sächlich bezweckte, der genannten Organisation neue und treue Mitglieder zu gewinnen. Es fanden Versammlungen statt in Fürth , Nürnberg , Göppingen , Reutlingen , Pforzheim , Stuttgart , Konstanz , Straßburg , Karlsruhe , Frankfurt a. M., Offen bach , Erfurt , Plauen i. V., Chemniz. Leider ließ der Besuch der Versammlungen hier und da zu wünschen übrig, und zwar gerade in solchen Orten, wo die schlechten Erwerbsverhältnisse die Arbeiter und Arbeiterinnen besonders eindringlich zum Anschluß an die Gewerkschaft mahnen sollten. In manchen Versammlungen kamen bitter empfundene Mißstände zur Sprache, welche scharfe Schlaglichter auf die Arbeitsbedingungen der in Frage kommenden Arbeiterschaft werfen. In Nürnberg z. B. schaffen Kartonarbeiterinnen vielfach zu Hause und müssen dann nicht blos Arbeitsraum und Beleuchtung stellen, sondern noch den nöthigen Leim und Kleister aus der Tasche zahlen. Ihre Entlohnung ist aber keine höhere, als die der in Fabriken und Werkstätten beschäftigten Kolleginnen. In Göppingen und Reut lingen verdienen gelernte Buchbinder und Kartonarbeiter wöchentlich 10, 11 und 12 Mk., und das bei täglich elf- und zwölfstündiger Arbeitszeit. Der Verdienst der Arbeiterinnen ist entsprechend niedriger. In beiden Städten haben denn auch Arbeiter und Arbeiterinnen erkannt, daß die gewerkschaftliche Organisation für die Erringung besserer Arbeitsbedingungen nothwendig ist, und so haben sie Zahlstellen des Verbandes gegründet. In Offenbach herrscht in der Portefeuilleindustrie vielfach die Heimarbeit vor oder tritt noch zu der Fabrikarbeit. Die Arbeitsbedingungen sind hier so traurige, daß sie vielfach an das berühmte Konfektionsarbeiterelend hinanreichen. Man trifft Familien an, in denen alle Glieder, vom noch nicht schulpflichtigen Kinde an bis zum müden Großvater, vom frühen Morgen bis spät Abends fieberhaft arbeiten. Anderwärts wieder bringt der in der Fabrik schaffende Mann nach Feierabend Arbeit mit nach Hause, und nun schuftet die Familie schier endlose Nachtstunden, um das Einkommen ein wenig zu erhöhen. Wird der Arbeiter derart daheim beim Erwerb unterstützt, so kann er am Zahltage den horrenden Verdienst von 14, 15 und 16 Mt. nach Hause tragen. Außer in den Gewerkschaftsversammlungen sprach Genossin Greifenberg in zwei Volksversammlungen zu Hanau und Neu- Isenburg . Beide waren sehr gut besucht, namentlich aber die Neu- Isenburger Versammlung, in der die Frauen und Mädchen drei Viertel des anwesenden Publifums ausmachten und klares Erfassen ihrer Lage, wie große Begeisterung für den proletarischen Befreiungskampf bekundeten. In
Erotik und Idyll.
Rus Novelletten von Alexander Kielland . ( Fortsetzung.)
Frau Olsen kam strahlend von diesem Besuch zurück. Sie hätte die Hälfte der Freude an dieser Heirath eingebüßt, wenn es ihr nicht gestattet worden wäre, die Hochzeit in ihrem Hause zu feiern; denn Hochzeitfeiern waren ihre Spezialität. Dann legte sie ihre Sparsamkeit bei Seite, und die Befriedigung, welche sie darüber empfand, ihre ganze Arbeitskraft brauchen zu können, machte sie beinahe liebenswürdig. Außerdem war das Amt ja ein gutes, und Olsens hatten immer ein kleines Vermögen gehabt, von dem jedoch niemals gesprochen wurde.
Die Hochzeit wurde also gefeiert, und eine prächtige Hochzeit war es. Fräulein Ludvigsen hatte ein reimfreies Lied über die wahre Liebe gedichtet; dieses wurde bei Tische gesungen, und Louise war von allen Brautjungfern die hübscheste.
Die Neuvermählten zogen in das von Frau Olsen entdeckte Nest, um diesen halbbewußten Zustand festlicher Glückseligkeit zu beginnen, welchen die Engländer" Honigmonat" nennen, weil er so süß ist, und die Deutschen „ Flitterwochen", weil der Glanz so hurtig schwindet, und die Skandinavier„ Weizenbrottage", weil sie wissen, daß die Hausmannskost bald darauf folgt.
Aber in Sörens Haus dauerten die Weizenbrottage lange, und als der liebe Herrgott ihnen einen kleinen Engel mit goldenen Locken schenkte, war ihr Glück so groß, wie man überhaupt nur eins in dieser traurigen Welt erwarten kann.
In Bezug auf das Einkommen nun, so reichte es einigermaßen hin, obgleich Sören leider seine Wohnung nicht ohne Schulden hatte einrichten können; aber mit der Zeit sollte sich dies schon wieder ausgleichen!!
Ja, mit der Zeit! Die Jahre vergingen, und jedes Jahr schenkte unser Herrgott Sören einen kleinen Engel mit goldenen Locken. Nach einer sechsjährigen Ehe hatte er also gerade fünf
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Niederrad , wo die Wäscherinnen sich, dem Beispiele ihrer Isenburger Kolleginnen folgend, kürzlich organisirt haben, sollte gleichfalls eine Volksversammlung stattfinden. Doch wurde dieselbe, wie wir an anderer Stelle mittheilen, behördlich verboten. Möge die Zukunft zeigen, daß der auf dieser Agitationstour ausgestreute Samen der Erkenntniß auf fruchtbaren Boden gefallen ist, kraftvoll emporsprieẞt und reiche Früchte trägt, so daß neue und treue Schaaren proletarischer Männer und Frauen im wirthschaftlichen und politischen Klassenkampfe ihre Schuldigkeit thun und ihre Interessen wahren. M. G.
Zur Förderung der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen hielt Genossin Zetkin in letzter Zeit mehrere Versammlungen ab. Sie sprach in zwei Versammlungen der in Buchbindereien und verwandten Betrieben beschäftigten Arbeiterinnen zu Stuttgart , ferner in zwei Versammlungen der in der Schuhindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen in Stuttgart und in Schweinfurt . In Schweinfurt konnte die Versammlung mit Rücksicht auf die in Bayern beliebte Handhabung des Vereins- und Versammlungsrechts keine öffentliche sein, sondern sie mußte den Charakter der Vereinssihung tragen. Trotzdem war sie sehr gut be sucht, auch von Seiten der. Arbeiterinnen. In öffentlichen Volksversammlungen zu Manebach bei Ilmenau , Rixdorf, im ersten und im zweiten Hamburger Wahlkreis, sowie in Ottensen , Wandsbeck und Altona referirte Genossin Zetkin über„ das Vereinsund Versammlungsrecht der deutschen Frauen"," die Bedeutung der politischen Rechte für die Frauen des Volts" und" die Frauenbewegung und die Sozialdemokratie". In allen Versammlungen waren die Frauen sehr zahlreich vertreten. Ueberall gelangten Resolutionen zur Annahme, welche für die Frauen die volle politische Gleichberechtigung, bezw. das freie Vereins- und Versammlungsrecht forderten. Ein besonderes Interesse bot die Versammlung in Manebach bei Ilmenau . Bekanntlich hatte das fürsichtige Stadtoberhaupt von Ilmenau vor etlichen Wochen eine Volksversammlung verboten, in der Genossin Zetkin sprechen sollte. Und dies mit der ebenso scharfsichtigen als geistreichen Motivirung, daß Genossin Zetkin besonders scharf den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnungen predige". Die von den Genossen eingelegte Berufung gegen das Verbot war verworfen und dieses mit einer Begründung bestätigt worden, welche nach Geist und Fassung in dem geschmackvollen Polizeistubenjargon amts- und gewerbsmäßiger Vertheidiger des Kapitalistenstaats gehalten ist. Es hieß nämlich, Genossin Zetkin sei eine gewerbsmäßige Kinder. Die kleine, stille Stadt war unverändert, Sören war noch immer Bevollmächtigter, Olsens waren stets die alten; aber Sören selbst war nicht wieder zu erkennen.
Es giebt Sorgen und schwere Schicksalsschläge, von denen man sagt, daß sie das Haar eines Mannes über Nacht bleichen können. Solche Schickungen waren Sören nicht beschieden. Was sein Haar grau gemacht hatte und seinen Rücken beugte und ihn vor der Zeit altern ließ, das war eine langsame, vulgäre Sorge die Sorge ums tägliche Brot.
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Nahrungssorgen spielen unter den Sorgen dieselbe Rolle wie die Zahnschmerzen unter den Krankheiten. Es ist kein einzelner Schmerz, der sich im offenen Kampf besiegen läßt; es iſt nicht wie ein Nervenfieber oder eine andere ,, ordentliche" Krankheit, die eine Entwicklung eine Krisis hat. Wie aber der Zahnschmerz lang und einförmig wie ein Bandwurm ist, so legt sich die Nahrungssorge wie eine graue Wolfe um ihr Opfer; man zieht sie jeden Morgen mit seinen abgetragenen Kleidern wieder an, und man schläft selten so fest und tief, daß man sie ganz vergessen könnte.
Es war in dem langen Kampf gegen die herannahende Armuth, daß Sören sich abgenutzt hatte; und doch war er ein großer Dekonom.
Aber es giebt zwei Sorten von Oekonomie : die aktive und die passive. Die passive Dekonomie denkt Tag und Nacht darüber nach, wie sie einen Schilling ersparen soll; die aktive sinnt ebenso eifrig darauf, wie sie einen Thaler verdienen kann. Die erstgenannte Sorte die passive ist bei uns zu Hause; die aktive draußen in den großen Verhältnissen besonders in Amerika .
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Sören hatte seine Force nach der passiven Richtung hin. Er verwendete seine ganze freie Zeit und auch etwas von seiner Arbeitszeit darauf, allerhand Ersparungen und Einschränkungen auszuspekuliren. Aber lag es nun vielleicht daran, daß er kein Glück hatte, oder waren seine Einnahmen in Wirklichkeit zu
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