Nr. 17.
Die Gleichheit.
7. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Stuffgart
Mittwoch, den 18. August 1897.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Juhalts- Verzeichniß.
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Nicht Schmutzkonkurrentin, Kampfesgefährtin, Arbeitsgenossin.- Frauen im Aus der Telephondienste. Von einer ehemaligen Telephonistin. Bewegung. Feuilleton: Erotik und Idyll. Aus Novelletten von Alexander Kielland. ( Fortsetzung.) Vergangenheit und Zukunft. ( Gedicht.) Von Rückert.
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Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Der Internationale Kongreß für gesetzlichen Arbeiterschutz zu Zürich. - Gefundheitsschädliche Folgen industrieller Frauenarbeit. Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Frauenbewegung.
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Nicht Schmukkonkurrentin, Kampfes
gefährtin, Arbeitsgenoffin.
Wirthschaftliche Unabhängigkeit der Frau, das ist die Grundlage der sozialen Befreiung des weiblichen Geschlechts, seiner sozialen Gleichberechtigung mit der Männerwelt; wirthschaftliche Selbständigkeit, das ist der sichere, gesegnete Boden, auf dem das freie Selbstbestimmungsrecht des Weibes als Geschlechtswesen fräftig in die Halme sproßt und sich zu herrlichen fruchtbaren Blüthen entfaltet. Mit Recht steht deshalb die Forderung der wirthschaftlichen Unabhängigkeit der Frau und des Kampfes für sie im Vordergrund aller Strömungen, welche das weibliche Geschlecht aus der Enge und Einseitigkeit des heutigen Lebens und Webens zum Vollmenschenthum vorwärts und aufwärts tragen wollen.
Für die übergroße Mehrzahl der Frauen aber baut sich die wirthschaftliche Selbständigkeit dem Manne gegenüber auf der Berufsarbeit auf. Nur das winzige Händchen von Damen der oberen Zehntausend erlangt mit dem Verfügungsrecht über das ansehnliche Vermögen wirthschaftliche, persönliche und soziale Unabhängigkeit. Die breiten Frauenmassen dagegen der Habenichtse und Wenigbesitzenden erringen die wirthschaftlich selbständige Eristenz in der Familie nur, dafern sie, das Schalten und Walten am häuslichen Herde preisgebend, berufsthätig sind. Und die geschicht liche Entwicklung, gespornt und getrieben von den tieffurchenden Umwälzungen des Wirthschaftslebens, zwingt immer ausgedehnteren Frauenkreisen die Erwerbsarbeit auf. Sie verwandelt mächtige Schichten von Proletarierinnen aus wirthschaftenden Hausfrauen in Berufsarbeiterinnen auf industriellen und gewerblichem Gebiete; sie hett Schaaren bürgerlicher Frauen und Mädchen aus der beschränkten Idylle des bürgerlichen Heims zum Broferwerb auf dem Gebiete des Handels und Verkehrs, des Kunstgewerbes, der sogenannten liberalen Berufe.
Wohl zeitigt die Klassenspaltung in der kapitalistischen Gesellschaft und die von ihr beherrschte verschiedene Klassenlage der proletarischen und der bürgerlichen Frauen bezüglich der Berufsthätigkeit der einen und der anderen einen wesentlichen Unterschied. Die Proletarierin hat die Berufsarbeit nicht zu erringen im Kampfe von Geschlecht zu Geschlecht, sie ist ihr vielmehr von dem Ausbeutungsbedürfniß des Kapitals und der wirthschaftstechnischen Revolution, der Umgestaltung und Ausgestaltung der Produktionsmittel und Produktionsverfahren erschlossen worden. Und die selbständige Erwerbsarbeit außerhalb des Rahmens der Familie hat die Proletarierin nicht thatsächlich wirthschaftlich frei gemacht, sie hat ihr
Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Bettin( Eißner), Stuttgart , RothebühlStraße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
vielmehr nur statt des alten Herrn in der Familie einen neuen auf dem Markte, in der Gesellschaft gegeben. Ihr Kampf für volle wirthschaftliche Freiheit erhält damit naturnothwendig ein anderes Ziel und einen anderen Charakter als derjenige der Bourgeoisdame. An Stelle des Kampfes von Geschlecht zu Geschlecht tritt für sie das Ringen von Klasse zu Klasse. Die bürgerliche Frau muß dagegen ihre freie Berufsthätigkeit zum größten Theile noch dem Manne ihrer Klasse entreißen. Und soweit sie nicht als Proletarierin der Kopfarbeit unter des Kapitals Joch fällt, erringt sie mit der Erwerbsarbeit ihre thatsächliche wirthschaftliche Selbständigkeit in der Gesellschaft, in der sie nicht als Klassenwesen, sondern nur als Geschlechtswesen unterbürtig ist.
Aber trotz dieses wesentlichen Unterschieds in der sozialen Bedeutung der freien Berufsthätigkeit für Proletarierin und Bourgeoisdame hat die Erwerbsarbeit für die Frauenwelt ohne Unterschied der Klasse eine prinzipielle, grundlegende Bedeutung. Sie zerschmettert die wirthschaftliche Herrschaft des Mannes über die Frau, sie löst die Ketten der Gesellschaftssklaverei, die diese trägt. Auf immer größerer Stufenleiter, in immer rascherem Tempo vollzieht sich der gesellschaftliche Umwandlungsprozeß, der in der kapitalistischen Gesellschaft die in engem Kreise wirthschaftlich vielseitig thätige Hausfrau zu einer in weitem Kreise wirthschaftlich einseitig thätigen Berufsarbeiterin umschmiedet. Es schwillt und schwillt die Fluthwelle der Frauen, deren Eristenzweise bis auf den rührseligen Schein zerstört, als ob der Mann der Ernährer der Frau wäre. Es schwillt und schwillt die Fluthwelle der Frauen, die losgelöst von dem Schaffen für das Heim in der Gesellschaft das Brot erwerben, das ihnen die Familie nicht länger zu reichen vermag. So nähert sich die Stunde, wo auf der ganzen Linie, auf dem Gebiete der Hand- und Kopfarbeit, die Masse der Frauen als wirthschaftlich gleich der Männerwelt gegenübersteht; als mit ihr gleich ausgebeutete und beherrschte Sklavinnen dort, wo die Männer ihrer Klasse ausgebeutete und beherrschte Sklaven sind. Damit ist ist eine der vornehmsten Forderungen jeder Frauenrechtsbewegung erfüllt, welche mehr als die Interessen der weiblichen„ oberen Zehntausend" verfechten will.
Aber in der kapitalistischen Wirthschafts- und Gesellschaftsordnung kann die Frau ihr eigen Stück Brot nur erwerben, indem sie dem Manne als Konkurrentin entgegentritt. Und der herrschenden Kapitalistenklasse Profitbegehren spiẞt in den meisten Fällen die unvermeidliche Konkurrenz der weiblichen gegen die männlichen Arbeitskräfte zur bitteren Schnußkonkurrenz zu. Denn ein Zusammenwirken verschiedener Umstände theils wirthschaftlicher, theils sozialer Natur und der Mehrzahl nach in der bisherigen Rückständigkeit und Unterbürtigkeit des weiblichen Geschlechts wurzelnd erlaubt die vollständigste Ausbeutung der Frau, die Proletarierin ist, ganz gleich, ob sie mit Hirn oder Hand frohndet.
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Auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrs steht die Frau nicht blos erwerbend neben dem Manne, als Konkurrentin schmälert sie vielmehr sein Brot, sie tritt vielfach verdrängend, ihm den Unterhalt entreißend an seine Stelle. Wem wäre die Thatsache unbekannt, daß die Löhne in einem Erwerbszweig die Tendenz haben, um so tiefer zu sinken, je mehr Frauenarbeit in ihm zur Verwendung gelangt? Und zwar ist es hier der Lohn des Mannes nicht allein, der eine Minderung erfährt, sondern in Rückwirkung