gleichzeitig als eine langsam, aber sicher nach links, nach dem Boden des Klassenkampfs drängende Kraft. Schon die erste Sitzung prägte in diesem Sinne den Charakter des Kongresses, hob ihn aus den luftigen Höhen gutgemeinter humanitärer Wolkenwandelei und stellte ihn auf den harten Boden des Klassenkampfes. Mit allen gegen zwei Stimmen wurde die von unserem österreichischen Genossen Or. Adler eingebrachte Reso­lution angenommen, welche die für den Achtstundentag im Kampfe stehenden englischen Maschinenbauer der Sympathie des Kongresses versichert. Und in einer gleich bedeutsamen Kundgebung klang der Kongreß aus: einstimmig nahm er die Resolution Pernerstorfer- Soldi an, welche die volle Freiheit der Person, der Presse und des Versammlungsrechts fordert und auf das Energischste gegen Bestrebungen und Akte von Regierungen protestirt, die unter irgend einem Vorwand darauf abzwecken, die Bewegungsfreiheit der Ar­beiter zu vermindern. Mit theoretischer und praktischer Sachkenntniß wurde in den Sektionen und vor dem Kongreß über die einzelnen Punkte der Tagesordnung berathen. Zusammen mit den trefflichen Referaten sind die Verhandlungen eine reiche Fundgrube für die Agitation zu Gunsten des gesetzlichen Arbeiterschutzes. Die gründlichsten und interessantesten Debatten über die einzelnen Forderungen fanden zum Theil in den sehr zahlreich besuchten Sektionssitzungen statt. Hier haben die Sozialisten ganz wesentlich auf Erweiterung, Ver­schärfung, Ergänzung, präzisere Fassung zc. der Kongreßbeschlüsse gewirkt. lieber die nur im Plenum verhandelte Frage der Sonntags­arbeit traten abgesehen von der Haltung der Engländer kaum Meinungsverschiedenheiten zu Tage. Nicht ohne Einfluß hierauf war das ungemein taktvolle Referat des katholischen Pro­fessors Beck-Freiburg. In formvollendeten Ausführungen, vom wärmsten Verständniß für alle Bedürfnisse der Arbeiterklasse beseelt das Recht auf Freude inbegriffen forderte der Referent den Sonntag vor allem alsTag des Menschen", alSSonnen­tag" für alle Arbeiter und Arbeiterinnen. Da Professor Beck seine Thesen zu Gunsten der schärfer formulirten Resolution der Sozia­listen zurückzog, so gelangte diese mit allen gegen die Stimmen der Engländer zur Annahme. Von der Vorstellung des puritanischen englischen Sonntags einerseits beherrscht, von der Untoleranz und Kurzsichtigkeit des seichten Vulgär-Freidenkerthums andererseits, wollten die englischen Delegirten im Prinzip nicht den Sonntag als Ruhetag festgelegt haben, vielmehr je einen Tag der Woche auf sechs Werkeltage. Mit bewundernswerther, echt britischer Zähig­keit, die in dem vorliegenden Falle an den Kampf des guten Don Quixote gemahnte, brachen unsere englischen Freunde bei jedem einzelnen Punkte der Tagesordnung aufs Neue eine Lanze gegen die Sonntagsruhe. In scharfer Gegensätzlichkeit platzten zumal in der Sektion die Geister aufeinander bei Berathung der Forderungen, den Schutz der Kinder und jungen Leute betreffend. Soll das Verbot der Kinderarbeit sich auf jede Lohnerwerbsthätigkeit erstrecken, auch auf die, welche im Heim der Eltern geschieht? Ist die Kinderarbeit in der Landwirthschaft, zumal im landwirthschastlichen Kleinbetriebe gesetzlich zu untersagen? Muß der Kongreß zusammen mit dem Verbot der Kinderarbeit die Schulpflicht und eine bestimmte, höhere Altersgrenze für den Schulbesuch fordern? Dies in der Haupt­sache die Punkte, die im Für und Wider erörtert wurden. In der gleichen kleinbürgerlichen Auffassung befangen, welche die Schäden des Kapitalismus ehrlich haßt und beseitigen will, aber in sentimentaler Schwärmerei für dasgute Alte" blind ist gegen die ebenso großen iiebel rückständiger Produktionsformen, schreckten die meisten katholischen Sozialreformler, Nationalsoziale und Anti­semiten vor einem über die Großindustrie hiuausreichenden Schutz der Kinder und jungen Leute zurück. Auch die Verquickung der Forderungen: Verbot der Kinderarbeit und Schulpflicht, stieß in ihren Reihen auf manchen Gegner. Deutsche, österreichische und englische Sozialisten traten dagegen energisch für ein umfassendes Verbot der Kinderarbeit und Fortsetzung der Schulpflicht bis zum vollendeten 15. Lebensjahre die Engländer sogar bis zum vollendeten 16. Lebensjahre ein. In wirksamer Weise wurde in der Sektion und im Plenum der sozialdemokratische Standpunkt begründet von den Genossen Molkenbuhr, vr. Quarck, Wautcrs (Belgien ), Burrows(England) und Nemec(Oesterreich ). Einen warmen Fürsprecher fanden die betreffenden Forderungen an dem konservativen Eingänger vr. Rudolf Meyer, dem tiefen, geistvollen Kenner der Agrarverhältnisse und unversöhnlichen Gegner der ost- elbischen Junker. Auch der katholische Sozialist AbbS Daens (Belgien ) befürwortete eindringlichst die Ausdehnung der Schul­pflicht. Der Kongreß lehnte die verschiedenen Abänderungsanträge ab und stellte sich mit 132 gegen 75 Stimmen auf den Boden der Sektionsanträge. Auch in der Frage des gesetzlichen Schutzes erwachsener Männer, bezw. des Achtstundentags kam es zu keinem einheitlichen Beschluß, obgleich sich in der Sektionsberathung keine Stimme grundsätzlich gegen den Maximalarbeitstag erhoben hatte. Die Verhandlungen im Plenum zeichneten dagegen deutlich die Scheidung der Kongreß- theilnehmer in zwei Lager. Einerseits das der bürgerlichen Humani­ tären Reformler, welche die Arbeitszeit erwachsener Männer nur soweit beschränkt wissen wollen, als dringende hygienische und kulturelle Rücksichten dies fordern. Andererseits das der Sozialisten, welche den Achtstundentag als Grundlage jeden ernsten Arbeiter­schutzes heischen, als ein Stück Menschenthum und eine größere Vertragsfreiheit für den Arbeiter, seine Arbeitskraft so günstig als möglich zu verkaufen, als eine Vorbedingung größerer Wehr­tüchtigkeit im Klassen- und Befreiungskampfe. Genosse Lang brachte in seinem trefflichen Referat den proletarischen Klassenstandpunkt klar und logisch zur Geltung; in packender Weise vertiefte er die Materie, indem er über die allgemeinen. Humanitären Gegenwarts­interessen hinaus das geschichtliche Klasseninteresse des Proletariats am Achtstundentag nachwies. Die bürgerlichen Reformer wendeten sich ihrem bereits charakterisirten Standpunkte gemäß besonders gegen die Ausdehnung des geforderten gesetzlichen Schutzes auf die erwachseneu Arbeiter der Kleinbetriebe und der Landwirthschaft. Ferner gegen die prinzipielle Festlegung des Achtstundentags als des Normalarbeitstags. Statt seiner befürwortete der National­soziale Traub-Tübingen eine Klassifizirung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit für jedes einzelne Gewerbe. Landgerichtsrath Kulemann- Braunschweig empfahl eine gesetzliche Abstufung der Arbeitszeit je nach der Intensität der Arbeit und des dadurch bedingten Kräfte­verbrauchs. In glänzenden, sachkundigen Ausführungen bekämpften die Genossen Vandervelde (Belgien ), Nemec und Grillenberger die eingebrachten- Abänderungsanträge. Die Anträge der Sektion wurden schließlich mit 170 gegen 80 Stimmen zum Beschluß erhoben. Wetterleuchten gleich hatten in den ersten Kongreßtagen einzelne Ausführungen den Gegensatz zwischen sozialistischer und bürgerlicher Auffassung gezeigt. Immerhin war jedoch die gemeinsame Reform­arbeit von den grundsätzlichen Unterschieden in den Vordergrund getreten. Allein die mit dem Verlaufe der Debatten wachsende Spannung der Geister drängte zur Entladung. Und diese Ent­ladung kam gelegentlich der Frage des Schutzes der Frauenarbeit. Hier erhellte es offensichtlich, wie eng abgesteckt das Gebiet, auf dem Sozialisten und Christlichsoziale miteinander zu wirken ver­mögen, wie kurz der Weg, welchen sie gemeinsam gegen einen gemeinsamen Feind marschiren. Eines redlichen Strebens dort, wo es sich darum handelt, die von der kapitalistischen Entwicklung gezeitigten Iiebel durch ernste Reformarbeit innerhalb der heutigen Gesellschaft zu bekämpfen, trennen sich die beiden Richtungen, so­bald es gilt über den Nahmen dieser Gesellschaft hinauszugehen und sozial Neues zu bauen, dem geschichtlichen Werden die Bahn freizuhalten und zu ebnen. Wie vorauszusehen, war es die Frage der Frauenarbeit, die der Ausgangspunkt einer tiefen prinzipiellen Auseinandersetzung wurde. Die Christlichsozialen begnügten sich nicht damit, die Auswüchse der kapitalistischen Ausbeutung der Frauen­arbeit beseitigen zu wollen, sie erklärten vielmehr: fort mit der Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts; das Wirkungsgebiet der Frau liegt ausschließlich im Heim und in der Familie, ihr Lebensinhalt wird durch Mutter- und Gattinnenpflichten erschöpft. Als ersten Schritt zur Verwirklichung ihres diesbezüglichen Ideals heischten sie auf den Antrag des katholischen Demokraten Carton de Wiart(Belgien ): das Verbot der Frauenarbeit in Bergwerken, Steinbrüchen und Fabriken. Den Kernpunkt ihrer Forderung bildete das Verbot der großindustriellen Frauenarbeit. Die Frauen-