Agitatorin" und das Versammlungsverbot sei deswegen berechtigt, so­wie mit Rücksicht darauf, daß die Ilmenauer Genossen der strengeren Richtung der Sozialdemokratie angehörten". Die Genossen hatten nun eine Versammlung nach Manebach einberufen, das hart an der Stadtgrenze Ilmenaus , aber auf Meininger Gebiet liegt, also außerhalb des Machtbereichs des herrlichen weimarschen Vereins­und Versammlungsrechts. Obgleich zahlreiche Genossen und Genos= sinnen aus Ilmenau der Versammlung beiwohnten und die scharfe Umsturzpredigt" durch lebhaften Beifall unterstrichen, soll sicherem Vernehmen nach Ilmenau noch immer nicht zusammengestürzt, ja mehr noch, Herr Eckard noch immer Bürgermeister sein. Schrecklich!

Polizei und Staatsanwalt im Kampfe gegen die Umstürz­lerinnen. In Niederrad bei Frankfurt a. M. sollte Genossin Greifenberg in öffentlicher Voltsversammlung sprechen. Aber die Ge­nossen und Genossinnen dachten und die liebe, fürsorgliche Polizei lenkte. Amtseifrig erinnerte sie sich zur rechten Zeit daran, daß der Saal, in dem die Versammlung stattfinden sollte, den baupolizeilichen Vorschriften nicht entspräche. Wohl ist dieser Saal erst vor drei Jahren neu erbaut worden, wohl fanden in ihm bis jetzt Versamm­lungen statt. Aber welche Verantwortung für die Behörden, wenn trotz allem die baupolizeiwidrige Beschaffenheit des Lokals gerade dieses Mal Anlaß zu einer Katastrophe gegeben hätte! Wie der Herr so läßt ja auch die Polizei die Sonne ihres Schutzes aufgehen über Gerechte und Ungerechte. Und so vermochte ihr zartbesaitetes Gemüth auch den Schatten des Gedankens nicht zu ertragen, die in den Saal ein­gehenden Ungerechten könnten einer Ratastrophe zum Opfer fallen. Die Niederrader Arbeiterbevölkerung weiß ihre Fürsorge nach Gebühr zu schätzen. Und dies nicht zum Wenigsten mit Rücksicht auf ihren agita­torischen Erfolg. Wie alle gar zu flug ersonnenen Polizeimaßregeln hat auch dieses Versammlungsverbot laut und eindringlich zu Vielen gesprochen, die für die schärfste Agitationsrede taub geblieben wären.

Stellungnahme der deutschen Genossinnen zum inter­nationalen Arbeiterschutzkongreß von Zürich . Der Initiative der Berliner Genossinnen entsprechend werden die deutschen Arbei­terinnen auf dem Züricher internationalen Kongreß durch eine eigene Delegirte, Genossin Zetkin , vertreten sein. Außer den Berliner Genossinnen haben sich bereits die Genossinnen von Chemniz, Köln , Leipzig und Schleswig- Holstein für die Beschickung des Kongresses erklärt. Weitere Vorschläge bezüglich der Person der De­legirten sind bis jetzt nicht gemacht worden.

flein, um mit Frau und fünf Kindern davon leben zu können genug: seine finanzielle Lage verschlimmerte sich.

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Alle Plätze im Leben scheinen so gut besetzt zu sein, und doch giebt es einige Menschen, die überall ankommen. Zu diesen gehörte Sören nicht, und er suchte vergebens nach dieser Ertra­Arbeit, welche vor ihm und seiner Braut wie eine dunkle aber reiche Einnahmsquelle vorgeschwebt hatte. Und ebenso wenig nügten ihn seine guten Verbindungen. Es giebt immer eine Menge Leute, welche jungen, hoffnungsvollen Männern helfend beistehen; aber bedrängte Familienväter kommen überall zur Unzeit.

Sören hatte viele Freunde gehabt. Man konnte nicht sagen, daß sie sich von ihm zurückgezogen hatten; aber er war gewisser­maßen von ihnen fortgeblieben. Wenn sie sich jetzt trafen, so war eine gewisse Verlegenheit auf beiden Seiten. Sören hatte feinen Sinn mehr für das, was die Anderen interessirte; und diese langweilten sich, wenn er davon sprach, wie hart er arbeiten müsse und wie theuer das Leben sei.

Und wenn er wirklich einmal von einem seiner Jugendfreunde zu einer Herrengesellschaft geladen wurde, so ging es ihm, wie es Leuten zu gehen pflegt, die für gewöhnlich sehr einfach zu leben pflegen: er und trank zu viel. Und von dem munteren, aber feinen und vorsichtigen Sören war er zu einer Art von Narren herabgesunken, der dumme Reden hielt, und um den sich nach Tische die Rangen der Gesellschaft versammelten, um ihren Scherz mit ihm zu treiben. Was aber den peinlichsten Eindruck auf seine Bekannten machte, war, daß er für seine Kleidung ganz gleichgiltig geworden war.

Sören war nämlich äußerst vorsichtig in seiner Toilette ge= wesen; in seinen Studentenjahren hieß er der zierliche Sören". Und selbst als Familienvater hatte er seinen dürftigen Kleidern noch eine Zeitlang eine Art von Schwung zu geben gewußt. Aber nachdem die harte Noth ihn gezwungen hatte, jedes Kleidungsstück eine unnatürlich lange Zeit zu tragen, hatte seine Eitelkeit sich endlich verloren. Und wenn ein Mann erst den Sinn dafür ver

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Vergangenheit und Zukunft.

Zwei Kampfparteien stehn im Feld der Gegenwart, Gewaffnet jede mit besondrer Waffenart.

Wie heißen die Parteien und warum der Streit? Die Zukunft heißen sie und die Vergangenheit. Die kämpfet fürs Vergehen und jene für das Werden, Wer prophezeit, wie es mit ihnen wird auf Erden? In ihrem Namen ist der Ausgang prophezeit: Nie vor der Zukunft Stand hält die Vergangenheit.

Notizentheil.

( Von Lily Braun und Klara Betkin.)

Rüdert.

Der Jnternationale Kongreß für gesetzlichen Arbeiterschutz

zu Zürich .

Dem internationalen Kongreß für Arbeiterschutz zu Zürich liegen zu den einzelnen Fragen der Tagesordnung eine Reihe von Anträgen vor. Sie sind von den Referenten zusammen mit dem Or­ganisationskomite aufgestellt worden und bieten eine Grundlage für die Verhandlungen. Zum Schuße der Arbeiterinnen wird gefordert: " Jede Gesetzgebung über die Arbeit der Frauen soll umfassen die Großindustrie, das Kleingewerbe, die Hausindustrie und, wenn möglich, die Landwirthschaft, soweit Arbeitskräfte außer der Familie des Unternehmers beschäftigt werden.

Als allgemeine Vorschriften werden beantragt:

1. Die Arbeitswoche soll 48 Stunden nicht übersteigen; die Arbeitsstunden sind derart gleichmäßig auf alle Wochentage zu ver­theilen, daß sie am Sonnabend Mittag 12 Uhr endigen und sämmt= lichen Arbeiterinnen eine ununterbrochene Ruhepause von mindestens 42 Stunden bis Montag Morgen gesichert ist. 2. Sämmtlichen Ge­werbsinhabern ist streng zu untersagen, nach beendigter Arbeitszeit den Arbeiterinnen weitere Arbeit nach Hause mitzugeben. 3. Gewerbs­inhaber, die Arbeiterinnen in deren eigenen Wohnräumen beschäftigen, sind verantwortlich dafür, daß diese Räume weder zum Kochen noch zum Schlafen benutzt werden und genügend Luftraum und direktes Licht für jede arbeitende Person haben. 4. Vor und nach ihrer Niederkunft dürfen Wöchnerinnen im Ganzen während acht Wochen

liert, seine Person sauber zu halten, so verliert er ihn gewöhnlich auch gänzlich. Seine Frau mußte ihn jezt darauf aufmerksam machen, wenn die Anschaffung eines neuen Rockes durchaus noth wendig wurde, und wenn seine Halskragen an den Kanten gar zu zerrissen waren, so beschnitt sie dieselben mit der Scheere.

Er selbst hatte an andere Dinge zu denken- der Arme! Aber wenn Fremde ins Bureau kamen, oder wenn er selbst in eine Thür trat, so hatte er die ganz mechanische Gewohnheit, auf seine Rockaufschläge zu spucken und mit den Händen darüber zu reiben. Wie die Rudimente der Organe, welche durch Nicht­gebrauch zu Grunde gehen, wie die Zoologen es bei gewissen Thieren nachweisen, war dies das einzige Ueberbleibsel von der Sauberkeit des zierlichen Sören".

Inzwischen trug Sören seinen schlimmsten Feind in seinem eigenen Innern. In seiner Jugend hatte er sich mit Philosophie beschäftigt, und jetzt geschah es ihm oft, daß diese unselige Lust zu denken über ihn kam, alle Einwendungen über den Haufen warf und damit endigte, alles auf den Kopf zu stellen.

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Das geschah ihm besonders, wenn er an seine Kinder dachte. Wenn er diese kleinen Geschöpfe betrachtete, welche das konnte er sich selbst nicht verhehlen im Laufe der Zeit mehr und mehr vernachlässigt wurden, war es ihm unmöglich, sie noch als in die Kategorie der goldlockigen Engel, welche unser Herr­gott ihm gegeben hatte", gehörend anzusehen. Er mußte ja ein­gestehen, daß unser Herrgott solche Gaben nicht ohne Veranlassung von unserer Seite giebt, und dann fragte Sören sich selbst: " Hast Du ein Recht dazu gehabt?" Er dachte an sein eigenes Leben, das unter so glücklichen Verhältnissen begonnen hatte. Er stammte aus einem behaglichen Heim; sein Vater ein Beamter- hatte ihm die beste Erziehung des Landes gegeben; er war wie einer der Besten für den Kampf des Lebens gerüstet gewesen und wie war er aus demselben hervorgegangen?

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Und was hatte er seinen Kindern mitzugeben in jenen Kampf, in welchen er sie hinein schickte? Sie begannen ihr Leben in