elender Groschen willen, da sahst Du, wie die Kinder der reichen Leute im warmen Zimmer mit neuem Spielzeug spielten und groß und unauslöschlich ward Deine Qual." Still war's ringsum. Nur leises Schluchzen tönte aus den Reihen der Menschen. Hinter den Wolken war die Sonne ver­schwunden. Der Redner erhob seine Stimme aufs Neue: Ihr, die Ihr meint, die Freude sei Euch begegnet; Ihr, die Ihr sie höhnt und scheltet, weil sie, wie Ihr glaubt, Euch nur noch elender machte, Ihr Alle kennt die Freude nicht, denn wisset, sie ist kein Rausch, dem ekles Erwachen folgt, sie ist kein Betrug, der Eurer nur spottet. Die Freude ist ein ewiges Licht, wie die Sonne über Euch. Sie ist nur dort, wo sie das Leben selber ist, nur dort, wo sie herrscht. Ihr steht im Dienste der Arbeit, nicht um der Arbeit, nein um der Freude willen, und wo es nicht also ist, seid Ihr keine rechten Diener. Darum schauet auf und höret auf mich. Gehet hin in alle Welt und predigt allen Menschen die neue Lehre: Die Arbeit ist unser Heil, ihr wollen wir in Freiheit dienen. Wir wollen die Hände rühren und den Geist stärken, wir wollen die Natur bezwingen durch ihre Kraft. Aber einer Sklavin Sklaven wollen wir nicht sein. Denn alles, was wir thun in ihrem Dienst, das thun wir um eines höheren Zweckes willen. Wir wollen durch sie die Herrscher der Erde sein, durch sie sollen sich uns unerschöpfliche Quellen öffnen, die seligen Finthen der Freude. Die Freude soll einziehen in Sinn und Herz; ihr soll die Arbeit die Wege bereiten. Die Freude soll sein die tiefe Me­lodie unseres Lebens; ihre Begleitung nur ist die Arbeit. Die Freude soll herrschen über uns und in ihrem Namen wollen wir Wunder wirken. Ich sage Euch, wenn Ihr zusammensteht in dieser Kraft, dann wird der Sieg nicht ferne sein. Dann nahet der Tag, wo Ihr auf die Berge steigt in Schaaren, geschmückt in weiße Gewänder, leuchtenden Auges, Hand in Hand. Ein Jubel­lied wird Euer Leben sein; die Liebe Eures Herzens, die jetzt ver­schüttet liegt unter den Trümmern des Tempels der Freude, wird auferstehen in ihrer Himmelspracht. Euer Weinen wird sich ver­kehren in Lachen, und das Paradies, das Eure Väter über den Sternen suchten, wird niedersteigen zu Euch." Leise verklangen die letzten Worte, als kämen sie aus weiter, weiter Ferne. Dumpfe Töne schlugen an mein Ohr. Ich erwachte. Ein trüber Morgen stieg am Horizont empor. Gespenstisch ragten die Schlote der Fabriken aus dem Nebel. Schrill klang der Ruf zur Arbeit. Und von allen Seiten kamen sie: Männer, Frauen und Kinder; grau die Kleider, trübe der Blick, matt die Glieder. Arme Sklaven, die noch nichts wußten von dem, was ihnen ge­predigt war. Lily Braun . Frauenarbeit auf der Brüsseler Weltausssellung. In Brüssel , der glänzenden Hauptstadt Belgiens , in der in letzter Zeit zwei Kongressesozial-politischer" Natur abgehalten worden sind, findet seit Mai eine Weltausstellung statt, in der eine Abtheilung für Frauenarbeiten das lebhafte Interesse der Besucher in Anspruch nimmt. Diese Abtheilung, die gleichsam symbolisch zwischen der Ausstellung der Haushaltungsschulen und der Maschinenabtheilung untergebracht ist, als sollte damit die gegenwärtige Lage der arbeitenden Frau an­gedeutet werden, ist auf das Betreiben des allgemeinen Frauenvereins und des christlichen Frauenvereins eingefügt und von ihnen organisirt worden. Wohl kann man in diesem Theile der Ausstellung des Schönen und Lieblichen genug erblicken, d. h. insoweit man von den Arbeiten redet, welche fleißige und geschickte Hände geschaffen haben und dort vor den Augen des Beschauers schaffen. Denn die Ab­theilung zeigt nicht blos die Erzeugnisse weiblichen Fleißes, weiblicher Geschicklichkeit, sie führt vielmehr die Erzeugerinnen der mancherlei Nutz- und Ziergegenstände bei der Arbeit vor. So sehr nun auch das reiche, bunte Bild dem Auge schmeichelt, die Bewunderung hervor­ruft, so drängt sich doch für den sozial denkenden und empfindenden Menschen, vollends für eine Sozialdemokratin, ein Anderes in den Vordergrund: die Gestalten und Gesichter, die Haltung und Be­schäftigung der in der Abtheilung thätigen Arbeiterinnen, die vom ersten Augenblick an frappiren. In der Abtheilung für Spitzen, wo zarte kleine Kunstwerke entstehen, Valenciennespitzen, schwarze Seidenspitzen, weiße Seiden- und Zwirn­spitzen zc., sitzen ältliche Frauen in fieberhaft emsiger Thätigkeit über die Arbeit gebeugt. Schaut die eine oder andere gelegentlich auf, so sieht man ein welkes Antlitz, aus dem Gleichgiltigkeit und erstarrter Gram spricht, ein gleichsam erloschener Blick irrt flüchtig über den Besucher. An eine solche Frau eine Frage über ihre Arbeits-, Lohn- und Lebens­verhältnisse zu richten, wäre nutzlos. Da geht man denn ohne Freude an den lieblichen Blumen und Figuren, welche unter den Fingern der Arbeiterinnen entstehen, mit schwerem Herzen weiter. Nicht gar weit davon kommt man zur Strickmaschinenabtheilung. An einer Strick­maschine sitzt ein Kind, das seinem Aussehen nach höchstens elf Jahre zählen kann. Das lange, spitze Gesicht ist bleichsandfarben, so daß sich das glanzlose sandblonde Haar fast gar nicht davon abhebt. Er­schrocken über die unsägliche Kümmerlichkeit der Gestalt, will ich das Mädchen fragen, wie alt es ist, warum es trotz seiner Jugend und Schwächlichkeit schon erwerbsthätig sein muß. Da erblicke ich einen Zettel, der den Besuchern ankündigt, daß es den Arbeiterinnen ver­boten ist, Fragen über die Arbeit undandere" auch(der Ausdruck scheint absichtlich etwas unklar gewählt zu sein) zu beantworten. Um die arme Kleine nicht in Ungelegenheiten zu bringen, ließ ich alles Fragen und setzte die Wanderung fort. In der Tabakbearbeitung und Zigarettenfabrikation machten die Mädchen, wenn auch die meisten bleich und dürftig aussahen, doch einen freieren, weniger geknechteten Eindruck. Ich wagte also an eine der jungen Arbeiterinneu die Frage zu richten, weshalb sie beim Zusammenrollen des Seidenpapiers, das den Tabak zur Zigarette aufnimmt, jedesmal den Finger mit ihrem Speichel befeuchtete, warum sie sich dazu nicht eines kleinen Wasser­näpfchens bediene. Sie erwiderte, da würde das Seidenpapier zer­reißen, naß dürfte dieses nicht werden. Ich fragte, ob sie nicht fürchte, sich eine Vergiftung zuzuziehen, indem sie den mit Tabaksaft benetzten Finger in den Mund stecke. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß im Falle einer ansteckenden Krankheit ihrerseits der Ansteckungsstoff durch die Zigarette auf den Käufer übertragen werden könne. Zur Antwort lächelte sie nur, zuckte mit den Achseln und ließ sich auch durch den Vorschlag, einen feuchten Schwamm zum Anfeuchten des Papiers zu benutzen, nicht beeinflussen. Eine andere Methode der Arbeit würde sie zu lange aufhalten, da würde sie zu wenig verdienen! Von den Arbeiterinnen selbst konnte man also über ihre Arbeits­und Lebensbedingungen wenig oder nichts erfahren. Einer der Ge­nossen vomPeuple "(Organ der belgischen Sozialisten) theilt in diesem Blatte mit, was er darüber zu erkunden vermochte. Er macht jedoch darauf aufmerksam, daß die Angaben mit größter Vorsicht aufgenommen werden müßte», da zweifellos die Auskunftertheilenden veranlaßt worden seien, ihre Verhältnisse günstiger als der Wirklich­keit entsprechend darzustellen. Kläglich genug erscheinen sie trotz alledem. Die Spitzenarbeiterinnen sind vom Lande; in ihrer Branche herrscht die Heimarbeit fast ausschließlich. Im zwölften Jahre be­ginnt gewöhnlich die Lehrzeit. Die Arbeit ist geradezu mörderisch, sie vernichtet das Sehvermögen und zerstört die Lunge. Bezahlt wird sie stückweise und zwar wie bekannt so niedrig, daß der Verdienst als ein Spottlohn bezeichnet werden muß. Ein Brügger Kaufmann sagte mir, daß die Spitzenarbeiterinnen in und bei Brügge nicht mehr als so Cts.(40 Pf.) täglich verdienen. Die Korsettarbeiterinnen erhalten für einen elfstündigen Arbeits­tag durchschnittlich 3 Frcs.(2,40 Mk.). Die unendlich mühsame, große Geschicklichkeit und Sorgfalt er­fordernde Arbeil, aus Perlen Blumen auf Tüll und Schleier zu sticken, wird mit 24 bis 2S Pf. die Stunde bezahlt; die mittlere Arbeitsdauer beträgt zehn Stunden, der Tagesverdienst steigt selten über 2,40 Mk. Die Goldstickerinnen, welche zwei Jahre Lehrzeit durchmachen müssen, während derer sie Anfangs für 4 Pf. die Stunde arbeiten, erhalten für den zehnstündigen Arbeitstag einen Lohn von 1,60 bis 4 Mk. Das Maximum wird jedoch höchst selten erreicht. Die Blumenarbeiterinnen machen eine drei- bis vierjährige Lehr­zeit durch und erhalten während derselben 40 bis 60 Pf. Tagelohn. Blumenmacherinnen, die ausgelernt haben, verdienen in zehn Stunden der gesundheitsschädlichen Arbeit 0.80 bis 1 Mk. Nur einige wenige Arbeiterinnen der Branche, die es in ihren Leistungen zu einer ge­wissen Künstlerschaft gebracht haben, können ab und zu einen Verdienst von 2,40 bis 3,20 Mk. erreichen. In der Passementeriebranche ist ebenfalls drei- bis vierjährige Lehrzeit Brauch; die Lehrmädchen erhalten die erste Zeit 4 Pf. für die Arbeitsstunde; die Ausgelernten bringen es bei zehnstündiger Arbeit bis auf 2,20 Mk. täglich. Die Seidenweberei wird als Heimarbeit betrieben, in Stücklohn bezahlt und giebl einen Tagesverdienst von etwa 2 Mk. Die Zigarettenmacherinnen haben einen elf- bis zwölfstündigen Arbeitstag, arbeiten in Stücklohn und erhalten für das Tausend Zigaretten 1,12 Mk. Die Maschinenstrickerinnen können es bei zehnstündiger Arbeit bis auf einen Tagesverdienst von 2,80 Mk. bringen. Die Handschuhmacherinnen dagegen vermögen in der gleichen Zeit nur 1,20 Mk. zu verdienen.