Nr. 15.
Die Gleichheit
7. Jahrgang.
Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch, den 21. Juli 1897.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Inhalts- Verzeichniß.
Aus der Bewegung.
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Die Frauenfrage auf dem evangelisch- sozialen Kongreß.- Genossin Brauns modifizirter Vorschlag. Von Klara Zetkin . Feuilleton: Beatrice Webb. ( Schluß.)
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Notizentheil von Lily Braun und Klara Bettin: Der internationale Kongreß für gesetzlichen Arbeiterschutz zu Zürich . Gewerkschaftliche Arbeiterinnen- Organisation. Soziale Gesetzgebung. Weibliche Fabrikinspektoren. Frauenbewegung. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Gewerbegerichtliches.
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Die Frauenfrage auf dem evangelisch
fozialen Kongrek.*
Der achte evangelisch- soziale Kongreß, der in der ersten Hälfte Juni in Leipzig tagte, befaßte sich, wie seine zwei lezten Vorgänger, mit der Frauenfrage. 1895 hatte in Erfurt Frau Gnaud- Kühne die prinzipielle Grundlage der evangelisch- sozialen Frauenbewegung gelegt. 1896 behandelte auf dem Kongreß zu Stuttgart Frau Lippmann eine Spezialfrage:„ Die Thätigkeit der Frau im Gemeindedienst". Dieses Jahr trat an Stelle der früher geplanten Erörterung eines weiteren Sondergebietes:" Die Stellung der Frau im deutschen Recht", abermals ein Referat über eine grundsäßliche Frage, über:" Die Grenzlinien der Frauenbewegung".
Von allen bürgerlichen politischen Richtungen ist die evangelisch- soziale bis jetzt die einzige, welche der Frauenfrage ernstere Aufmerksamkeit zuwendet und sie auf ihren Kongressen in eingehender Weise durch Frauen und unter Betheiligung von Frauen erörtern läßt. Sie hat sich mithin in dieser Richtung als demokratischer und fortschrittlicher erwiesen, wie die freisinnige und die demokratische Partei. Gleichzeitig aber auch als politisch flüger wie diese. Denn selbstverständlich ist es, daß die Frauenbewegung im evangelisch- sozialen Lager nicht als die frauenrechtlerischerseits approbirte, schemenhafte„ Frauenbewegung an und für sich und als solche" erfaßt und in edler Selbstlosigkeit um der lieben Gerechtig= feit willen gefördert wird. Vielmehr als ausgesprochene Parteibewegung, welche die Frauenfrage im Lichte der evangelisch- sozialen Grundsäße betrachtet, das weibliche Geschlecht zur Mitförderung der evangelisch- sozialen Bestrebungen heranziehen will und die mithin im Interesse der Richtung Unterstützung erfährt. Der Charakter der evangelisch- sozialen Frauenbewegung wird nicht in erster Linie durch das Frausein, das Geschlecht ihrer Trägerinnen bestimmt, sondern durch deren evangelisch- soziale Ueberzeugung.
In wünschenswerther Deutlichkeit gelangte diese Auffassung in der Vorversammlung des Kongresses zum Ausdruck. Fräulein Dr. phil . Käthe Windscheidt erklärte hier:„ Die heutigen Frauen sind sich der Verpflichtungen des neunzehnten Jahrhunderts voll bewußt; sie sind aus der Zeit des Puppenheims heraus in das große geistige und geschäftliche Leben eingetreten.... Schulter an Schulter werden sie mit ihren gleichgesinnten Genossen lernen, schaffen und wirken." Diese unzweideutige Erklärung steht in wohl= thuendem Gegensaße zu dem üblichen frauenrechtlerischen Geschmuse
* Wegen Raummangels verspätet.
Buschriften an die Redaktion ber Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Zetkin ( Eißner ), Stuttgart , Rothebühl Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stutigart, Furthbach- Straße 12.
von der über allen Parteien thronenden, einen und untheilbaren unpolitischen Frauenbewegung. Es ist unseres Wissens das erste Mal, daß seitens bürgerlicher Frauenrechtlerinnen klipp und klar die sozialpolitische Parteizugehörigkeit über die Geschlechtsgemeinschaft gestellt wird.
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Aus:
Angesichts dieser Klarheit innerhalb der evangelisch- sozialen Frauengruppe selbst muß es befremden, daß über die Grenzlinien der Frauenbewegung eine Dame referirte, Frau Dr. jur. Kempin, die nicht auf dem Standpunkt der Richtung steht. Die Thatsache erklärt sich wohl auch nur äußerlich dadurch, daß Frau Kempin ursprünglich als Referentin über die Rechtsstellung der Frau vorgesehen war. Tiefer treffend scheint die Annahme führungen mehrerer Herren in der Debatte sprechen für sie daß im evangelisch- sozialen Lager Elemente vorhanden sind, welche die frauenrechtlerischen Ziele der weiblichen Gruppe als zu weitgehend" erachten. Aber maßgebender als dies, so will uns be= dünken, war ein anderer Umstand. Die begabtesten und durchgebildetſten Führerinnen der evangelisch- sozialen Frauengruppe stehen zwar nicht auf dem äußersten linken Flügel bürgerlicher Frauenrechtelei, wohl aber auf dem äußersten Flügel bürgerlicher Sozialreform. So schlug man auf die radikalen" Frauenrechtlerinnen, aber die radikalen Sozialreformlerinnen meinte man. Der gut bürgerliche Charakter des Kongresses wurde in hellstes Licht ge= rückt, wenn statt einer Frau Gnaud- Kühne oder eines Fräulein Dyrrhenfurt eine Frau Dr. Kempin referirte, deren frauenrechtlerische und sozialreformlerische Forderungen so, vernünftige" sind, daß der ungekrönte und unverantwortliche König Stumm ihre Veröffentlichung in seinem Organ„ Die Post" gnädigst gestattet.
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Sie
Frau Dr. Kempins Referat über„ Die Grenzlinien der Frauenbewegung" war ein Meisterstück von Oberflächlichkeit und Schiefheit, von Widersprüchen und einem steten Ausweichen vor den Ursachen und den sich logisch aufdrängenden Schlußfolgerungen bestimmter Thatsachen. Sehr richtig betonte z. B. die Referentin bei aller Anerkennung der ethischen und rechtlichen Seite der Frauenbewegung den vorwiegenden Einfluß des wirthschaftlichen Moments. ging davon aus, daß die Noth die stärkste ursächlich treibende Kraft der Frauenbewegung ist. Aber mit keiner Silbe streifte sie auch nur die Ursachen, welche die Noth auslösen und Tausende von Proletarierinnen aus Hausfrauen in Berufsarbeiterinnen verwandeln, breite Kreise bürgerlicher Frauen und Mädchen zum Broterwerb zwingen. Allerdings hätte sie diese Ursachen nicht aufdecken können, ohne die Wesenheit der bürgerlichen Wirthschaftsordnung blos zu legen und der Kritik preis zu geben. Frau Dr. Kempin aber scheint in ihren Ausführungen jeder Kritik dieser besten aller Welten geflissentlich aus dem Wege gegangen zu sein. Von einer Mitarbeiterin der Stumm'schen" Post" ist das allerdings nicht verwunderlich.
Die Referentin konstatirte die üblen wirthschaftlichen Folgen, welche die Konkurrenz der Frau für den Verdienst des Mannes zeitigt. Aber es fiel ihr nicht ein, zu zeigen, daß einzig das tapitalistische Wirthschaftssystem, daß die kapitalistische Profitgier die Mitarbeit der Frau zur Schmußkonkurrenz dem Manne gegenüber umprägt. Sie deutete deshalb auch nicht die wirksamsten Mittel zur Milderung der charakterisirten Uebelstände an: den wirthschaftlichen Kampf durch die Gewerkschaft und die gesetzliche