frauen der beiden Provinzen und empfahl die Wahl weiblicher Vertrauensper­sonen, deren Adressen bekannt zu geben seien. Er protestirte ferner gegen die preußische Vereinsgesetznovelle und forderte ein freies Ver­eins- und Versammlungsrecht für Alle, ohne Unterschied des Ge­schlechts. Des Weiteren erhob er Protest dagegen, daß das bürgerliche Gesetzbuch die Gesinde- Ordnungen nicht abgeschafft habe und ver langte als einfachen Akt der Kultur und Gerechtigkeit die Aufhebung der an Sklaverei gemahnenden Bestimmungen und die Unterstellung der Dienstboten und der ländlichen Arbeiter und Arbeiterinnen unter die Gewerbeordnung.

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Einwendungen, für mich noch ebenso fest, als früher, nur daß ich, belehrt durch die Kritik der Genossinnen und durch manche praktische Vorschläge, meinen Plan modifizirt habe.

Alles, was sich gegen ihn sagen läßt, hat Genossin Zetkin   in ihrem Artikel zusammengefaßt; der größte Theil der übrigen gegneri schen Meinungsäußerungen besteht nur in Variationen des bereits von ihr Gesagten. Das erleichtert mir die Antwort, denn ich kann mich wesentlich darauf beschränken, auf die von ihr geäußerten Be­denken einzugehen.

Das Women's Industrial Council in London  , das mir als Vor­bild gedient haben soll, hat mir allerdings schon vor Jahr und Tag die Anregung zur Entwicklung eines ähnlichen Plans gegeben. Ich habe aber, theils in Folge der geringen Erfolge, die ich an der eng­lischen Institution beobachtete, theils wegen der von denen Englands vollständig verschiedenen deutschen   Verhältnisse, bald eingesehen, daß solch ein Plan, wenn er in seinem ganzen Umfang ausgeführt werden soll, vom Staat selbst, dem die ausreichenden Mittel und die aus­führenden Organe zur Verfügung stehen, in die Hand genommen oder vollständig umgestaltet, und seiner Parteilosigkeit entkleidet werden müßte. Genossin Zetkin   stellt nun die Frage auf, ob ein solches Er­ziehungsprogramm im Interesse einer Bewegung liegt, die einen ent­schiedenen Parteicharakter trägt. Sie verneint die Frage, weil das ausgesprochen sozialistische Gepräge" dem von mir entwickelten Plane fehle, weil er auch von Frauenrechtlerinnen der verschiedensten Rich­tungen ausgeführt werden könnte. Gewiß wäre dies möglich, ohne daß es gegen den Plan an sich spräche, aber dadurch, daß wir ihn aus­führen, daß wir uns damit ausdrücklich in den Dienst unserer Partei stellen, bekommt er nothwendiger Weise ein ausgesprochen sozia­listisches Gepräge". Das Material, das gesammelt werden soll, wird im Interesse unserer Bewegung verwerthet werden; die Veröffent­lichungen, die von dem geplanten Zentralpunkt ausgehen sollen, wer­den für unsere Sache Propaganda machen.

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Wenn Genossin Zetkin   sagt: Seinem ganzen Zuschnitte nach ist der von unserer Mitkämpferin entwickelte Vorschlag nicht ein Pro­gramm für die Erziehung zum Sozialismus, sondern ein praktisches Arbeitsprogramm auf abgegrenztem Gebiete, durchgeführt von Sozia listinnen und im Interesse der sozialistischen   Bewegung" so tann ich ihr nur zustimmen, denn etwas anderes habe ich gar nicht zu schaffen beabsichtigt. Wenn sie aber im Anschluß hieran die Ansicht ausspricht, daß keine Nothwendigkeit zu einer besonderen Organisation für die Erziehung unserer Kerntruppen vorliegt, so muß ich ihr widersprechen. Zwar haben wir in den Gewerk­

Die Polizeigewalt im Kampfe gegen die ,, Umstürzlerinnen" hat in Ilmenau   Lorbeeren geerntet. Es wurde dort eine Versamm­lung verboten, in der Genossin Zetkin   über das Vereins- und Ver­sammlungsrecht der Frauen referiren sollte. In der Begründung der staatsretterischen Maßregel heißt es: Wie Ihnen bekannt, ist die Abhaltung der in den letzten Jahren von Ihnen angemeldeten sozial­demokratischen Versammlungen immer genehmigt worden. Die für den 19. d. M. beabsichtigte Versammlung mußte indessen wie Ihnen zur Ersparung der Annoncirung schon mündlich mitgetheilt wurde in Rücksicht auf die Persönlichkeit der Rednerin, Clara Zetkin  , welche bekanntlich in besonders scharfer Weise den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnungen predigt, verboten worden." Der Herr Bürgermeister Eckard ist offenbar ein Gemüths­mensch, der, wenn sein Herz seinen guten Tag hat, den Sozialdemo kraten die Annoncirung einer Versammlung gütigst erspart. Er ist offenbar auch ein äußerst pflichteifriger Mann, der durch sein Walten die Wachsamkeit anderer städtischer Behörden um mehr als Nasenschaften, den Bildungsvereinen und Diskutirklubs, in unserer um­länge schlägt. Denn während Ilmenau   vor der besonders scharfen ,, Umsturzpredigt" bewahrt blieb, durfte Genossin Zetkin   in anderen Städten des Goetheländele ungehindert predigen", sogar in Weimar  , das in dem gleichen Verwaltungsbezirk wie Ilmenau   liegt. Sollten in diesem Städtchen die bestehenden Staats- und Gesellschaftsord­nungen" auf so besonders schwachen Füßen stehen, daß ein Referat die Wirkung des Posaunenblasens vor Jericho   auszuüben vermöchte? Oder sollten daselbst dunkle Punkte" die Frauen als besonders ge­fährliche Agitatorinnen erscheinen lassen? In Ilmenau   wurde nämlich seiner Zeit auch ein Referat der Genossin Steinbach verboten.

Bur Debatte über meinen Vorschlag. Wenn Jemand mit einem seit Jahren gehegten Plan, der die Frucht gründlicher Ueberlegungen ist, an die Deffentlichkeit tritt, so muß er von vornherein auf Widerstand gefaßt sein. Die Mehrzahl derer, die seit Langem in den gleichen Bahnen praktisch arbeiten, verlieren nicht nur leicht das objektive Urtheil, den Blick aus der Vogelperspektive über das Feld ihrer Thätigkeit, sie meinen auch gewöhnlich, daß jede Aenderung im Arbeitsplan, jedes Erschließen eines neuen Arbeitsgebietes, eine völlige Umwälzung, ja ein Aufgeben der bisherigen Wirksamkeit bedeutet. Die ablehnende Stellung derer, die sich zu meinem Vorschlag äußerten, entspringt hauptsächlich der erwähnten Annahme. Die Genossinnen sind von der Meinung aus­gegangen, daß ich die gesammte Arbeiterinnenbewegung in einen Schraubstock spannen, gewissermaßen umorganisiren wolle, während ich nichts weiter beabsichtige, als eine Stelle zu schaffen, die mit ihrer stillen, theoretischen Arbeit in den Dienst der großen, frei sich ent­faltenden Arbeiterinnenbewegung treten soll. Fast möchte ich sagen, meine Gegnerinnen haben aus der Mücke einen Elephanten gemacht. Ich gestehe gern zu, an dem Mißverständniß selbst mit die Schuld zu tragen, da ich meinem, die Diskussion einleitenden Artikel den Titel: ,, Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung", statt Eine Aufgabe für die deutsche Arbeiterinnenbewegung" gab. Daß diese Aufgabe vorliegt und gelöst werden muß, steht heute, trotz aller

fangreichen Presse und Broschürenliteratur Mittel genug zu solcher Erziehung; wo aber haben unsere mitten in der Agitation stehenden Genossinnen die Zeit, an dem Vereinsleben all dieser Organisationen theilzunehmen, die ganze Presse und Broschürenliteratur zu ver­folgen, und sich aus den tausenderlei Anregungen, Eindrücken und Belehrungen die geistigen Waffen selbst zusammen zu stellen, die sie für ihren Kampf nöthig haben? Genossin Zetkin   beruft sich auf den Mangel an Muße, um damit gegen meinen Plan zu polemi­firen, ich führe dieselbe Thatsache gerade als einen schwerwiegenden Grund für ihn an. Zur näheren Erklärung ein praktisches Beispiel: nehmen wir an, es wird beschlossen über eine bestimmte Frage, sagen wir über die aktuelle des Vereins- und Versammlungsrechts, in öffent­lichen Frauenversammlungen Preußens zu referiren. Zwei, drei unserer Agitatorinnen übernehmen diese Aufgabe. Sie wissen aus den Zeitungen und den persönlichen Erfahrungen mancherlei, was sie für ihre Vorträge benutzen können, aber ihr Material bleibt un­zulänglich. Lange Zeit zum selbständigen Suchen danach, zum Studium dickleibiger Bücher bleibt ihnen nicht, denn meistens geht es ihnen wie den Soldaten im Felde: die Marschordre kommt knapp vor dem Aufbruch. Um sich aber doch so gut als möglich vorzu­bereiten, gehen sie zu den Abgeordneten oder den Redakteuren der Partei, um sich von ihnen belehren zu lassen und Material von ihnen zu bekommen. Die Genossen helfen ihnen so gut es geht, aber sie beklagen sich nachher mit Recht über die Störung, die sie, die selbst meist ueberarbeiteten, erdulden müssen; auch haben sie nur selten das gerade für die spezielle Agitation unter den Frauen Wichtigste zur Hand. Haben wir dagegen eine Organisation, die sorgfältig alles sammelt, was auf die soziale, wirthschaftliche, rechtliche und politische Stellung der Frauen, speziell der Arbeiterinnen Bezug hat, deren Bureau jeder Agitatorin offen steht, wo sie in geordneten Ru­briken das für sie Nothwendige stets vorfindet und wo außerdem eine Sekretärin anwesend ist, zu deren Aufgaben es gehört, ihr per­sönlich beizustehen, so spart sie an Zeit, ist nicht auf die Freundlich­feit und ungenügende Hilfe der Genossen angewiesen, und kann sicher sein, wohlausgerüstet in den Kampf zu gehen. Da aber außer ihr, um bei dem Beispiel zu bleiben, noch Andere über dasselbe Thema