und auf dem Lande je 15 Zigarrenfabriken, 1896 zählte man davon in Gießen 18, auf dem Lande 21. Mit der Verlegung der Zigarrenfabrikation auf das Land wird sicher die Ausdehnung der Hausindustrie und eine noch weiter steigende Verwendung weiblicher Arbeitskräfte Hand in Hand gehen. Der Kapitalist feiert mit den Lippen die heilige Stellung" der Frau, aber vom Profitbegehren getrieben entreißt er die Proletarierin ihren häuslichen Pflichten, um sie als Lohnsklavin in der Fabrik oder daheim auszubeuten.
Ueber die Verwendung der Frauen im Fernsprech dienst heißt es in dem amtlichen Bericht der Reichspostverwaltung für 1891-1896:" Die im Jahre 1889 versuchsweise eingeführte Verwendung weiblicher Personen im Fernsprechdienst, wo dauernd eine große Anzahl Beamter gleichzeitig beschäftigt wird, hat sich bewährt und ist weiter ausgedehnt worden. Zuvörderft wurden die vorhandenen Telegraphengehilfinnen im Fernsprechdienst beschäftigt. Der weitere Bedarf wurde alsdann durch Heranziehung wohlerzogener Mädchen oder kinderloser Witwen im Alter von 18-30 Jahren gedeckt. Die Einrichtung hat sich in der bekannten Beschränkung bewährt und nach und nach weiteren Umfang erhalten. Ende März 1896 waren an 15 großen Verkehrsorten 2023 Fernsprechgehilfinnen thätig. Seit drei Jahren werden ältere befähigte Gehilfinnen auch im Aufsichtsdienst beschäftigt." Der Umstand, daß die Frauen im Fernsprechdienst sich durchaus bewährt haben, hat zwar eine steigende Verwendung der Frauenarbeit, aber keine der Bewährung entsprechende Besoldung der Gehilfinnen zur Folge gehabt. Ihre Gehaltsverhältnisse stehen im Zeichen jener schäbigsten Ueberschußwirthschaft, welche für unsere Reichspostverwaltung charakteristisch ist. Für die zunehmende Verwendung der Frauenarbeit im Fernsprechdienst ist ebenso sehr die Billigkeit wie die Brauchbarkeit maßgebend. Der Kapitalistenstaat als Arbeitgeber befolgt die nämlichen Praktiken wie der erste beste Privatunternehmer.
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
Die elenden Arbeitsbedingungen der Wäscherinnen und Büglerinnen gehen aus den folgenden Angaben hervor. Die Wäscherinnen in Niederrad bei Frankfurt a. M. haben eine Arbeitszeit von 14-16 Stunden und noch länger. Sowohl jugendliche Arbeiterinnen wie verheirathete Frauen müssen tagtäglich so lange arbeiten. Die Mittagpausen dauern meist nur 20 Minuten; zur Frühstück und Vesperzeit wird die Arbeit gewöhnlich nicht unterbrochen. Der Lohn der Wäscherinnen beträgt 1,20-1,40 k.; die Büglerinnen erhalten 1,40-1,70 Mt. Lehrmädchen, welche ein Jahr lang lernen müssen, bekommen in manchen Wäschereien überhaupt keinen Lohn. Die Kost läßt vielfach zu wünschen übrig. Die Wäsche rinnen von Niederrad gedenken sich zu organisiren, um nach dem Beispiel ihrer Isenburger Kameradinnen bessere Arbeitsbedingungen zu erringen.
Der färgliche Verdienst der Säumerinnen in der Laubaner Taschentücher Fabrikation erhellt aus den folgenden Angaben des ,, Ronfektionär", eines Unternehmerorgans vom reinsten Wasser:„ Die Löhne für das Säumen der Tücher sind bedeutend herabgedrückt. Sie betrugen vor ca. 15 Jahren noch 25-30 Pf. pro Dutzend. Heute sind sie herunter bis auf 6 Pf. bei einzelnen Sorten und 10 Pf. im Durchschnitt. Was sind die Folgen davon? Wer hat den Schaden? Die Säumerinnen. Diese müssen, um etwas zu verdienen, so angestrengt nähen, daß sie meist bleichsüchtig, unterleibsleidend und schwindsüchtig werden. Und wer hat den Nutzen? Der Fabrikant nicht, der Konsument nicht, der Detailleur nicht viel, nur der Grossist, über dessen Existenzberechtigung sich in Anbetracht der heutigen Kulturverhältnisse streiten läßt, das meiste." Diese Ausführungen machen jeden Kommentar überflüssig. Freilich kennt der„ Konfektionär" die in der Notiz geäußerten Ansichten nicht, sobald es sich um die Arbeitsbedingungen der Konfektionsarbeiterschaft handelt. Dann vertritt das Organ die Zeit des Konfektionsarbeiterstreiks hat es bewiesen rücksichtslos das rücksichtsloseste Unternehmerinteresse. Den Lurus der Arbeiterfreundlichkeit" gestattet es sich nur, dafern es sich um Nichtkonfektionsarbeiterinnen handelt. Wie doch besagt das alte Sprüchlein:„ Ich bitt' Dich, lieber Florian, verschon' mein Haus, zünd' Nachbars an."
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Das Elend der Konfektionsarbeiter illustrirt recht klärlich folgende Stelle des amtlichen Berichts über die Erhebungen der Reichskommission für Arbeiterstatistik." In Berlin kommt es häufiger vor, daß die Kinder des Tags über die Wirthschaft besorgen, und daß die Mutter sich höchstens Sonntags um dieselbe bekümmert. Das ist um so eher möglich, als hier Frühstück, Mittagbrot und Vesper des öfteren nur aus Butterbrot und Kaffee bestehen. Selbst wenn die Arbeiterin verheirathet ist, wird in vielen Fällen erst Abends etwas Ordentliches gefocht, weil die an der Peripherie liegende Wohnung
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des Arbeiters zu weit von seiner Arbeitsstätte entfernt ist. Aber auch unverheirathete, selbständig wirthschaftende Arbeiterinnen essen oft erst Abends etwas Warmes, weil in der Mittagsstunde die Zeit zu knapp ist. Vielfach beschränkt man sich noch darauf, den früh gefochten Kaffee aufzuwärmen." Also der amtliche Bericht, in dem das offenbare Bemühen waltet, die Mißstände in der Konfektion mit geheimräthlicher Vorsicht zu enthüllen. Jede Zeile der angezogenen Stelle erzählt von bitterer Noth, erzählt von der Zersehung des Familienlebens und der heiligen Stellung" der kapitalistisch ausgebeuteten Frau. Trotzdem wollen sich die Gesetzgeber bei Be fämpfung des Konfektionsarbeiterelends auf weniger als halbe Maßregeln beschränken. Dem in der Konfektion mit Arbeiter- und Arbeiterinnenleben wuchernden Kapital soll der Pelz gewaschen werden, ohne ihn naß zu machen. Das nennt sich deutsche Sozialreform!
Einen neuen Vers zum alten Lied vom Arbeiterinnenelend fügt die folgende Thatsache bei: In einer Zigarrenfabrik in Bremen erhalten, wie der„ Tabak- Arbeiter" mittheilt, die Zurichterinnen Strafarbeit, welche nicht zur rechten Zeit am Platze sind. Die Zurichterinnen arbeiten im Afford und der Arbeitsraum wird erst 1/4 Stunde nach der festgesetzten Anfangszeit geöffnet. In der Folge verdiente eine Arbeiterin bei Strafarbeit den ganzen Tag 70 Pf. Die Betreffende hat nicht blos sich selbst, sondern einige Kinder zu ernähren. Die Kunst der mittelalterlichen Kipper und Wipper erscheint als elende Stümperei im Vergleich zu den Kniffen und Pfiffen, mittels deren unsere biederen Kapitalisten Arbeiterinnen aufs Vollständigste ausbeuten.
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Frauenbewegung.
Mit der Frauenfrage beschäftigte sich der achte EvangelischSoziale Kongreß zu Leipzig in einer Spezialkonferenz, die am 11. Juni stattfand. Merkwürdigerweise oder vielleicht auch nicht- sprach über die Frage keine der Damen, welche der EvangelischSozialen Frauengruppe angehören und die Grundsätze des Kongresses vertreten. Vielmehr Frau Dr. juris Rempin, welche für eine Lösung der Frauenfrage nach Stummschem Ideal kämpft und deshalb auch für würdig und wohlgeschickt befunden worden ist, über die Materie in der freifonservativen Post" zu schreiben, dem Organ des scharfmachenden Königs von Saarabien. Die Dame sprach über Die Grenzlinien der Frauenbewegung" und stellte eine Reihe von Leitsätzen auf, die seicht und reaktionär in glücklichem Gemisch sind. So soll z. B. die Frau auf allen Gebieten zur schrankenlosen Konkurrenz mit dem Manne zugelassen werden, allein das aktive und passive allgemeine Wahlrecht soll ihr vorbehalten bleiben und sogar das lokale Wahlrecht wird als ein„ Postulat der Zukunft" bezeichnet. Die Vorsitzende der Konferenz, die kenntnißreiche, treffliche Frau Gnauck- Kühne, trat in scharfer Sachlichkeit den Ausführungen der Referentin entgegen. Ebenso mehrere Frauenrechtlerinnen, die der Konferenz beiwohnten, darunter nicht blos Frau Cauer, als Vertreterin des„ radikalen" Flügels, sondern auch Fräulein Auguste Schmidt , die auf dem äußersten rechten Flügel der deutschen Frauenrechtelei steht. Auch eine Reihe von Herren bekämpften Frau Kempins Ansichten. Wir werden auf das Referat und die anknüpfenden Verhandlungen noch zurückkommen.
Ein Frauenkongreß zu Wellington ( Neuseeland ), der kürzlich tagte, forderte hach der Köln . Zeitung" für die Frauen jedes den Männern bis jetzt zuerkannte Vorrecht, Recht oder Amt. In Neu seeland besitzen bekanntlich die Frauen bereits das volle Wahlrecht, weibliche Bürgermeister giebt es daselbst ebenfalls.
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Zum Oberpostmeister wurde in Texas ( Nordamerika ) eine Frau ernannt.
Als Geistliche wurde eine Frau, Mrs. Mitchell, in Idaho ( Nord- Amerika ) vom Staate ernannt. Idaho hat bekanntlich kürzlich den Frauen das Stimmrecht gewährt.
Ein internationaler Frauenkongres soll im August in Brüssel tagen. Er wird voraussichtlich vor allem seitens der französischen Frauenrechtlerinnen gut beschickt werden. La Ligue féminine du Droit des femmes( Frauenliga für das Frauenrecht) sendet 10 Delegirte. Der Kongreß wird sich u. a. besonders mit der Rechtsstellung der Frau beschäftigen. Das Programm des Kongresses. ist der Gräfin von Flandern , Prinzessin von Hohenzollern , vorgelegt worden. Die Fürstin hat geruht", es in eingehender sachlicher Weise" mit dem Komite zu besprechen. Nun kann es den gutgesinnten Frauenrechtlerinnen nicht fehlen. Die Regierung hat bereits 1000 Frs. für die Kosten des Kongresses bewilligt. Würde sie das auch gethan haben, wenn die Frauenrechtlerinnen weniger thron fromm und gutgesinnt sich nicht um die Protektion einer allerhöchsten Frau" bemüht hätten?
Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zettin( Eißner) in Stuttgart. -- Druck und Verlag von J. H. W. Diez in Stuttgart .