-zu schwelgen. Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer höherenInstanz, an welche sich die Frauen bei der praktischen Geltendmachungeines ihnen nicht ausdrücklich vorenthaltenen Rechts wenden können,ist für die Entscheidung der Frage ganz unwesentlich. In Deutschland giebt es gegenwärtig keine einzige richterliche Instanz, die umder schönen Augen eines Gesetzestextes willen die strittige Angelegenheit zu Gunsten der Frauen entscheiden würde. Nicht einmal inEngland mit seiner so demokratischen Entwicklung und seinem höherenVerständniß für die Frauenforderungen, haben in ähnlichen Fällendie Gerichte den Frauen ihr Recht zuerkannt, sie haben vielmehr,aller Gesetzestexte ungeachtet, das frauenrechtlerische Begehren abgewiesen. Die englischen Frauenrechtlerinnen sind denn auch vomWege der„Selbsthilfe" abgekommen und streben darnach, das Wahlrecht durch„Gesetzeshilfe" zu erringen.Als Kern der„praktischen Geltendmachung" des Frauenrechtsbleibt im Falle der Gewerbegerichte wie der Schöffengerichte nureins zurück: die Demonstration des Bedürfnisses und des Willensder Frauen, die betreffenden Rechte auszuüben. Die Demonstrationfür das vorhandene Bedürsniß der Arbeiterinnen und ihren Willen,das Wahlrecht zu den Gewerbegerichten zu erlangen, ist meiner Ansicht vorhanden in Gestalt des diesbezüglichen Antrags der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, hinter der l'/, Million Wählerstehen; ist vorhanden in Gestalt der diesbezüglichen Forderungen, dieseit Jahren in Versammlungen, Vereinen»nd auf Parteitagen for-mulirt worden sind. Die Agitation muß dafür sorgen, daß in Zukunft weiter und mehr noch als bisher für die einschlägige Forderung„demonstrirt" wird.Das vorliegende praktische Bedürsniß wird mit der Zeit machtvoll zwingend die Frage zu Gunsten der Arbeiterinnen entscheiden,nicht aber der Triumpf irgendwelcher kniffliche» und tiftlichen, dreh-und deutelbaren Rechtsformel. Frl. Augspurg meint zwar,„es seider einzige Weg, einen rechtlich fundirten Ausgangspunkt für dieForderung politischer Gleichberechtigung zu schaffen, indem man zunächst den Beweis einer bisherigen Nichtberechtigung erbringt, deraus der jetzigen Fassung der gesetzlichen Bestimmungen nicht hervorgeht." Allein sie stellt damit die Tinge auf den Kopf und machtverknöchernde und verknöcherte Rechtsformeln zum Ausgangspunktder geschichtlichen Entwicklung, statt diese Rechtsformeln aus dergeschichtlichen Entwicklung und als deren Frucht zu begreifen.Am Ende ihrer Ausführungen meint. Frl. Augspurg philosophisch,in der strittigen Frage stände sich Ansicht und Ansicht gegenüber.Sie vorenthält aber— im Gegensatz zur„Gleichheit"— denLeserinnen der„Frauenbewegung" alle sachlichen Gründe, aufwelche gestützt ich ihre Ansicht bekämpfte. Ihre Entgegnung mußden irreführenden Glauben erwecken, als habe ich mich lediglich gegenFrl. Augspurgs Inkonsequenz gewendet. Und doch bildeten meinediesbezüglichen Ausführungen nur einen unwesentlichen Punkt meinesArtikels und wurden von mir noch besonders durch das Einleitungswort„Uebrigens" als nebensächlich charakterisirt. Ich selbst hatte inmeinein Artikel die von Frl.'Augspurg für ihre Ansicht angezogenenGründe angeführt. Diese» Thatsachen gegenüber darf ich mir erlauben, Frl. Augspurg auf den schulmeisterlich erhobenen Finger zuklopfen, der mich zur„sachlichen und unpersönlichen" Vertretungmeiner Ansicht mahnt. Eine Polemik, welche die wesentlichsten sachlichen Gründe einer gegnerischen Meinung verschweigt und nur eine»unwesentlichen Nebenpunkt herausgreift, ist sicherlich bequem, sie istaber meines Erachtens weder sachlich, noch„lair", gerecht und loyal.Klara Zetkin.Aus der Bewegung.Bon der Agitation. Im Junkerparadiese, im schönen M eckle»bürg, hielt Genossin Baader-Berlin in der Zeit vom 16.— 27. Februareine Reihe sehr erfolgreicher Versammlungen ab. Die Rednerin sprachin Wismar, Güstrow, Rostock, Doberan, Neubukow,Schwerin, Tramm, Crivitz, Goldberg und Röbel vor überfüllten Versammlungen. Da in Mecklenburg über„Politik" nicht gesprochen werden darf, so mußten überall öffentliche Gewerkschaftsversammlungen veranstaltet werden. Die Referentin behandelte diefolgenden Themata:„Lebenshaltung und Sterblichkeit desProletariats",„Der Kampf ums Dasein",„Ist die Erwerbsarbeit der Frau, namentlich der verheiratheten, noth-wendig?" In den meisten Versammlungen war die Landbevölkerung, Männer sowohl wie Frauen, stark vertreten. Die verwittertenGestallen der Männer und die ausgemergelten Gestalten der vorzeitiggealterten Frauen erzählen von hochgradiger Unterdrückung und Ausbeutung. Die Sozialdemokratie ist es allein, die diesen armen, oftin abgelegenen Dörfern in elenden Katen hausenden Leuten geistigeAnregung, Kampfesmuth und Hoffnungsfreudigkeit giebt. Auf vielender mecklenburgischen Dörfer sind bereits bei der vorigen Wahl ver-hältnißmäßig viel Stimmen für die Sozialdemokratie abgegeben worden.So fielen z. B. im Dorfe Tramm von 136 Stimmen 164 auf densozialdemokratischen Kandidaten, 32 aus den Gegner. Vom bevorstehende» Wahlkampfe hofft man noch weit günstigere Resultate,vielerorten hält man die Wahl zweier Sozialdemokraten für nichtausgeschlossen. An einer kräftigen Agitation lassen es die Genossenund Genossinnen nicht fehlen. Diese Agitation wirkt übrigens nichtblos politisch aufklärend, sondern allgemein bildend. In Folge derschlechten Schulen auf dem Lande giebt es hier in Mecklenburg nochimmer Leute, denen das Schreiben schwer fällt. Die Rücksicht aufden Verkehr unter den Genossen, auf im Dienste der Bewegung nöthigeschriftliche Arbeiten veranlaßt die Einführung von Lese- und Schreibübungen; auch auf Dörfern bestehen vielfach Arbeiterbildungsvereine.Trotz aller Hindernisse, welche die bekannte Rückständigkeit Mecklenburgs der Ausbreitung unserer Ideen entgegenstellt, schreitet die Bewegung auch ini Obotritenreiche in der Stadt wie auf dem Landerüstig vorwärts. v. L.Eine Agitationstour in die Schweiz zur Kräftigung der ineinem Verband zusammengeschlossenen Schweizer Arbeiterinnenvereine unternahm Genossin Zetkin vom 27. Februar bis 14. März.Es fanden Versammlungen statt in St. Gallen, Horgen, Zürich,Winterthur, Luzern, Kriens, Basel, Bern und Wil. Genossin Zetkin sprach dem Wunsche der Mitgliedschaften entsprechendüber„Arbeiterinnenschutzgesetzgebung und Arbeiterinnenorganisation";„Frauenbefreiung und Sozialismus" und„Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung". Die Versammlungen waren überall sehr gut besucht; erfreulicher Weise warenin den größeren Fabrikorten die Arbeiterinnen in großer Zahl anwesend. Die Bereine, die überall von tüchtigen Proletarierinnen geleitet werden, gewannen an Mitgliedern. Zweierlei fiel GenossinZetkin während ihrer Agitation besonders auf. Das durch behördlicheVorschriften und Chikanen unverkümmerte Vereins- und Versammlungsrecht, Kraft dessen in der Schweiz Männer und Frauen ohnepolizeiliche Anmeldung, Genehmigung und Ueberwachung tagen können.Dem an de» siebenfachen liebevollen Schutz der Pickelhaube gewöhntenDeutschen berührt es anfangs fast befremdend, in einer Versammlungzu sprechen, ohne daß„das Auge des Gesetzes" wacht und protokollirt,ob nicht dem Zaun der Zähne ein unvorsichtiges Wort entflieht, dasDank verständnißinniger Deutelungsfreudigkeit zur Auflösung der Versammlung, zum Einschreiten gegen„Hetzer" oder„Hetzerin" führenkann. Ferner spielt sich der Klassenkampf in der Schweiz in milderenFormen ab als in Deutschland. Es fehlt ihm die scharfe Zuspitzung,die ihm bei uns durch die halb-absolutistische», politisch rückständigenVerhältnisse gegeben wird. Die vorhandene breite demokratische Grundlage des politischen Lebens bedingt, daß innerhalb der sozialistischenBewegung die ruhige Aufklärungsarbeit vor leidenschaftlichen Kampfesaktionen in den Vordergrund tritt. Das Schweizer Proletariat besitztdie politische Bewegungsfreiheit für Führung des Klassenkampfs, diedas deutsche Proletariat in heißen Kämpfen erst noch erringen muß.Es gilt, die Massen zur Erkenntniß zu wecken, daß und wie sie dieseBewegungsfreiheil nützen müssen, um die Macht des Kapitals zubrechen, die auch auf ihnen lastet und die freie und schöne Entfaltungihres Menschenthums verhindert.In Königsberg und Elb ing gewinnt die proletarische Frauenbewegung stetig an Ausdehnung und Kraft. Die öffentlichen Frauenversammlungen, welche in den letzte» Monaten in beiden Städten abgehalten wurden, waren gut besucht und bewiesen durch ihren Verlauf,insbesondere auch durch die Diskussion, welch reges Interesse für dieBestrebungen der Proletarierinnen vorhanden ist, im gemeinsamenKampfe mit den Arbeitern Ausbeutung, Noth und Elend aus derGesellschaft zu beseitigen. I» einer der stattgehabten Versammlunge»in Königsberg regten die Genossinnen Nähsert und Pahlke an,Stellung zu den Beschlüssen der Berlinerinnen zu nehmen. In derFolge nahm die Versammlung eine Resolution an, welche fordert,„daß nicht nur den jugendlichen männlichen Arbeitern, sondern auchden weiblichen Arbeitern die Gelegenheit zur Fortbildung in dazugeeigneten Schulen nach dem 14. Jahre gegeben wird." Ter nächsteWahlkampf wird die Elbinger und Königsberger Genossinnen aufdem Posten sehen!In Plauen bei Dresden fand Ende Februar eine sehr gutbesuchte Protestversammlung der Frauen gegen die von konservativerSeite geplante Verschlechterung des Vereins- und Versammlungsrechtsstatt. Das Referat zur Tagesordnung hatte Genossin Eichhorn-Dresden übernommen, die sich ihrer Aufgabe in trefflicher Weise,oft von Beifall unterbrochen, entledigte. Mehrere Genossinnen sprachenin der Diskussion im Sinne der Referentin. Die konservativen Landtagsabgeordneten Rubelt und Großmann waren zum Besuch der Versammlung eingeladen worden, um ihren Standpunkt zu vertreten,