Ein vielbeschäftigter Arzt schreibt uns:
,, Bei dem weiblichen kaufmännischen Personale( Ladnerinnen) pflegen sich schlechte Luft, anhaltendes Stehen und bestän= diger geistiger, anstrengender Verkehr mit dem Publikum mit übermäßiger Dauer der Arbeitszeit zu vereinigen und Bleichsucht, Tuberkulose und nervöse Erschöpfung in den höchsten Graden hervorzurufen."
Dazu kommt, daß hie und da Gehilfinnen, die sich unwohl fühlen oder häufiger den Arzt konsultiren sollen, die erforderliche Zeit hiezu nicht erhalten, oder in so unfreundlicher Weise bewilligt erhalten, daß sie lieber gar nicht fragen. Diese Thatsache hat einen humanen Arzt sogar veranlaßt, derartige Patienten auf die Zeit nach Schluß des Geschäftes, also außerhalb seiner Sprechstunde, zu be handeln.
Dazu kommt, daß nicht selten seitens des Geschäftsherrn dem Angestellten der Arzt vorgeschrieben wird, was auf Abmachungen zweifelhafter Art hindeutet.
Die Verwaltung der Ortskrankenkasse III richtet an alle, die es angeht, die dringende Bitte, diesen Schädlichkeiten abzuhelfen! Besonders gilt dies größeren Geschäften, denen das zahlreichere Personal Schichtenwechsel und Arbeitstheilung gestattet. Es bedarf keines Wortes darüber, daß hier nicht nur das finanzielle Interesse der Kasse, sondern auch das eigene der Arbeitgeber in Frage kommt, da sie die Kosten der ärztlichen Behandlung u. s. w. in Form ihrer Beiträge aufzubringen haben.
Den Kassen ist leider eine vorbeugende ärztliche Behandlung, ein Eingreifen in dem Moment, da aus Blutarmuth und körperlicher Schwäche eine Krankheit bezw. die Krankheit die Tuberfulose sich zu entwickeln droht, gesetzlich noch nicht gestattet; die Vorbeugung kann aber auch wirksam und dauernd nur durch eine den hygienischen Anforderungen entsprechende Arbeitsweise gefordert werden. Das Publikum, das willig Tausende zur Errichtung der Volksheilstätten jährlich beisteuert, sollte sich mit mindestens derselben Wärme und Energie auf die Forderung vereinigen, daß die Ursachen jener an der Volksgesundheit zehrenden Massenfrankheit nach Möglichkeit behoben werden. Wir meinen, daß hiermit auch eine der ernstesten, Frauenfragen zur Lösung käme."
Frauenbewegung.
Eine Protestversammlung der Frauenrechtlerinnen gegen die Stellungnahme des preußischen Kultusministers und des Abgeordnetenhauses zum Frauenstudium fand in Berlin am 18. Mai statt. Dieselbe erfreute sich eines glänzenden Besuchs: der weite Saal war lange vor Eröffnung der Versammlung überfüllt. Zustimmungsadressen wurden geschickt von den Münchener Kunstschülerinnen, von dem internationalen Studentinnenverein zu Zürich , von vielen bekannten auswärtigen Frauenrechtlerinnen, so von Frau Simson- Breslau und Fräulein Dr. Schirmacher- Paris . Zur Tagesordnung sprachen Frau Cauer, Fräulein Erdmann, Fräulein stud. Helene Stöcker , Frau Stritt Dresden, Fräulein Dr. juris Anita Augspurg . Sämmtliche Rednerinnen wendeten sich scharf und energisch gegen den Beschluß des preußischen Kultusministers, das beabsichtigte städtische Mädchengymnasium zu Breslau betreffend, sowie gegen seine Haltung und die des preußischen Abgeordnetenhauses in Sachen des Frauenstudiums überhaupt. Ihre Ausführungen wurden oft von stürmischem Beifall und begeisterten Zustimmungsfundgebungen unterbrochen. Als freiwilliger Regierungskommissar führte sich Professor Dr. Hollinger ein. Er sprach von dem bekannten deutsch - professoralen Standpunkt des Einerseits und Andererseits zur Frage, erklärte ein Anhänger des Frauenstudiums zu sein, aber entschieden die Art und Weise zu mißbilligen, in welcher die Rednerinnen den Minister mitsammt dem Landtag behandelt hätten. Mit großem Fleiß und heißem Bemühen, aber erfolglos, versuchte er dem Publikum einzureden, die Frauenfrage habe im preußischen Abgeordnetenhause eine würdige und ernste Behandlung erfahren. Nachdem es zu lebhaften Auseinandersetzungen zwischen ihm und der Vorsitzenden, Frau Cauer, gekommen, gelangte die folgende Resolution zur Annahme: " Die Frauen haben ein Recht auf öffentliche Bildungsanstalten. Sie dürfen, gestützt auf die Verfassung, Zulassung zu jeder Art von wissenschaftlicher Bildung beanspruchen, nicht im Gnadenweg individueller Erlaubniß, sondern als allgemeines Recht, nicht durch das Mittel minderwerthiger oder privater Anstalten, sondern durch Eröffnung vollwerthiger, staatlicher und kommunaler Bildungsstätten. Die Frauen verlangen von den Abgeordneten des Reiches und des Landes, daß sie sich als Vertreter des ganzes Volkes und nicht nur einer Hälfte desselben betrachten, daß sie demgemäß die berechtigten Forderungen der Frauen an den Staat in gebührend nachdrücklicher, vor allem
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aber in würdiger Form zum Ausdruck bringen." Wir erachten es nicht blos als das gute Recht der Frauenrechtlerinnen, sondern als ihre Pflicht, in Sachen des Frauenstudiums energisch in Aktion zu treten. Ihr schneidiges Vorgehen gegen die Haltung des Ministers und des Abgeordnetenhauses in der vorliegenden Frage hat gewiß unseren Beifall. Aber es drängt uns auch einen Vergleich und eine Schlußfolgerung auf. Wie sehr, wie so sehr sticht nicht die im Kampfe um ein Mädchengymnasium entfaltete Energie ab von der ängstlich Gleichberechtigung der Frau betreffend. Die Energie hier, die Unschlappen Haltung, den Kampf für die Erringung der politischen thätigkeit da, läßt eins flar erkennen: die deutsche Frauenrechtelei ist ihrem Wesen nach bis jetzt noch ,, Damenbewegung" und nicht Kampfesbewegung für die Eroberung der vollen sozialen Gleichstellung des Geschlechts.
Die dritte Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine soll vom 3. bis 5. Oktober in Hamburg tagen.
Die Herausgabe einer Frauen- Tageszeitung wird für Berlin geplant. Die Redaktion soll ausschließlich von bekannten Frauenrechtlerinnen geleitet werden; Frauen nur sollen den Stab der Mitarbeiter bilden. Das Blatt soll nicht nur die Ziele der Frauenbewegung vertreten, sondern allen Ereignissen des öffentlichen, polilischen, wissenschaftlichen, fünstlerischen, tommerziellen Lebens 2c. seine Aufmerksamkeit zuwenden. Kurz, es soll nicht blos den Kampf für die frauenrechtlerischen Forderungen führen, über die Entwicklung der Frauenbewegung orientiren, sondern auch allen Anforderungen entsprechen, die man an eine moderne Tageszeitung stellt.„ La Fronde", das Pariser Frauen- Tageblatt, macht auch in Deutschland Schule.
Die Zahl der studirenden Frauen in Berlin beträgt nach den amtlichen Listen bis jetzt in diesem Semester 123. 88 der Studentinnen sind Deutsche ( darunter 65 Preußinnen), 15 Russinnen, 12 Amerikanerinnen, 4 Desterreicherinnen. Aus Ungarn , England, Schweden und Norwegen stammt je eine studirende Frau. Die meisten Damen studiren Philosophie und Philologie, 10 studiren Naturwissenschaften, 6 Nationalökonomie, 1 Chemie und Physik. 4 Deutsche widmen sich dem Studium der Medizin und 3 dem der Theologie. Die juristische Fakultät zählt 3 Hörerinnen für Staatswissenschaften und 2 für Rechtswissenschaft.
Das Mädchengymnasium zu Karlsruhe soll aus einer privaten in eine städtische Anstalt verwandelt werden. Das 1893 durch den Frauenbildungsverein" Reform" ins Leben gerufene Unternehmen zeigte in Folge des Zusammenwirkens verschiedener Umstände keine gedeihliche Entwicklung. Eine Krisis innerhalb der Reform" führte zur Gründung eines neuen Frauenbildungsvereins, der den Karlsruher Stadtrath ersuchte, die Stadtgemeinde möge das Mädchengymnasium in ihre Verwaltung übernehmen. Von Seiten der Gründer geschah nichts, um die Wiedereröffnung der Anstalt mit Beginn des Schuljahres 1897/98 zu ermöglichen. Die Vorsitzende der„ Reform", Frau Kettler- Hannover , richtete vielmehr an das Lehrerpersonal die Weisung, den Unterricht nicht zu beginnen. Der Stadtrath beschloß angesichts
dieser Lage, das Mädchengymnaſium vorerst bis Ostern 1898 in seine Verwaltung zu übernehmen und bis dahin durch eine Kommission einen Reorganisationsplan der Anstalt ausarbeiten zu lassen, welcher deren Umwandlung aus einer privaten in eine städtische Schule vorsieht. Den Vorschlägen der Kommission entsprechend hat nun der Stadtrath eine Reorganisation des Mädchengymnasiums auf folgender Grundlage beschlossen: Das Gymnasium soll an die bestehende Mädchenmittelschule angegliedert werden. Dadurch wird die rechtliche Grundlage für die Anstellung ständiger Lehrkräfte geschaffen und die Bestellung eines besonderen Direktors überflüssig; weiter kann ein Theil des Unterrichts für beide Theile gemeinsam ertheilt werden. Der Oberschulrath hat sich mit der Verbindung von Gymnasium und Mittelschule einverstanden erklärt. Mädchen, welche die dritte Klasse der höheren Mädchenschule mit Vorschule absolvirten, sollen nun in Karlsruhe die Möglichkeit haben, durchschnittlich nach zurückgelegtem zwölften Lebensjahre statt des weiteren Lehrgangs der Mädchenschule ( Klasse 4-1) einen Lehrgang mit ähnlichem Bildungsziel zu durchlaufen, wie die Knabengymnasien es verfolgen. Der Lehrgang wird der gleiche sein, der dem Reformgymnasium für Knaben zu Grunde liegt. Er legt vor Allem Werth auf die Ausbildung in den klassischen Sprachen( Latein und Griechisch), sodann aber auch auf die deutsche und französische Sprache, Geschichte, Literatur, Mathematik und Naturwissenschaften. Der Lehrgang umfaßt sechs Schuljahre. Die Mädchen, welche die Oberprima mit Erfolg besuchen, werden zur Maturitätsprüfung zugelassen.
* Ein Frauengewerbeverein. Die selbständig gewerbetreibenden Frauen Wiens es giebt deren nicht weniger als 17500-