gebeuteten ohne Unterschied des Geschlechts, des Berufs und der Nation hochhalten. Möge ihnen die Zukunft schöne Erfolge bringen. Kämpfe bleiben ihnen ja nicht erspart bei ihrem aufopfernden Wirken, die Arbeiterinnen der Seidenindustrie zum Bewußtsein ihrer Rechte und ihrer Pflichten aufzurütteln. Aber ohne Kampf kein Sieg. O. B.

Die Stellungnahme der bürgerlichen Frauen­rechtlerinnen zu den Wahlen.

Daß und in welcher Weise bürgerliche Frauenrechtlerinnen zu den bevorstehenden Reichstagswahlen Stellung nehmen wollen, haben wir bereits in der letzten Nummer der Gleichheit" mitgetheilt. Ein Wort der Kritik zu dieser Stellungnahme ist unerläßlich.

Es ist das erste Mal, daß in Deutschland bürgerliche Frauenrechtle­rinnen offiziell ihre Absicht aussprechen, an dem Wahlkampf theilzu­nehmen, daß sie offiziell die Frauenwelt auffordern, in den politischen Kampf einzugreifen. Bedenkt man die große Rückständigkeit der bürger­lichen Frauenwelt Deutschlands , so bedeutet das gewiß einen erfreulichen Fortschritt, den zu leugnen oder auch nur zu unterschätzen thöricht wäre. Aber genau so thöricht wäre es, das frauenrechtlerische Vor­gehen zu überschätzen und es als eine kraftvolle, zielflare Aktion zu Gunsten der vollen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts und der freiheitlichen Entwicklung zu preisen. Stellt das Vorgehen selbst einen Fortschritt dar, so zeigt das Wie des Vorgehens die Halbheit, Schwäche und Unklarheit der deutschen Frauenrechtelei mit herz­erquickender Deutlichkeit.

Der Eingangs des Aufrufs genommene kühne Anlauf zum Kampfe für die politische Gleichberechtigung der Frau und für eine demokratische Gestaltung unseres öffentlichen Lebens endet schon am Schlusse des Manifests mit einem kläglichen Rückzug. Denn was anders als ein kläg­licher Rückzug ist es, wenn die Frauen, die sich als Staatsbürgerinnen bethätigen wollen, den Kampf für die wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte ihres Geschlechts für das Vereins- und Versammlungs­recht, für das Wahlrecht- preisgeben, indem sie erklären, daß auch solche Kandidaten zu unterstützen seien, die sich nur auf etliche der aufgestellten Programmforderungen verpflichten. Für etliche der formulirten Forderungen, welche der Spießer als sogenannte be­rechtigte Ziele" der Frauenbewegung anerkennt, sind bekanntlich ver­schiedene der ärgsten Reaktionäre zu haben. Die Forderung der politischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, insbesondere des Wahlrechts, weisen dagegen mit Ausnahme weniger weißer Raben im Lager der bürgerlichen Demokratie sämmtliche bürger­lichen Politiker zurück. Nicht die Kernforderung, das A und O jeder ernsten, träftigen Frauenbewegung, hält somit der Aufruf als eisernen Bestand des Wahlprogramms aufrecht, vielmehr vom Belieben des Einzelnen auszuwählende harmlose" Forderungen. Damit rollt er das eben stolz entfaltete Banner vorsichtig zusammen und erlaubt es jedem Xbeliebigen, es in jedem Einzelfalle in die Tasche zu stecken. Gleichzeitig ist damit die Vorbedingung gegeben, daß das Eingreifen der Frauen in den Wahlkampf nicht blos zur Stärkung der Demo­fratie führen kann, vielmehr ebenso in zahlreichen Fällen zur Stärkung der Reaktion führen muß. Herr v. Stumm und andere Leute seiner politischen Güte" sind bekanntlich eifrige Verfechter jener frauen rechtlerischen Forderungen, welche gewöhnlich ganz richtig als Ziele einer Damenbewegung" gekennzeichnet werden. Indem die Frauen­rechtlerinnen auf den geschlossenen rückhaltslosen Kampf für die volle soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts verzichten, geben sie auch den Kampf gegen die politische Reaktion auf. Mit den wichtigsten Frauenrechten liefern sie die wichtigsten Volksfreiheiten der Reaktion aus. Das Geschrei der Konservativen über das umstürz­lerische" Vorgehen der Frauenrechtlerinnen ist deshalb ebenso albern, als grundlos. Das Gewehr, das die radikalen Frauenrechtlerinnen für den Wahlkampf geschultert haben, ist eine Kinderflinte, die nicht losgeht.

Wollte man frauenrechtlerischerseits Kandidaten unterstüßen, die in Theorie und Praxis thatsächlich für die volle soziale Gleichberech­tigung des weiblichen Geschlechts eintreten, so brauchten die Damen solche wirklich nicht mit der Laterne zu suchen. Es giebt in Deutsch­ land eine Partei, und nur eine Partei, die ihrem Programm gemäß jederzeit rückhaltslos für die volle soziale Gleichberechtigung des weib lichen Geschlechts eintritt: die Sozialdemokratie. Ein kraftvoller Kampf der Frauenrechtlerinnen für die höchsten Ziele ihrer Bewegung hätte deshalb eine muthige That bedingt: das Eintreten für die sozial­demokratischen Kandidaten. Daß die Unterzeichnerinnen des Aufrufs vor dieser That zurückgeschreckt sind, setzen wir auf Rechnung der Schwäche und Feigheit der deutschen Frauenrechtelei und nicht etwa auf Rechnung des mangelnden persönlichen Muthes der Damen Cauer und Augspurg . Diese wären Führerinnen ohne nennenswerthe Gefolgschaft geblieben, hätten sie um der schönen Augen des Prinzips

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der vollen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts willen die Unterstützung der sozialdemokratischen Kandidaten empfohlen. Die überwältigende Mehrzahl der bürgerlichen Damen legt weit größeren Werth auf die Erhaltung ihrer Vorrechte als Besitzende, wie auf die Eroberung ihrer Rechte als Frauen. Sie fühlen sich deshalb im Gegensatz zu der Sozialdemokratie, welche gegen den kapitalistischen Besitz und die kapitalistische Wirthschaftsordnung fämpft. Die That­sache, welcher die Verfasserinnen des Aufrufs Rechnung getragen haben, beweist eins: wie haltlos das frauenrechtlerische Gerede ist von der einen, untheilbaren Frauenrechtsbewegung, die in götter­gleicher Unparteilichkeit über den politischen Parteien und Kämpfen schwebt. Was wir in der Beziehung stets behauptet, der Aufruf be­bestätigt es flipp und klar. Die Klassenlage, die Klassengegensätze sind für die bürgerliche Frauenwelt wie für die Proletarierinnen aus­schlaggebender, als die Rücksichten auf ihre soziale Lage als Geschlecht. Der Kampf für die Herrschaftsstellung des Besitzes drängt den Kampf für die soziale Befreiung des weiblichen Geschlechts in zweite Linie

Ist unter dem Einfluß der Klassengegensätze und des in Deutsch­ land besonders scharf zugespitzten Klassenfampfs das Wahlprogramm der bürgerlichen Damen unentschieden und schwächlich in den Punkten der spezifisch frauenrechtlerischen Forderungen, so erweist es sich als unflar und nichtssagend betreffs der sozialreformlerischen Postulate. Der Aufruf wendet sich an die Frauen aller Klassen"; er mußte also anstandshalber auch den Frauen des werkthätigen Volkes etwas bieten, eine Wahrung ihrer Sonderinteressen in Aussicht stellen. Er thut dies in zwei Forderungen: Anstellung weiblicher Fabrikinspek­toren und erhöhter Schutz der arbeitenden Frauen. Ist die erste Forderung trefflich, so schrumpft die zweite vor der Kritik und bei Berührung mit dem Leben zu völliger Bedeutungslosigkeit zusammen. Ihre Fassung läßt jedem Einzelnen vollsten Spielraum, unter dem höheren Schuhe der arbeitenden Frauen zu verstehen und zu ver­fechten, was immer ihm beliebt, sogar den höchsten Schutz der tapitalistischen Ausbeutungsfreiheit. Hat denn nicht die Kapitalisten­klasse jederzeit im Namen der Vertheidigung der Freiheit und des Rechts der Frau auf Arbeit jede Erweiterung des gesetzlichen Ar­beiterinnenschutzes bekämpft? Verlangt denn nicht Herr v. Posadowsky im Namen des Schutzes der Arbeiter die Knebelung der Koalitions­freiheit? Wollte man frauenrechtlerischerseits ernstlich für den gründ­lichen Schutz der Arbeiterinnen eintreten, so mußte man die dies­bezüglichen, sehr präzisen, nicht zu drehenden und zu deutelnden Forderungen aufstellen, welche die Sozialdemokratie erhebt. Ihre Berechtigung wird heutzutage von keinem ernsten Sozialreformler bestritten, sie fanden die Zustimmung des internationalen Arbeiter­schutzkongresses zu Zürich , auf dem ja auch deutsche frauenrechtlerische Organisationen vertreten waren. Wir lassen dahin gestellt, ob die Verfasserinnen des Wahlprogramms aus politischer Unerfahrenheit ge­handelt oder aus Furcht, die bürgerliche Gefolgschaft durch zu weit­gehende" Forderungen zu schrecken. Betont sei übrigens eins: der beste Schutz der arbeitenden Frauen ist die Zuerkennung politischer Rechte, denn diese Rechte setzen sie in den Stand, sich selbst gegen die Kapitalistenklasse und ihren Staat zu vertheidigen. Eine Frauen­rechtsbewegung, welche nicht energisch für die politischen Rechte des weiblichen Geschlechts kämpft, verzichtet von vornherein auf die wirk­samste Vertretung der Interessen der ärmeren Schwestern".

Auch hinsichtlich der Forderung Bekämpfung der Unfittlichkeit", zu der sich die Kandidaten verpflichten sollen, öffnet das frauenrecht­lerische Wahlprogramm dem persönlichen Belieben, der Auslegekunst Thür und Thor. Mit keinem Wort ist das Wie der Bekämpfung angedeutet. Das Wie aber ist das entscheidende Moment, das den verständigen Sozialreformer von der stöckernden Muckerei und den seichten Bieber- Böhmiaden trennt. Aber offenbar sollten die frauen­rechtlerischen Vertreterinnen einer klareren und tieferen Auffassung der Sittlichkeitsverhältnisse ebensowenig zurückgestoßen werden, als die Gläubigen an die seligmachende Kraft der lex Heinze und des Büttelstocks. Man wollte Allen etwas Liebes sagen, und deshalb wurde man nichtssagend. Diese Taktik des Allen- recht- machen- Wollens mag für den Augenblick Erfolge versprechen, auf die Dauer führt sie zum Bankerott, zum Allesverlieren." Qui trop embrasse, mal étreint", heißt es mit Recht.

Daß der Aufruf sich an die Frauen aller Klassen" wendet, ist wirklich eine überflüssige Naivetät. Bürgerlichen Damen, die sich zum ersten Male schüchtern in den politischen Kampf wagen, denen mag das aufgestellte Programm und die beobachtete Taktik genügen, ja als kühn und weitgehend imponiren. Nicht so den aufgeklärten Proletarierinnen. Sie stehen seit Jahren im politischen Kampf, sie vertreten jederzeit ein Programm, das die volle soziale Gleichberech­tigung der Geschlechter fordert, sie weisen das Eintreten für halbe und schwächliche Ziele zurück. Sie spähen nicht Arm in Arm mit zaghaften, unklaren bürgerlichen Frauenrechtlerinnen nach Kandidaten