der Frauen nach Entwicklung ihrer Individualität gipfelt, ernster Be­rücksichtigung werth. 9. Eine Lösung der Frauenfrage in diesem Sinne ist nur durch eine wesentliche Umgestaltung der Erziehung zu erreichen. 10. Vor Allem ist ein obligatorisches Dienstjahr im Haus­haltungsfache einzuführen und Unterrichtsanstalten für Mädchen zu schaffen, welche die Mittelstufe zwischen Gymnasial- und Hochschul­studien bilden, und deren Abgangszeugnisse der Absolvirung der ersten Semester an den bestehenden Universitäten gleichgeachtet werden."

Erweiterung der Frauenrechte und soziale Reformen ver­langen eine Reihe von Petitionen, welche im laufenden Jahre seitens der Frauenrechtlerinnen in Finnland dem Landtage eingereicht worden sind. Es wird in den Petitionen gefordert: 1. Das aktive und passive politische Stimmrecht für die Frauen. 2. Das passive kommunale Wahlrecht für die Frauen( das aktive Gemeindewahlrecht besitzen sie schon seit Jahren). 3. Wählbarkeit der Frauen in das Vormundschaftsgericht. 4. Gleiches Recht für Lehrer und Lehrerinnen. Zulassung der Lehrerinnen zu allen staatlichen Schulämtern. 5. Ver­besserung der rechtlichen Stellung der unehelichen Kinder. 6. Reform der Prozeßordnung; Berechtigung der Juristinnen zur Führung eines Rechtsstreits vor Gericht. 7. Verbot der Eheschließung von Frauen vor dem vollendeten achtzehnten Lebensjahr. 8. Maßregeln gegen die Prostitution; gleiche Behandlung der unsittlichen Männer und Frauen betreffs der Maßregeln, welche die Verbreitung von Ge­schlechtskrankheiten verhindern sollen. Eine gesetzliche Festlegung des Eheschließungsalters der Frauen auf das vollendete achtzehnte Lebens­jahr erscheint nur als eine überflüssige Maßregel. Aus dem uns vorliegenden Bericht geht nicht hervor, was die finnländischen Frauen­rechtlerinnen unter Maßregeln gegen die Prostitution" begreifen. Dafern sie unter dieser Etikette Reformen zu Gunsten des arbeitenden Volkes, zumal Reformen zu Gunsten der Arbeiterinnen fordern sollten, so würde ihr Vorgehen gewiß Anerkennung verdienen. Aber wir fürchten, daß die Damen lediglich mit Frau Bieber- Böhm Juristerei und Büttelei zum Kampfe gegen die Unsittlichkeit aufrufen. In allen Ländern hatte ja bisher das Gros der Frauenrechtlerinnen bezüg­lich der Frage der Prostitution eine geradezu verblüffende Unklar­heit, Schiefheit und Einseitigkeit der Auffassung, und der Aktion bethätigt. Und schon der Umstand ist nach der Richtung hin ver­dächtig, daß von der gleichen Behandlung unsittlicher" statt ge= schlechtskranker" Männer und Frauen gesprochen wird. Die wich­tigste Petition der finnländischen Frauenrechtlerinnen, das politische Stimmrecht des weiblichen Geschlechts betreffend, ist einer Kom­mission zur Berathung überwiesen worden.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Mit der Frage der Frauenarbeit und des gesetzlichen

Arbeiterinnenschutzes beschäftigte sich der Regionalkongreß der lombardischen Parteigenossen, der Ende Juni in Lodi tagte. Im Anschluß an ein treffliches Referat von Genossin Dr. Kulischoff beschloß der Kongreß, eine von der sozialistischen Frauengruppe in Mailand begonnene Enquete über die Bedingungen der Frauen- und Kinderarbeit in Italien zu unterstützen. Ferner sobald als möglich eine lebhafte Agitation vermittels von Arbeiterinnenkomites ins Leben zu rufen, und zwar behufs Unterstützung eines von den sozia­ listischen Abgeordneten einzureichenden Gesetzentwurfs, den staatlichen Schutz der Frauen- und Kinderarbeit betreffend.

Gewerbegerichtliches.

Die unwürdige Behandlung der Arbeiterinnen seitens mancher Unternehmer wird klärlich durch den folgenden Fall illustrirt, der kürzlich vor der Kammer I des Berliner Gewerbegerichts ver­handelt wurde. Die Herren Say& Wolfsohn flagten gegen die Knopflochnäherin S. auf Schadenersatz wegen angeblichen Kontrakt­bruches. Der Vertreter der Firma, Herr Sax, begründete die For­derung von 28 Mt. damit, daß Fräulein S. ihn um diese Summe dadurch geschädigt habe, daß sie ohne Innehaltung der vierzehntägigen Kündigungsfrist plötzlich die Arbeit niedergelegt habe. Die Kläger hätten während der vierzehn Tage ein Lehrmädchen an die Maschine setzen müssen, an der die Beklagte gearbeitet habe. Solange Fräulein S. die Maschine bediente, habe ihnen diese pro Woche 14 Mt. ein­gebracht, ein Lehrmädchen dagegen zerbreche so viel Nadeln, daß der Geschäftsnutzen gleich Null sei. Fräulein S. erhob Widerklage und verlangte 18,22 Mt. einbehaltenen Lohn und 25 Mt. Entschädigung. Sie machte geltend, Herr Say habe sie so grob beleidigt, daß ihr ein längerer Verbleib im Betrieb unmöglich gewesen sei. Herr Say", so erzählte Fräulein S., steckte den Schlüssel zum Anstandsort ein, damit Niemand außerhalb der Pausen austreten sollte. Nachdem er den Schlüssel einem Lehrmädchen verweigert

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Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Eißner) in Stuttgart .

hatte, verlangte ich ihn für mich. Als mein Verlangen ebenfalls ab­geschlagen wurde, machte ich Hrn. Say Vorhaltungen, daß er den Schlüssel herausgeben müsse und daß sein Verhalten polizeiwidrig sei. Hierauf erwiderte Say, ich solle nicht frech sein; meinen Protest gegen eine solche Behandlung und gegen das Verbot, den Mund zu halten, beantwortete er mit noch gröberen Beleidigungen. Ich sei ein freches Frauenzimmer, erklärte er, wenn ich nicht ruhig sei, so werfe er mich zum Fenster hinaus. Ich solle mich in acht nehmen, sonst könne ich meine Knochen auf der Straße zusammen­suchen. Auch äußerte er, ich triebe mich auf der Straße herum." Herr Sax bestritt die letztere Behauptung, Fräulein S. er­bot sich jedoch, sie zu beweisen. Im Uebrigen vermochte Herr Sar den Anschuldigungen der Dame gegenüber nur zu erklären, daß ihm die angeführten Aeußerungen lediglich in Folge der großen Erregung entwischt sein könnten, in die ihn das Auftreten der Beklagten ver­setzt habe. Er wollte nicht die Absicht gehabt haben, jeder Arbeiterin den Schlüssel zum Abort vorzuenthalten; er hätte vielmehr nur ver­hindern wollen, daß die Mädchen ihrer Gewohnheit nach zu drei und vier" austreten. Fräulein S. blieb mit großer Bestimmtheit bei ihren Angaben. Der Vorsitzende der Gewerbegerichtskammer rieth zu einem Fräulein S. günstigen Vergleich. Er führte aus, Herr Say solle zahlen, damit die ganze Geschichte nicht erst im schriftlichen Urtheil firirt zu werden brauche. Die Kläger Say& Wolfsohn wurden mit ihren Ansprüchen abgewiesen und verurtheilt, an Fräulein S. 44,22 Mt. zu zahlen. In dieser Summe ist eine Ver= säumnißgebühr von 1 Mt. enthalten, die der Beistand des Mäd­chens beantragt hatte. Die Klage der Herren Sax& Wolfsohn, wurde dargelegt, sei unbegründet, da seitens des Fräulein S. fein Kontraktbruch vorliege. In dem Verhalten des Herrn Say gegenüber der Angeklagten liege eine so ungeheuerliche Ungebühr, daß die Dame nicht im Geschäft verbleiben konnte. Fräulein S. habe unter diesen Umständen nicht blos Anspruch auf den rückständigen Wochen­verdienst, der ihr nach der Arbeitsordnung im Falle eines Kontrakt­bruches verloren gehen sollte, sondern sie müsse auch die geforderte Lohnentschädigung zugebilligt erhalten. Möchten die Arbeiterinnen sich doch endlich daran gewöhnen, in jedem Falle einer Verlegung ihrer Interessen durch den Unternehmer so bestimmt und klar beim Gewerbegericht vorzugehen, wie es Fräulein S. gethan.

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Zur Beachtung.

Seitens der Unterzeichneten sind Listen zur Sammlung von Geldern für die Agitation unter den proletarischen Frauen in Umlauf gesetzt. Die Genossinnen allerorten werden dringend ersucht, sich solche Listen kommen zu lassen und fleißig für Aufbringung von Mitteln zu wirken. Frau M. Wengels

Vertrauensperson.

Berlin O, Fruchtstraße 30, Quergeb. 2 Tr. Quittung.

erhalten zu haben bescheinigt dankend Zu Agitationszwecken 20 Mt. von den Genossinnen in Köln

Frau M. Wengels, Vertrauensperson Berlin O, Fruchtstraße 30, Quergeb. 2 Tr.

Quittung.

Für die Wäscherinnen in Neu- Isenburg sind nachträglich noch einige Beträge eingegangen, darunter von den Genossinnen in Königsberg 20 Mt.; von dem Gewerkschaftskartell zu Schmölln , S. A., 5 Mt. 20 Pf. Die Gesammtsumme der bei der Unterzeich­neten eingelaufenen Gelder beträgt 944 Mt. 94 Pf.

Frau M. Wengels, Vertrauensperson, Berlin .

Druckfehler- Berichtigung.

In dem Leitartikel von Nr. 14, Wir kämpfen für unser Recht", sind leider mehrere sinnentstellende Druckfehler stehen ge­blieben. Seite 106, Zeile 2 von oben ist den" zu lesen statt die". Auf der nämlichen Seite, Zeile 20 und 19 von unten muß An­gelegenheit" statt" Arbeit" und" Tropfen" statt" Propfen" stehen. Der betreffende Satz muß lauten: Und in der Mehrzahl der Fälle destilliren sie mit ebenso viel feinsinnigem Geschick als löblichem Eifer aus jeder Angelegenheit, mit der Arbeiterinnen sich befassen, den erforderlichen politischen Tropfen heraus, um auflösen, verbieten und strafen zu können."

Druck und Verlag von J. H. W. Dietz Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart .