Nr. 9.
Die Gleichheit.
8. Jahrgang.
Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2970) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch, den 27. April 1898.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Stellenangabe gestattet.
Juhalts- Verzeichniß.
Maifeier, Kampfesthat. Die Konferenz der österreichischen Sozialdemofratinnen. Von Adelheid Popp - Wien . Aus der Bewegung.
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Die Stellung der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen zu den Wahlen. Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Soziale Gesetzgebung. Weibliche Fabrikinspektoren. Frauenbewegung.
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Maifeier, Kampfesthat.
Nicht linde politische Lüftchen sind es, die den diesjährigen Maientag des deutschen Proletariats grüßen, scharfer Kampfeswind bläst vielmehr durch unser öffentliches Leben. Er steigert sich an und ab zum brausenden Sturm und wirbelt Wetterzeichen empor, die auf rasenden Orkan in naher Zukunft deuten.
Das mag den Philister schrecken, dem ruhiger Genuß und selbstzufriedenes Behagen in unbewegtem Einerlei höchstes Lebensglück dünkt. Nicht so dem Strebenden, dem Bewegung Leben ist und Kampf Fortschritt. Er weiß es:" Winterſtürme künden den Wonnemond." Bäumt das Alte sich wüthend empor, so weil es seine Schwäche dem kraftvollen Neuen gegenüber fühlt. Nüzt das Vergehende die ihm zu Gebote stehenden Gewaltmittel rücksichtslos aus, um sich zu schüßen und zu erhalten, so weil es die junge, frühlingstroẞige Macht des Werdenden spürt, das von den ehernen Armen der geschichtlichen Entwicklung unaufhaltsam zum Siege getragen wird. Das Toben der Reaktion auf der ganzen Linie beweist nur die Stärke und den Fortschritt der Nevolution, der gesellschaftlichen Umwälzung, in der wir mitten drin stehen, in unseren Zeitläuften der steten Vervollkommnung und Ausweitung der Produktionsmittel und Produktionsmethoden, in unseren Zeitläuften, wo das Proletariat zur Erkenntniß seiner Klassenlage erwacht und bewußt, planmäßig und organisirt als Kämpfer auf die Bühne der Geschichte tritt.
Die scharfe Zuspizung des Klassenkampfes zwischen Proletariat und Kapitalistenklasse, Kapitalistenstaat prägt der gegenwärtigen Lage in Deutschland , prägt der bevorstehenden Maifeier der deutschen Arbeiterklasse ihren Charakter auf. Sie stempelt die Maifeier zur Kampfesthat, wenn ihre Form auch noch so friedlich ist. Der Festes jubel und Festestrubel, der mancherorten die Maifeier umrauscht, mag für Viele den Charakter der proletarischen Manifestation verdunkeln, er mag für das Ohr des Einen oder Anderen den revolutionären Kampfesruf übertönen, der sich am 1. Mai aus Millionen Proletarierfehlen losringt. Der Charakter der Maifeier als Kundgebung des proletarischen Willens ist nichtsdestoweniger vorhanden, der proletarische Kampfesruf schallt nichtsdestoweniger energisch, eindringlich mahnend, stolz trozig in die Welt der Besitzenden hinein. Aus der freien Entschließung des Klassenbewußten Theiles der Arbeiterklasse geboren, durch den freien Willen des kämpfenden Proletariats entgegen dem Willen der Besizenden und im Gegensatz zu deren Festen durchgesetzt, ist und bleibt die Maifeier eine Aeußerung des geschichtlichen revolutionären Lebens, das sich mächtig in den breiten Schichten der Enterbten zu regen beginnt. Nicht als in stumpfsinniger Unterwerfung unter einem unabwendbaren Geschick Frohndende und Leidende, nicht als demüthig Bittende oder wehleidig Zagende und Verzweifelnde ziehen die Proletarierschaaren am 1. Mai an ihren Ausbeutern und Herrschern vorüber. Nein, als Wissende, Wollende und Kämpfende
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Buschriften an die Redaktion der" Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Bettin( Eißner), Stuttgart , Rothebihl= Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
treten sie vielmehr diesen entgegen, nicht Klagen auf den Lippen, sondern Anklagen, nicht unflares Flehen, sondern bewußte Forderungen.
Seit die kapitalistische Wirthschaftsweise sich entfaltete, in ihrem Triumphzug erbarmungslos über das unsagbare Klassenleiden des Proletariats fortschritt, die wirthschaftlich Schwachen zermalmend, lebendiges Menschenthum zu Mehrwerth münzend: seit der Zeit haben auch warm empfindende, klarblickende Menschenfreunde gesetzlichen Schuß der besiglosen Masse gegen die kapitalistische Ausbeutung verlangt. Aus Mitgefühl mit dem gen Himmel schreienden Elend breiter Kreise der Arbeiterklasse, die aus dem Proletariat ins Lumpenproletariat gestoßen werden, die mit der wirthschaftlichen Noth dem körperlichen, geistigen und sittlichen Verkommen anheimfallen; im wohlverstandenen Interesse der ganzen Gesellschaft an der allseitigen Hebung der versinkenden proletarischen Schichten. Die Wünsche und Forderungen der Leute des guten Herzens verhallten ungehört, gleich der Stimme des Predigers in der Wüste. Aerzte und Nationalökonomen haben im Namen ihrer Wissenschaft die Nothwendigkeit und Möglichkeit des Schutzes der Arbeit gegen das Uebermaß kapitalistischer Ausbeutung begründet. Ihre Beweisführung wurde aber von der kapitalistischen Klasse und ihrem Staat ignorirt. Nur in dem Maße, als das Proletariat selbst, durch seine Leiden zur Erkenntniß von deren Ursachen und Wirkungen wachgepeitscht, nachdrücklich heischend auf den Plan trat, sind die Anfänge des nöthigen gesetzlichen Arbeiterschußes ertrozt worden. Und nur in dem Maße wird ein umfassender, gründlicher Arbeiterschutz Thatsache werden, als im Proletariat der Unverstand der Massen" schwindet, als auch seine breitesten Schichten, zielflar kämpfend, in Reih und Glied stehen.
Dieser Erkenntniß verleiht der Klassenbewußte Theil des werkthätigen Volkes am 1. Mai einen millionenstimmigen Ausdruck. Von dem Bewußtsein des unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit durchdrungen erklärt es, daß es seine nächſtliegenden Augenblicksinteressen im scharfen Widerstreit gegen die ausbeutende und herrschende Kapitalistenklasse erkämpfen muß und erkämpfen will. Was ihm heute noth thut, das wird es als sein gutes Recht durch eigene Kraft erringen, es erharrt kein Geschenk, keine Gnade von dem Wohlwollen und dem Verständniß der Machthabenden. Und für das Linsengericht des gesetzlichen Arbeiterschutzes wird es nun und nimmer sein Erstgeburtsrecht als revolutionäre Klasse verkaufen. Umgekehrt, die Erringung des gesetzlichen Arbeiterschutzes ist dem Proletariat eine unerläßliche Etappe auf dem Wege, der zur sozialistischen Gesellschaft führt. Es fordert ernste Reform seiner gegenwärtigen Lage, um die künftige soziale Nevolution vollziehen zu können, welche allein seine Befreiung sichert. Ein Weniger an wirthschaftlicher Noth, ein Mehr an Muße, Gesundheit, Kraft, Bildung, Charakterentwicklung soll die proletarische Kampfenergie nicht lähmen, vielmehr stärken und schärfen. So tragen auch die Reformforderungen der Arbeiterklasse einen revo= lutionären Charakter, so wachsen auch sie aus dem Boden des Klassengegensazes zwischen Habenichtsen und Prozen empor und werden zu Wahrzeichen des Klassenkampfes. So wird die friedliche Maifeier, die proletarischen Reformforderungen gilt, in erster Linie der Forderung des Achtstundentags und einer durchgreifenden Arbeiterschußgesetzgebung überhaupt, zur revolutionären Kampfesthat.
Ganz besonders scharf umrissen tritt dieser ihr Charakter heuer in Deutschland in Erscheinung. Deutschlands soziale Gesetz