Nr. 23.

Dir Gleichheit.

7. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Begründet von Emma Ihrer in Pankow bei Berlin .

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2902) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart

Mittwoch, den 10. November 1897.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Juhalts- Verzeichniß.

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Weibliche Fabrikinspektoren. Der Kongreß der gemäßigten Frauenrecht­lerinnen zu Stuttgart . Aus der Bewegung. Feuilleton: Krieg. ( Gedicht.) Von Swatopluk Cech. Die Schwelle. Von Turgenieff. Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Kinderarbeit. Wirthschaftliche Kämpfe. Soziale Gesetzgebung. Frauenbewegung.

Weibliche Fabrikinspektoren.

Bereits 1885 forderten die sozialdemokratischen Reichstags­abgeordneten in ihrem Entwurf eines Arbeiterschußgefeßes mit einer einheitlichen, organischen Umgestaltung und Ausgestaltung der Ge­werbeaufsicht für das ganze Reich die Anstellung weiblicher Hilfs­Fabrikinspektoren. Sie vertraten damit nur die Interessen der Hunderttausende von industriellen Arbeiterinnen und die klipp und flar ausgesprochene Forderung des fortgeschrittensten und klar­blickendsten Theiles derselben. Denn schon in den vorausgegangenen Jahren hatten öffentliche Frauen- und Arbeiterinnenversammlungen in Folge einer entsprechenden Agitation der Genossinnen Ihrer, Wabniz u. A. die Heranziehung weiblicher Kräfte zur Fabrik­inspektion verlangt.

Seit jener Zeit ist die Forderung von immer breiteren prole tarischen Kreisen und zwar stets nachdrücklicher erhoben worden. Hinter ihr steht die gesammte sozialdemokratische Partei, die stärkste politische Partei des Reiches und wirft das Gewicht ihrer 134 Mil lionen Stimmen für sie in die Wagschale. Auf mehreren sozial­demokratischen Parteitagen gelangten einstimmig Anträge zur An­nahme, welche die Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren forderten. Wiederholt wies die Sozialdemokratie im Reichstag die Noth­wendigkeit der Neuerung nach. In Hunderten von Versammlungen würden entsprechende Beschlüsse angenommen. Die Staatsgewalten, deren Ohr von äußerster Feinhörigkeit ist für jeden unvorsichtig gefaßten Saß eines Redners oder einer Rednerin, verharrten der Forderung gegenüber in der hartnäckigsten Taubheit, der Taubheit des Nicht- hören- wollens.

Mehr als zehn Jahre nach den sozialdemokratischen Arbeite rinnen begannen auch die deutschen Frauenrechtlerinnen sich offiziell mit der Reformforderung zu beschäftigen. Einerseits veranlaßte sie dazu die ihnen eigenthümliche Nachahmung englischer frauen­rechtlerischer Vorbilder. Andererseits drängte zu schüchternen Schritt­chen aus der Sphäre der Wassersuppenwohlthätigkeit auf das Gebiet der Sozialreform sowohl die fühl abweisende Haltung der Arbeite­rinnen gegenüber dem frauenrechtlerischen Liebeswerben, wie der Einfluß der ethischen und evangelisch- sozialen Strömung. Auch die Rücksicht auf ein neues, dem weiblichen Geschlecht" zu erschließendes Thätigkeitsgebiet war nicht ohne Einfluß darauf, daß die Frauen­rechtlerinnen ihr arbeiterinnenfreundliches Herz entdeckten. 1895 petitionirte der Bund deutscher Frauenvereine " für die Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren bei den einzelnen Bundesstaaten. In den Landtagen, wo die Sozialdemokratie vertreten war, brachten die vaterlandslosen Gesellen" ungefähr zur selben Zeit entsprechende Anträge ein. Der Ernst und die Sachfenntniß, mit denen sie die

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Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Bettin( Eißner), Stuttgart , Rothebühl, Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.

Forderung verfochten, stand in wohlthuendem Gegensatz zu dem fläglich albernen und unwissenden Gerede, das bürgerliche Abge­ordnete und Regierungsvertreter in schönem Wetteifer arbeiter­trußiger Männerseelen zu der Frage verübten. In den meisten Landtagen brachte es die frauenrechtlerische Petition nicht einmal zu den Ehren eines Begräbnisses erster Klasse: sang- und klang= los verschwand sie in dem Papierforb, der zusammen mit Maul­forb und Peitsche offenbar zu den wichtigsten Werkzeugen der ,, Regiererei" so im engeren" wie im weiteren" Vaterland der glücklichen Deutschen gehört. In eingehender Behandlung der wichtigen Frage und zu kleinen Erfolgen kam es nur dort, wo die Sozialdemokratie Siz und Stimme im Landtag hat. Und wie zaghaft sind die Anläufe, die etliche wenige Länder auf der Bahn der Reform genommen haben.

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In Baden sind bürgerliche Frauenvereine und zwar der reaktionärsten Schattirung, nämlich sogenannte baterländische" Frauenvereine offiziell aufgefordert worden, etwaige Be­schwerden der Arbeiterinnen an das Fabrikinspektorat zu vermitteln. Etliche der Organisationen haben von vornherein die ihnen zu­gedachte Aufgabe schlankweg abgelehnt, und zwar unseres Erachtens mit Fug und Recht und nicht zum Schaden der Arbeiterinnen, denen eine täuschende Firlefanzerei erspart geblieben ist. Andere Vereine wahrten den Schein großmüthigen Wohlwollens gegen die ,, ärmeren Schwestern". Sie erklärten ,,, sich schüßend der Arbeiterinnen anzunehmen und denen, die sich mit ihren Anliegen vertrauensvoll an sie wenden, je nach den obwaltenden Umständen Rath und Hilfe angedeihen zu lassen." In dem industriell hoch entwickelten Pforzheim , wo Tausende von Arbeiterinnen in der Gold, Silber­und Bijouterieindustrie thätig sind, ist in der Folge die Gattin des höchsten Verwaltungsbeamten und die Gattin eines Großindustriellen beide versippt und befreundet mit dem proßigsten Ausbeutungs­flüngel der Stadt mit der Rolle der Vermittlung betraut worden. Daß Vermittlerinnen" in dieser Stellung und ohne jede amtliche Qualifikation und Befugniß so ziemlich jeder Voraussetzung eines gedeihlichen Eintretens für die Interessen der Arbeiterinnen er­mangeln, scheint nur der tiefen Weisheit der badischen Regierung ein Geheimniß zu sein. Es ist denn auch merkwürdig still ge= blieben über die im Interesse des sozialen Friedens liegenden" Leistungen der Damen, Leistungen, von denen traumselige Wolfen­fuckucksheimer eine Ueberbrückung der Klassengegenfäße" erhofften, sowie eine erzieherische Wirkung auf das Nichtigkeiten zugewendete Sein und Thun bürgerlicher Damen.

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Hessen hat sich bis jetzt zur weitgehendsten Maßregel be­züglich der einschlägigen Reform verstanden. Die Anstellung von zwei weiblichen Assistenten der Fabrifinspektoren ist eine beschlossene Sache, doch ist nichts Näheres über Amtspflichten 2c. der weiblichen Aufsichtsbeamten bekannt. Erst das Budget 1898/1900 foll Auf­schluß hierüber bringen; Beamtenautorität und Zwangsbefugnisse gegenüber den Unternehmern besigen leider die Assistenten nicht.

Nicht wie fünftighin in Hessen auf Grund eines Gesetzes, sondern nur durch ministerielle Verfügung amtirt in Weimar seit Kurzem eine Assistentin des Fabrikinspektors. Ueber ihre Quali­fitation, Aufgaben, Befugnisse ist absolut nichts in die Oeffentlich­feit gedrungen. Man weiß nur, daß die Dame den Aufsichts­beamten bei seinen Inspektionen begleitet. Wie wir kürzlich mit­