arbeit in Bergwerken und Steinbrüchen fällt unter die Kategorie jener dem weiblichen Organismus besonders schädlichen Beschäfti­gungsarten, deren gesetzliches Verbot der Kongreß bei einem anderen Punkte der Tagesordnung forderte. Schon in der Sektion kam es über die Hauptfrage zu einer gründlichen und ziemlich hitzigen Debatte, die eine ganze Sitzung ausfüllte, so daß ein zweiter Nachmittag der Erörterung der zu fordernden Schutzmaßregeln gewidmet werden mußte. Scharf um­rissen zeichnete sich in den schwungvollen, hauptsächlich an das Ge­fühl appellirenden Ausführungen der de Wiart, Abbs Pierre, Decurtins und Anderer das treibende Grundmotiv des Begehrens ab: der Wunsch, die zerfallende, auf der Herrschaft des Mannes beruhende vaterrechtliche Familie zu festigen und zu erhalten und im Zusammenhang damit eine ausgesprochene Gegnerschaft gegen die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts. Das Utopische des Beginnens wurde unserer Ansicht nach überzeugend von den Genossen Adler, Bebel , Pernerstorfer, Vandervelde :c. und den Genossinnen Braun und Zetkin dargethan, die den sozialistischen Standpunkt durch ökonomische Thatsachen und deren Folge­erscheinungen begründeten. Ebenso wurde von dieser Seite die Frauenarbeit in ihrer geschichtlichen Bedeutung nach Gebühr ge­würdigt, als Grundlage für die soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts. Wer der hochinteressanten Sektionssitzung beigewohnt, der sah somit das Kampfesterrain für die Auseinandersetzung im Plenum in deutlicher Abgrenzung vor sich. Es war unstreitig die bedeutsamste, inhaltsreichste und an­regendste Sitzung des Kongresses, in der über die Frage der Frauenarbeit verhandelt wurde. Aeußerlich schon charaktcrisirte sich die Sitzung alsgroßer Tag". Die Tribünen überfüllt, zum großen Theil von Damen, unter ihnen zahlreiche Studentinnen, der Mehrzahl nach Russinnen. Erregung und Spannung auf allen Zügen, jenes undefinirbare Etwas der Stimmung, das wichtigen Entscheidungen vorausschwingt. Für und wider den Antrag Wiart sprachen die Redner und Nednerinnen unter stürmischem Beifall ihrer Gesinnungsgenossen, einem Beifall, der sich im Verlaufe der Debatten zu wahren Ovationen steigerte. Wirksam zeichnete der Antragsteller ein Bild der gesundheitlichen, moralischen, wirthschaft- lichen Mißstände, welche die Frauenarbeit zeitigt. Und diese Miß­stände, so schlußfolgerte er, sind Begleiterscheinungen der erwerbs- thätigen Frauenarbeit überhaupt, die seiner Ansicht nach eine Ver­fehlung gegen die Naturgesetze, gegen göttliches und sittliches Gebot ist. Die Forderung der Gleichberechtigung der Geschlechter ver­warf Wiart mit der durchaus ungeschichtlichen Behauptung, daß die Gleichberechtigung der Frau zu jeder Zeit die Ursache des Verfalls einer Gesellschaft gewesen sei. Noch wirksamer als er sprachen die Katheder-Sozialen Professor Scheicher-Wien und Baro­nesse Vogelsang-Wien im Namen der Mutterliebe und der Mutter­pflichten für das Verbot der grobindustriellen Frauenarbeit. Ein­drucksvoll waren zumal die Ausführungen der Baronesse Vogel­sang. Eindrucksvoll weniger durch den Gedankeninhalt und die Forni, als durch die Person der Rednerin, als durch die That- sache, daß jedes ihrer Worte, jede ihrer Bewegungen verrieth, welch schweres Opfer sie ihrer Ueberzeugung brachte, indem sie die Tribüne betrat. Die Genossinnen Braun und Zetkin und der Genosse Pernerstorfer bekämpften die geltend gemachten Gründe mit wirthschaftlichen Thatsachen, im Namen der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, im Interesse der Familie und deren höherer Entwicklung aus einer wirthschaftlichen zu einer sittlichen Einheit. Als Generalredner für und gegen den Antrag de Wiart wurden schließlich Decurtins und Bebel gewählt. In satten Farben, mit schwungvoller Rhetorik ließ Decurtins das Bild des Familienideals der Christlichsozialen erstehen, das Bild eines Ideals, das Zug um Zug ein kleinbürgerliches Gepräge trägt, und dessen Verwirklichung uns in die Vergangenheit zurückführen würde. Mit zwingender Logik wies Bebel das Utopische und gleichzeitig das Reaktionäre dieses Ideals nach, in knappen, scharf umrissenen Konturen stellte er die beiden auf dem Kongreß ver­tretenen Weltanschauungen einander gegenüber. Die katholischen Redner hatten sammt und sonders ans dem Gebiete gefühlsseliger Wünsche gestanden. Bebel dagegen fußte sicher auf dem Boden der thatsächlichen Wirklichkeit, und je mehr er auf jedes rhetorische Beiwerk verzichtete, um so überzeugender wirkte die Macht seiner Gründe, um so packender und hinreißender die Logik seines Ge­dankenganges. Der Antrag de Wiart wurde mit 165 gegen 98 Stimmen abgelehnt. Mit der Schärfe des Lichtwerfers ließen die Verhandlungen über die Frauenarbeit den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der sozialistischen und christlichsozialen Auffassung hervortreten. Die eine wie die andere soziale Richtung steht dem Kapitalismus kämpfend gegenüber, kämpfend und revolutionär. Aber während die Christ­lichsozialen den Kapitalismus überhaupt bekämpfen und vor ihm in die Vergangenheit zurückflüchten wollen, bekämpfen die Sozialisten den Kapitalismus nur insoweit, als er der Entwicklung einer sozia­ listischen Gesellschaft hemmend im Wege steht. Für sie ist die kapitalistische Wirthschaftsordnung nicht eine beklagenswerthe ge­schichtliche Verirrung, vielmehr die unumgängliche Vorbedingung für die Verwirklichung der sozialistischen Ziele. Die Christlichsozialen sind Revolutionäre nach rückwärts, in die Vergangenheit, die Sozia­listen stehen ihnen als Revolutionäre nach vorwärts, in die Zu­kunft, entgegen. Der mächtige Gegensatz der Auffassung, der sich bei der Prinzipienfrage bekundete, wich vollständiger Einmüthigkeit, sobald es sich um den Schutz der Arbeiterinnen gegen die schlimmsten Auswüchse der kapitalistischen Ausbeutung handelte. Fast debatte­los wurden sämmtliche Anträge der Sektion angenommen, inbe­griffen eine Resolution, welche die Aufhebung der Gesindeorduungen fordert, sowie gesetzlichen Schutz im Sinne der allgemeinen Vor­schriften und freies Koalitionsrecht für die ländlichen Arbeiter und Arbeiterinnen und das Gesinde. Daß die Fülle des ArbeitS- materials, das dem Kongreß vorlag, eine Erörterung der hoch­wichtigen Frage der Heimarbeit ausschloß, ist erklärlich. Dagegen bedauern wir, daß der Kongreß seine Stellungnahme zu der Materie nicht in der schärferen Fassung erklärte, welche das Resultat der Sektionsberathung war. Nach dieser Fassung wurde ja keineswegs das gesetzliche Verbot der Heimarbeit gefordert, vielmehr lediglich die Erklärung abgegeben, daß die Einschränkung und endliche Be­seitigung der Heimarbeit dringend nothwendig sei. Den thatsachenreichen, wissenschaftlich unanfechtbar begründeten Referaten des Professor Erismann über die Nachtarbeit und die Arbeit in gesundheitsgefährlichen Industrien fügten die Verhand­lungen im Plenum einzelne Züge hinzu, aber keine neuen Gesichts­punkte. Die Stellungnahme des Kongresses zu den geforderten gesetzlichen Schutzmaßregeln war eine einheitliche. Einstimmig auch wurde die Resolution angenommen betreffs der Mittel und Wege zur Durchführung und Sicherung des gesetzlichen Arbeiterschutzes. In richtiger Würdigung der proletarischen Klassenlage begnügte sich der Kongreß nicht damit, eine umfassende, systematische Reorgani­sation der Gewerbeinspektion zu fordern. Er heischte vielmehr aus­drücklich unbeschränkte politische Bewegungsfreiheit vor allem Koalitions- und Wahlrecht als sicherste Grundlage des Arbeiter­schutzes. Wie wiederholt aus den Debatten, so klang es auch aus der Schlußabstimmung heraus: der gesetzliche Arbeiterschutz kann in der Hauptsache nur das Werk der aufgeklärten und organisirten Arbeiterklasse selbst sein. Wir sind überzeugt, daß die Züricher Verhandlungen dem Kampfe des Proletariats für gesetzlichen Arbeiterschutz zum Vortheil gereichen. Haben die sozialistischen Kongresse schon längst festgelegt, was in Sachen des Arbeiterschutzes nothwendig ist, so liegt in den Ergebnissen des Züricher Kongresses der Beweis vor, daß eine Reihe bürgerlicher Autoritäten, Männer der Wissenschaft, Anhänger verschiedener Parteien und Konfessionen, das Nothwendige für möglich und durchführbar in der Gegenwart halten. Nicht mehr alssozialistische Utopien" können unsere Forderungen kurzerhand abgethan werden. Auf die weitere Ausgestaltung des Arbeiter­schutzes in der Schweiz dürfte der Züricher Kongreß sicher von unmittelbarem Einfluß sein. Die proletarischen Forderungen in Sachen des Arbeiterschutzes sind in den Vordergrund des Interesses gerückt worden, neues, werthvolles Agitationsmaterial steht uns zur Verfügung. Und das für uns Bedeutsamste: Die Forderung des gesetzlichen Arbeiterschutzes ist zur Losung für alle Arbeiter­massen ohne Unterschied des religiösen und konfessionellen Glaubens-