Nr. 7. Jahrgang. Zeitschrist für die Interessen der Arbeiterinnen. Die �Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post(eingetragen unter Nr. 2970) vierteljiihrlich ohne Bestellgeld KS Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. JahreS-Abonnement Mk. 2.60. Stuttgart Mittwoch, den»n. März I8S8. Zuschriften an die Redaktion der„Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin (Tißner), Stuttgart , Rothebiihl- Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach-Straße 12. Nachdruck ganzer Artikel nur mit e.uellenangabe gestattet. Juhalts-Verzeichnisz. Macht gegen Macht. — Und doch! Von Klara Zetkin. — Aus der Bewegung.— Zur Lage der technischen Lehrerinnen an den Berliner Gemeinde-Miidchenschulcn. Von �1. Xt.— Feuilleton: Ein gutes Gewissen. Bon Alexander Kielland.(Fortsetzung.) Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Soziale Gesetzgebung.— Arbeitsbedingungen derArbeiterinnen.— Gewerkschaftliche Arbeiterinnen- Organisation.— Frauenbewegung.— Sittlichkeitssrage. Macht gegen Macht. Noch immer sträubt sich in Deutschland entsetzt jeder Philisterzopf, wenn die Forderung der vollen politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts erhoben wird. Widerspruchsvoll, aber erklärlich genug, erweisen sich als die eingefleischtesten Gegner der nöthigen Reform gerade die nämlichen Herren, die der schrankenlosesten Ausbeutungsfreiheit des Kapitals gegenüber der Proletarierin das Wort reden. Die Frohn der Frau in den Ziegelcihöllen, Zündhölzchenfabriken, Schriftgießereien zc. ist ihnen eine heilige, von Gott und der Natur gewollte Ordnung. Die Vorstellung dagegen, daß eine Frau zur Wahlurne schreiten, daß sie im öffentlichen Leben, im Parlamente unter den gleichen Bedingungen wie der Mann sich bethätigen könne, dünkt sie der unsittlichste aller Greuel und Scheuel. Nicht einmal die bürgerliche Demokratie hat in Deutschland die Konsequenz ihres Wesens, ihrer Grundsätze bezüglich der Gleichberechtigung der Geschlechter gezogen. Nur vereinzelt finden sich in ihren Reihen Vorkämpfer für die politischen Rechte der Frau. Die bürgerliche Frauenbewegung aber trägt bei uns so offensichtlich ihr Theil von der Rückständigkeit und Schwäche der bürgerlichen Demokratie, daß sie bis heute noch nicht eine einheitliche und kräftige Aktion für die volle politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts wagte. Dagegen ist es in Deutschland die Sozialdemokratie, die jederzeit klipp und klar mit Entschiedenheit für das volle Bürgerrecht der Frau eintritt. Sie zieht damit nur die logischen Schlußfolgerungen aus der vollzogenen und im Fluß begriffenen wirthschaftlichen Entwicklung. Ju der That: nicht etwa ein angebliches„Naturrecht" der Frau begründet die Forderung ihrer politischen Gleichberechtigung. Die Berechtigung dieser Forderung wurzelt vielmehr in den wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen die große Masse der Frauen heutigentags lebt und webt. Diese Verhältnisse zwingen die Proletarierinnen, nach ihrem vollen Bürgerrecht zu streben, sie bedingen, daß die Sozialdemokratie zur energischen Vorkämpferin für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts werden muß. Nach der Berufs- und Gewerbezählung des Jahres 1895 kamen damals in Deutschland auf eine weibliche Bevölkerung von 26 361123 Köpfen nicht weniger als 5 264 393 erwerbsthätige Frauen und Mädchen. Von 1882 bis 1895 ist die Zahl der weiblichen Erwerbsthätigen, die Dienstboten inbegriffen, von 24,02 Prozent der weiblichen Gesammtbevölkerung auf 24,96 Prozent gestiegen. Während in dem angegebenen Zeitraum die männlichen Erwerbsthätigen nur um 16,03 Prozent zugenommen haben, stieg die Zahl der erwerbsthätigen Frauen und Mädchen um 23,60 Prozent. Und das während die männliche Gesammtbevölkerung um 14,71 Prozent, die weibliche dagegen nur um 14,26 Prozent gewachsen ist. Diese Zahlen erweisen genugsam die Tendenz des wirthschaftlichen Entwicklungsganges, die Frau aus einer Nichts-als-Hausfrau in eine Berufsthätige zu verwandeln, den Kreis ihrer Interessen mit ihrer wirthschaftlichen Thätigkeit zusammen über das Haus hinaus zu erweitern. Der kleinste Theil aber der Frauen, die mit Hand oder Hirn ihr Brot durch Berufsarbeit erwerben, schafft für eigene Rechnung. Die weitaus meisten von ihnen arbeiten im Dienste eines kapita listischen Unternehmers, mag dieser Seidenstoffe fabriziren, Stiefeln oder Bücher auf den Markt bringen, mag er in Gestalt einer Einzelperson oder einer Aktiengesellschaft, in Gestalt eines Privatmannes oder von Staat und Kommune auftreten. Die Künstlerin, welche für eine Kunsthandlung malt, die Uebersetzerin, welche „Familienromane" verdeutscht, die Lehrerin, die Buchhalterin, sie alle frohnden ebensowohl im Joche und zum Nutzen kapitalistischer Unternehmer, wie die Fabriklerin, die an der Maschine schanzt, die Verkäuferin, die hinter dem Ladentisch sich abrackert, die Heimarbeiterin, die von Früh bis Abends am Rollbrett sitzt oder die Wheeler-Wilson tritt. Aber im Dienste eines Unternehmers schaffen, das heißt Proletarierin sein, das bedeutet in stetem Kampfe mit diesem Unternehmer ringen um möglichst günstige Arbeitsbedingungen und um endgiltige Zertrümmerung des Jochs der Lohnsklaverei. Das Interesse des Unternehmers erheischt, die Arbeitskraft — ganz gleich ob körperliche oder geistige— zu möglichst niedrigem Preis zu kaufen, so gewinnbringend als möglich auszunutzen und die Arbeitsbedingungen so billig es nur geht zu gestalten. In dem Interesse der erwerbenden Frau dagegen liegt es, daß sie ihre Arbeitskraft so hoch als möglich bezahlt erhält, daß sie ihre Arbeitskraft, oft ihr einziges Gut, so viel als möglich schont und deshalb übermäßige Anstrengungen, gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen abzuwehren strebt. Das kurzsichtige Augenblicksinteresse des Kapitalisten kennt keine menschliche Rücksicht auf das Wohl und Wehe der Kopf- oder Handarbeiterin, die er beschäftigt. Das Interesse der Arbeiterin hat nichts zu thun mit dem Profit, den der Unternehmer aus ihrem Mühen preßt. Daher mit Naturnoth- wendigkeit das erbitterte Ringen zwischen Proletarierin und Kapitalisten, daher zwischen beiden der Kampf, in dem es keinen Frieden geben kann. In diesem Kampfe bleibt der Unternehmer gegenüber der einzelnen Arbeiterin der Sieger, denn er ist der wirthschafllich Stärkere, sein Besitz giebt ihm die Hungerpeitsche in die Hand. Die wenig oder nichts besitzende Frau, die ihr Brot durch eigene Arbeit erwerben muß, wird durch ihre Armuth zur Unterwerfung und Fügsamkeit gezwungen, sie vermag es nicht, ihre Interessen dem Protzen gegenüber zu wahren. Er setzt ihr den Fuß auf den Nacken, und sein Wille, sein Profitbegehren entscheidet über ihre Arbeitsbedingungen und damit über ihre Lebensverhältnisse. Der Widerstand, den die einzelne Arbeiterin dem Profithunger des Unternehmerthums nicht entgegenzusetzen vermag, er muß sich zu ihrem Gunsten geltend machen durch die gewerkschaftliche Organisation. In der Organisation zu einer Macht zusammengeschweißt, vermögen die Proletarierinnen erfolgreich ihre Interessen bei Festsetzung der Arbeitsbedingungen zu vertheidigen. Die Geldsacksgewalt muß durch das Vereins- und Versammlungsrecht, die Koalitionsfreiheit der Arbeiterklasse gezügelt werden. Die kapitalistische Entwicklung hat Gleichheit zwischen dem Mann und der Frau des
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8 (30.3.1898) 7
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