Emmeline Pankhurst , eine der energischsten Vorkämpferinnen des Sozialismus in England, hat in Manchester , im Zentrum dieser Fabrikstadt, ihre Jugend verlebt. Sie war Zeuge, wie schwer ihr In Vater arbeiten mußte, um sich als Kattundrucker fortzubringen. ihrem Familienkreis hörte sie lange Diskussionen über Politik, Nationalökonomie und über die Lage der Arbeiterklasse. Schon als Kind und junges Mädchen wurde sie in der Folge zum Nachdenken über ernste Dinge angeregt und kam immer wieder zu dem Schlusse, daß wenig geschieht, um die Lage der arbeitenden Klassen zu erleichtern und zu verbessern, und daß das Wenige unzureichend sei. So war sie schon als junges Mädchen entschlossen, sich in die Reihen derer zu stellen, welche für die Emanzipation der Arbeiterklasse kämpfen.
Sie ließ sich angelegen sein, die sozialistischen Lehren gründlich kennen zu lernen und erhielt einen Theil ihrer sozialen und politischen Schulung in der Fabian- Gesellschaft zu London , der sie sieben Jahre lang angehörte. 1879 heirathete sie den Advokaten Pankhurst von Manchester , einen ebenso kenntnißreichen als politisch charaktervollen Mann, der lange zu den Vorkämpfern des Republikanismus in England zählte und in logischer Konsequenz seiner republikanischen Gesinnung allmälig ins sozialistische Lager fam. In Manchester standen bald Pankhurst und seine Frau in den ersten Reihen der proletarischen Klassenkämpfer. Sie schlossen sich der ,, Independent Labour Party" ( unabhängigen Arbeiterpartei) an und wirkten mit Begeisterung, Energie und Opferfreudigkeit für die sozialistischen Jdeen. Die Bourgeoisie ließ sie dafür büßen. Pankhurst , der zu den angesehensten Advokaten Manchesters zählte, wurde nach seinem Uebertritt zum Sozialismus wirthschaftlich geboykottet: er verlor seine einträglichste Kundschaft. Zwar lernte die Familie in der Folge die Noth nicht kennen, aber immerhin erfuhr sie eine Reihe tief einschneidender Bitternisse und Kränkungen. Sie wurden von dem Manne wie von der Frau als unvermeidliche Zufälle des Kampfes für eine feste Ueberzeugung getragen.
Als 1894 in Manchester der Schulrath( School board) neu gewählt wurde, in dem Frauen wie Männer sizzen können, wurde Frau Pankhurst als Kandidatin von der Independent Labour Party ( Unabhängige Arbeiterpartei) aufgestellt. Es gab einen heißen Kampf. Zahllose Versammlungen wurden abgehalten, auch auf offener Straße. Oft kam es vor, daß Frau Pankhurst einen Stuhl nahm, ihn an eine Mauer lehnte und auf diese improvisirte Tribüne stieg, um ihr Programm den Vorübergehenden in der Straße zu entwickeln. Niemand fiel es ein, zu lachen oder die junge schöne Frau zu unterbrechen. Man ließ sie ruhig gewähren, ohne sie durch unpassende Bemerkungen zu verwirren oder zu stören; selbst den Gegnern wäre es arg verdacht worden, hätten sie den Versuch gemacht, die Versammlungen zu sprengen. Und die liebe Polizei? fragt sicher die deutsche Leserin. Störte die liebe Polizei nicht diese Versammlungen unter dem Vorwand, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" zu sichern? Keineswegs, die englische Versammlungsfreiheit fann nicht mir nichts dir nichts durch Polizeiwillkür bedroht und beseitigt werden.
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Frau Pankhurst sagt, daß sie jedes Mal, wenn sie die Rednertribüne betritt, von einer Furcht erfaßt wird, wie sie Schauspieler und Redner so häufig überkommt. Ihre Augen verschleiern sich, und sie sieht wie durch einen Nebel nur ganz unbestimmt und farblos die wie im Traume mit dem Gesichter ihrer Zuhörer. Sie spricht furchtbaren Gefühl, als fönnten ihr die Worte und Gedanken jeden Augenblick fehlen. Und doch soll sie bei ihren Zuhörern einen großen Eindruck hervorrufen. Sie hat eine gedrängte Redeweise und versteht es, ihre Zuhörer mit fortzureißen. Sie hält unzählige Versammlungen ab. Im Jahre 1896 versuchte es der Stadtrath von Manchester , die Versammlungen in einem öffentlichen Parke zu untersagen. Im Falle des Dawiderhandelns gegen das Verbot wurde mit Arrest und Geldstrafen gedroht. Frau Pankhurst fürchtete weder das Eine noch das Andere. Sie stand im Vordertreffen des Kampfes, den die Arbeiterbevölkerung von Manchester für das Recht der Versammlungen unter freiem Himmel führte. Während eines Protest meetings in dem betreffenden Parke, wo sie zu der Menge sprach, arretirte man sie und führte sie vor die Richter. Sie vertheidigte sich selbst und erflärte, die Geldstrafe absolut nicht zu zahlen, auch weigerte sie sich, das Versprechen abzugeben, ferner nicht mehr in dem Parke zu reden. Eine Gefängnißstrafe schien ihr in sicherer Aussicht zu stehen. Ruhig hätte Frau Pankhurst dieselbe ertragen, wie manche andere Unbill, die der Kampf mit sich brachte. Aber die Richter fürchteten das Aufsehen, das eine Verurtheilung hervorgerufen hätte, sie kannten die Beliebtheit, die Frau Pankhurst genoß, und meinten, daß ihre Anhänger auf den romantischen Gedanken verfallen könnten, sie mit Gewalt zu befreien. So zogen sie es vor, sie freizusprechen.
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Natürlich hatte die Obrigkeit wieder einmal durch ihr Eingreifen das gerade Gegentheil von dem, was sie beabsichtigte, erreicht, sie mußte ihre Verfügung rückgängig machen, die Bevölkerung behielt ihr Versammlungsrecht und der Name Pankhurst war noch populärer geworden.( Siehe Artikel:„ Aus dem Norden Englands", Nr. 15 der Gleichheit", 1896.)
Jetzt läßt man Frau Pankhurst als Rednerin unbehelligt. Außer ihrer agitatorischen Thätigkeit ist sie bemüht, für die fünftlerischen und geselligen Bedürfnisse der Arbeiter und Arbeiterinnen zu sorgen. Frau Pankhurst , ihr Mann und ihre Kinder fehlen nie bei den Festen und geselligen Veranstaltungen der sozialistischen und gewerkschaftlichen Organisationen.
Frau Pankhurst hat ihre Ansichten über die Stellung der Frau einmal folgendermaßen zusammengefaßt:„ Ich bin seit Langem der Ueberzeugung, daß die Frau ihren richtigen Platz erst dann einnehmen, ihre wahre Aufgabe erst dann erfüllen wird, wenn sie die volle Gleichberechtigung mit dem Manne in politischer, ökonomischer und rechtlicher Hinsicht erlangt hat. In der großen sozialistischen Partei arbeiten Männer und Frauen für die gemeinsame Sache völlig als Gleiche mit Gleichen. Das ist Gerechtigkeit, nichts als Gerechtigkeit." Frau Pankhurst hat durch die That bewiesen, daß die willensstarke, pflichttreue und aufgeklärte Frau sehr wohl ihre Aufgaben in der Welt erfüllen kann, ohne die Aufgaben im Hause zu vernachlässigen. Ihre Kinder entwickeln sich unter gewissenhafter mütterlicher Obhut in einem glücklichen Heim. Ihr Gatte schöpft Anregung und Kraft aus dem Zusammenleben mit einer Gefährtin, die seine Jdeale theilt, seine Bestrebungen fördert. In treuer Ideengemeinschaft kämpfen Mann und Frau zusammen für ihre Ueberzeugungen, und auch die heranwachsenden Kinder der Familie Pankhurst suchen nach Kräften der sozialistischen Sache zu dienen. So schließt sich Frau Pankhursts Wirken im öffentlichen Leben mit ihrem Walten im Heim zu einem harmonischen, reichen Ganzen zusammen.
Notizentheil.
( Von Lily Braun und Klara Betkin.)
Der Internationale Kongreß für gesetzlichen Arbeiterschutz zu Zürich .
Der internationale Kongreß für Arbeiterschutz, welcher vom 23. bis 28. August in Zürich tagte, nahm folgende Beschlüsse an:
I. Sonntagsarbeit.
1. Der internationale Rongreß für Arbeiterschutz in Zürich fordert: Das Verbot der Sonntagsarbeit unter wirksamen Strafbestimmungen für alle Kategorien der Lohnarbeiter und Angestellten.
2. Ausnahmen dürfen nur gestattet werden für die Verrichtung jener Arbeiten, die nothwendig sind, um die Wiederaufnahme des vollen Betriebes am Montag zu sichern, oder bei denen der Produktionsprozeß aus technischen Gründen nicht unterbrochen werden kann, sowie für jene Arbeiten und Beschäftigungen, deren Weiterführung nöthig ist, damit das Volk den Sonntag zu seiner Bildung und Erholung benutzen kann. Reinesfalls aber darf die Sonntagsruhe unterbrochen werden unter dem Vorwande, einen Produktionsausfall zu decken.
3. Das Maß der Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit soll nicht durch die diskretionäre Willkür von Behörden und Beamten, auf Grund vager Andeutungen im Gesetze, bestimmt, sondern im Wortlaute des Gesetzes genau bezeichnet werden.
4. Arbeitern und Angestellten, die auf Grund der angeführten Ausnahmen am Sonntag beschäftigt werden, ist jeder zweite Sonntag frei zu geben und es ist ihnen für den ausfallenden freien Sonntag je ein Ersatzruhetag in der Woche zu gewähren.
5. Unter Sonntagsruhe und Ersatzruhetag ist eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 36 Stunden zu verstehen.
II. Arbeit der Kinder und jungen Leute.
1. Kindern im Alter von unter 15 Jahren ist jede Lohnerwerbsthätigkeit zu verbieten. Bis zum vollendeten 15. Altersjahr sind sämmtliche Kinder verpflichtet, die Volksschule zu besuchen.
2. Junge Leute und Lehrlinge im Alter von 15 bis 18 Jahren dürfen täglich nicht länger als acht Stunden beschäftigt werden; nach vier Stunden ununterbrochener Arbeit muß eine Pause von mindestens 11/2 Stunden eintreten.
3. Innerhalb dieser Arbeitszeit ist den Lehrlingen und jungen Leuten die erforderliche Zeit zum Besuche allgemeiner und beruflicher Fortbildungsanstalten zu gewähren.
4. Jungen Leuten und Lehrlingen bis zu 18 Jahren ist jede Erwerbsthätigkeit an Sonn- und Feiertagen ohne Ausnahme zu verbieten.