der langjährigen Forderung durchsetzen, welche der Züricher Ar­beiterschußkongreß folgendermaßen formulirte:" Zur Aufsicht über die Durchführung der Vorschriften, die Frauenarbeit betreffend, sind vom Staate zu besoldende Inspektorinnen anzustellen, die zum Theil aus den Kreisen der Arbeiterinnen zu wählen sind."

Der Kongrek der gemäßigten Frauenrechtlerinnen zu Stuttgart .

"

"

Die 19. Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenbildungsvereins" tagte vom 1.- 3. Oktober in Stuttgart , und in Verbindung mit ihr fand ein öffentlicher Frauentag statt, dessen Programm wir bereits früher mittheilten. Es waren die Frauenrechtlerinnen der älteren" oder gemäßigten" Richtung, die sich zur Berathung zusammenfanden. Um so bemerkenswerther ist der wenn auch schüchterne, so doch entschiedene Zug nach links", der ihre Verhandlungen kennzeichnete. Erweiterung der Ziele des Vereins in der Richtung der Mitarbeit auf dem Gebiete sozialer Reformen, in der Richtung des Eintretens für Frauenrechte, das ist das Fazit der letzten Tagung. Die Frauenrechtlerinnen gemäßigter Observanz be ginnen zaghaft auf dem Wege zu marschiren, dessen Beschreiten früher den sogenannten Radikalen" zum Vorwurf gemacht wurde. Was die beiden frauenrechtlerischen Richtungen unterscheidet, so wurde in Stuttgart wiederholt betont, das sind nicht die Ziele, es ist das Tempo, in welchem die eine und die andere den Zielen zustrebt.

"

Daß es trotz des Tempos der weisen Mäßigung", das der , Verein" beobachtet, in seinen Reihen nicht an Elementen fehlt, welche noch zum Stillstand oder Rückwärts bremsen möchten, erhellte aus den Berathungen über die vom Vorstand entworfenen Statuten der Ortsgruppen. Nach dem Entwurf sollten die Ortsgruppen nicht nur bezwecken, die intellektuelle und sittliche Bildung des weiblichen Ge­schlechts im Allgemeinen zu fördern, sondern ganz besonders auch zur Prüfung und Erörterung von Fragen anzuregen, welche die Stellung der Frau als Rechtspersönlichkeit und ihre Verpflichtung für die Arbeit an der Verbesserung unserer sozialen Zustände betreffen." Die Gräfin Wartensleben hielt insbesondere den Passus, der die Mit­arbeit an der Verbesserung der sozialen Zustände forderte, für be­denklich" und im Widerspruch mit den Satzungen des Vereins, und -beantragte die Streichung desselben. Frl. Helene Lange hieb natür­lich in dieselbe Kerbe. Bezüglich ihrer Haltung drängt sich die Ver­muthung auf, daß sie weniger durch den Respekt vor den Vereins­sagungen bestimmt wurde, als vielmehr durch die Rücksicht auf die Ansichten hoher und höchster Herrschaften. Frl. Lange hat jederzeit für die Frauenbewegung mehr von Bittgängen vor Fürstenthronen erhofft, als von der kräftigen Aktion, und oft hat uns geschienen, als ob ihr sogar das Paradies mangelhaft dünken müßte, falls es nicht ein Vorzimmer enthielte, in dem ,, allerunterthänigste" vor allerhöchst­seligen" Geistern antichambriren dürften. Leider sah man in der Folge von der Aufnahme des bedenklichen" Passus in das Statut ab, dagegen wurde der Strömung nach links" durch den Beschluß Rechnung getragen, der Vorstand solle in einem besonderen Schreiben die Ziele den Ortsgruppen empfehlen. Diese sollen sich unter Anderem angelegen sein lassen: die Gründung von Rechtsschutzvereinen, die Vorbereitung von Gesuchen an die städtischen Behörden um Bethei­ligung der Frauen an der öffentlichen Armenpflege, die Fürsorge für jugendliche weibliche Gefangene während der Dauer ihrer Haft und nach derselben, u. s. w.

Den Sittlichkeits- und Mäßigkeitsbestrebungen soll der Verein immer größere Aufmerksamkeit zuwenden. Leider begnügte man sich bezüglich der beiden Fragen wieder damit, gegen Wirkungen zu dekla­miren, statt die Ursachen des Uebels bloszulegen. Gewiß ist es ein Fortschritt, daß die Damen diesmal die Sittlichkeitsfrage nicht unter Ausschluß der Deffentlichkeit erörterten. Aber entschloß man sich zu diesem Fortschritt, warum nicht zu dem anderen, die Frage gründlich und sachgemäß zu behandeln? Frau Bieber- Böhm erörterte sie mit be­fannter Einseitigkeit und Oberflächlichkeit. Die Hauptursache der Pro­stitution erblickt sie noch immer lediglich in einer lagen Moralauffassung, statt in der Hauptsache in ganz bestimmten wirthschaftlichen Ver­hältnissen, die Abhilfe sucht sie deshalb in einem Appell der Gattinnen und Mütter an das Sittlichkeitsempfinden der Männer, in gesetzlichen Vorschriften, in polizeilichen Maßregeln und Strafen. Wir haben wiederholt nachgewiesen, wie oberflächlich es ist, die Prostitution nur als Sittlichkeitsfrage und nicht in erster Linie als ökonomische Frage zu behandeln, wie ungeschichtlich die Auffassung, die Tugend könne unter dem wachsamen Auge des bepickelhaupten Schutzmanns durch Vorschriften fabrizirt werden. Frau Bieber- Böhm hat es nachgerade verwirkt, daß ihre Ausführungen in der Frage von irgendwelchem

179

halbwegs einsichtigen Sozialreformler ernst genommen werden. Mehr und mehr werden dieselben als der Ausdruck einer don- quichottischen Sittlichkeitsfererei bewerthet. Wir bedauern das aufrichtig, und zwar mit Rücksicht auf die hochwichtige Frage, wie mit Rücksicht auf Frau Bieber Böhm , die persönlich soviel Hochachtung verdient, als ihr Standpunkt die schärfste Kritik herausfordert.

Was die Rechtsstellung der Frau anbelangt, so sprach die General­versammlung sich dahin aus, daß die Agitation gegen das Familien­recht im neuen bürgerlichen Gesetzbuch mit aller Kraft fortgesetzt werden müsse. Insbesondere seien drei Reformen zu erstreben: Be­seitigung der vollständigen Unmündigkeit der Ehefrau bei Verwaltung des eingebrachten Gutes; Gleichstellung von Mutter und Vater be= züglich der elterlichen Gewalt; gesetzliche Anerkennung des natürlichen Verhältnisses zwischen dem unehelichen Kinde und seinem Vater.

-

Der Thätigkeitsbericht des Vereins, den Frl. Auguste Schmidt erstattete, konstatirte die Gründung neuer Ortsgruppen so in Frankfurt a. M., Tilsit, Posen und Hamburg , das Steigen der Mitgliederzahl, die Zuwendung beträchtlicher Mittel für den Stipen= dienfonds. Mit großer Wärme befürwortete die Referentin die aus­gedehntere und energischere Bethätigung auf dem Gebiete sozialer Reformen. Eine gedeihliche Entwicklung nehmen die vom Verein in Leipzig 1894 gegründeten Gymnasialkurse für Mädchen, die von Frl. Dr. Windscheid geleitet werden.

In den Vorträgen des öffentlichen Frauentags fam das schüchterne Vorwärts der gemäßigten Frauenrechtlerinnen noch klarer und schärfer zum Ausdruck, als bei den Verhandlungen der Generalversammlung. Hier wie da vermißten wir jedoch das Eine: die tiefere Einsicht in den geschichtlichen Entwicklungsprozeß, das Hervorheben der gesell­schaftlichen Zusammenhänge und Verknüpfungen. So war es gewiß höchst erfreulich, daß Frau Hecht in ihrem Vortrage Wohin?" mit aller Bestimmtheit die politische Gleichberechtigung der Frau forderte. Dagegen berührte es peinlich, daß die Dame ihre Forderung in seichter und unstichhaltiger Weise lediglich im Namen der Gerechtigkeit mit Deklamationen vom Naturrecht der Frau begründete. Heutigen­tags beruft sich bekanntlich kein philosophisch oder geschichtlich Ge­schulter mehr auf das Naturrecht, das im vorigen Jahrhundert eine so große Rolle spielte. Eine treffliche Leistung, soweit es sich um die Frage an und für sich" handelte, ohne Hinblick auf ihren sozialen Untergrund war Frl. Melliens Referat über die Fürsorge für jugendliche weibliche Gefangene. Inhaltlich bei weitem der beste Vor­trag war unstreitig der von Frau Simson über Die Nothwendigkeit weiblicher Fabrifinspektoren". Neben Frau Schwerin ist wohl Frau Simson im frauenrechtlerischen Lager die beste Kennerin der ein­schlägigen Materie. Das bewies ihr Vortrag, in welchem sie im Anschluß an einen Ueberblick über die fraglichen Verhältnisse in Eng­land nicht blos für die Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren plaidirte, sondern auch für die Erweiterung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes und für Unterstellung der Hausindustrie unter die Gewerbeordnung und Fabrikinspektion. Die Referentin betonte ausdrücklich, daß die von ihr formulirten Forderungen in Deutschland zuerst von der Sozialdemokratie erhoben worden seien und mit aller Energie von ihr vertreten werden.

-

Der frauenrechtlerische Kongreß wurde durch Sympathiekund­gebungen und festliche Veranstaltungen der Stadt, der Regierung und des Hofes erfreut. Die Königin und ihre Tochter, sowie andere Prin­zessinnen wohnten mehreren Versammlungen bei. Das zeigt sicher von der wachsenden Einsicht in die Berechtigung und Bedeutung der Frauenbewegung. Anerkennenswerth ist es auch, wenn Fürstinnen sich nicht darauf beschränken, in Offiziersuniform Parade abzunehmen, Galadiners zu präsidiren und Hintertreppenpolitik zu treiben, wenn sie vielmehr ihre Aufmerksamkeit wichtigen Zeitfragen zuwenden. Aber weder der eine noch der andere Umstand rechtfertigt die allerdevotesten Ergebenheitsbezeugungen, durch welche die Frauen­rechtlerinnen für die höchste Huld" dankten. Mit der Schärfe des Schlagworts charakterisirte ein gefallener Ausdruck die fürsten­fromme, unſtolze Gesinnung der Damen: Die Königin wünscht, und wir gehorchen." Gin Gefühl der Wehmuth überschlich uns, als ob der dem Frauentag erwiesenen unvergleichlichen Ehre" in tiefer Demuth Frauen erstarben, von denen jede einzelne geistig und sittlich ein Dußend Durchschnittsfürstinnen aufwiegt, von denen jede einzelne für ihre Nächsten und die Menschheit mehr ge= leistet hat, als ein Dugend Durchschnittsfürstinnen. Wann werden unsere deutschen Frauenrechtlerinnen sich zu so viel Bürgerstolz vor Königsthronen" durchringen, um der Ueberzeugung Ausdruck zu geben, daß die Anwesenheit einer Fürstin nicht einen Frauentag adelt, daß eine Fürstin vielmehr sich selbst ehrt, indem sie für eine der wichtigsten Zeitfragen das Verständniß einer gebildeten Privatfrau beweist? Die unterthänigsten Ergebenheitsbezeugungen ließen flar hervortreten, wie weit die sozialistischen Proletarierinnen an politischer Reife und Be­