wollen sich organisiren. Ein Komite erläßt einen Aufruf, in dem die Gründung eines Frauengewerbevereins vorgeschlagen wird, der jeder Standesangehörigen Schutz und Förderung ihrer Interessen sichern soll. Alle selbständig gewerbetreibenden Frauen, denen ihr eigenes und das Wohl ihres Standes am Herzen liegt, werden aufgefordert, sich dieser Vereinigung anzuschließen, deren Programm in folgenden Säßen enthalten ist: Erlangung des Wahlrechts in den Gemeinderath und Bezirksausschuß, in die Handels- und Gewerbekammer und des passiven Wahlrechts für die Erwerb- und Personaleinkommensteuer­Kommissionen. Betheiligung an der Leitung der gewerblichen Ge­nossenschaften durch gesetzliche Sicherstellung einer der weiblichen Mit­gliederzahl entsprechenden Anzahl von Ausschußmandaten für weibliche Mitglieder. Errichtung von Auskunftsbureaus für gewerbetreibende Frauen, Einflußnahme auf die Errichtung und Förderung gewerb­licher Vorbereitungs- und Fachschulen für Mädchen im Rahmen der Gewerbegenossenschaften und auf Unterbringung und gewerbliche Aus­bildung der weiblichen Lehrlinge. Erschließung des höheren gewerb­lichen Unterrichts durch Errichtung von Parallelkursen für Mädchen an den bestehenden Anstalten, insbesondere der Handelsakademie, der Lehranstalt für Textilindustrie und der Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren . Jede Theilnahme an politischen oder nationalen Rämpfen ist ausgeschlossen. Indem der Verein die Theilnahme am politischen Leben ausschließt, verurtheilt er sich von vornherein zur Schwäche und theilweisen Erfolglosigkeit. Die meisten der angestrebten Ziele können nur auf dem Wege des politischen Kampfes erreicht werden.

* Die Frauenliga für die internationale Abrüstung, deren Vorsitzende die Fürstin Wiszniewska in Paris ist, bereitet anläßlich der im Jahre 1900 bevorstehenden Weltausstellung einen internatio­nalen Kongreß vor.

* Die letzte Jahresversammlung der ,, Women's Local Govern­ment Society" tagte neulich in London . Der Zweck der Organi­sation ist, dafür zu wirken, daß das aktive und passive Wahlrecht der Frauen zu allen Körperschaften der kommunalen Verwaltung auf weitere Frauenkreise ausgedehnt und gesichert wird. Nach dem ge­gebenen Thätigkeitsbericht kann sie für das letzte Jahr auf schöne Fortschritte zurückblicken. Es stieg die Zahl der Mitglieder nicht un­beträchtlich, und der Einfluß der Organisation nahm zu. Die Vor­fizzende, Lady Cavendish, hob hervor, daß man trotz aller Erfolge noch am Anfange des Werkes stehe, den Frauen volle Staatsbürger­rechte zu erringen. Zu bedauern sei, daß die Frauen selbst vielfach noch lässig und lau im Kampfe für ihre Rechte seien. So gebe es noch immer Gegenden, in denen es schwer halte, weibliche Kandidaten für die Armen, Schul- und Distriktsräthe zu finden.

* Die höhere Bildung und Berufsthätigkeit der Frauen in Rußland betreffend, enthält der letzte Bericht interessante Daten, den die Gesellschaft zur gegenseitigen Unterstützung der Absolventinnen der höheren Kurse für Frauen" jedes Jahr veröffentlicht. Die früheren Bestushewschen Kurse wurden in 13 Jahren von 1346 Frauen absolvirt. Von 717 derselben liegen Angaben über die Art der Be­rufsthätigkeit vor. Die überwiegende Mehrzahl der Frauen, 495, erwählte den pädagogischen Beruf. Nur 141 davon oder 28 Prozent sind als Vorsteherinnen und Lehrerinnen an Gymnasien für Mädchen, Instituten 2c. materiell günstig gestellt. 200 von den übrigen 354 Päda­goginnen sind an städtischen Schulen, 56 als Dorfschullehrerinnen und 98 als Hauslehrerinnen thätig. Ihre Einkommensverhältnisse sind bescheidene, zum Theil sogar dürftige. Von den 222 Frauen, die sich anderen Berufen zuwendeten, sind 49 als Aerztinnen, Zahnärztinnen und Hebammen thätig, 12 sind an gelehrten Anstalten angestellt und 10 haben sich der Landwirthschaft gewidmet. Nur diese 71 studirten Frauen von den 222 in Frage kommenden leben in einigermaßen ge­sicherten materiellen Verhältnissen. Der Rest von 151 erwirbt als Uebersetzerinnen, Romptoristinnen 2c. ein Brot, das in der Mehrzahl der Fälle ebenso ungenügend als unsicher ist. In der Gesellschaft des Privateigenthums schafft die höhere Bildung und Berufsthätig­feit der Frau nicht die Grundlage für eine gesicherte, kulturwürdige Existenz, sie trägt vielmehr wesentlich dazu bei, daß das Proletariat der Kopfarbeit anschwillt. Uebrigens geben die vorstehenden Daten bei Weitem kein vollständiges Bild von dem Umfange, in dem die Russinnen sich höhere Bildung aneignen und liberale Berufe ausüben. Außer den Bestushewschen Kursen bestanden und bestehen andere höhere Kurse und Bildungsanstalten für das weibliche Geschlecht, und viele Hunderte von Russinnen studiren bekanntlich an westeuropäischen Universitäten, wo sie sehr oft die Mehrzahl der studirenden Damen ausmachen.

Erweiterung der Rechtsstellung der russischen Aerztinnen. Ein kürzlich veröffentlichtes Gesetz verleiht den Aerztinnen die Rechte,

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die mit der Thätigkeit im Staatsdienste verbunden sind. In Deutsch­ land stehen die Aerztinnen bekanntlich vor dem Gesetz noch immer auf einer Stufe mit kurirenden Schäfern ,,, weisen Frauen" und Quack­salbern.

* Um die Bildung der armen Petersburger Bevölkerung macht sich eine reiche Aristokratin hochverdient, die Gräfin Wera Derwies. Sie hat in den ärmsten Vierteln der Stadt ein großes Gebäude errichten lassen, in dem das Volk Belehrung und Zerstreuung finden soll. In einem großen Saale, der gegen 600 Personen faßt, finden volksthümliche Vorträge über wissenschaftliche Themata statt und zwar zum Zwecke leichteren Verständnisses in Verbindung mit Experimenten und Lichtbildern. Ein bis zweimal in der Woche werden in dem Saale Volkskonzerte gegeben. In einem zweiten Raume werden weibliche Handarbeiten gelehrt. Ein dritter Saal enthält eine größere Anzahl von Klavieren, auf denen die un­bemittelten Schüler und Schülerinnen des Konservatoriums und anderer Musikschulen üben können. Das große Bibliothekzimmer ent­hält eine stattliche Anzahl von Büchern, die nicht nur in den Lese­sälen benüßt, sondern gegen Sicherheit auch mit nach Hause genommen werden können. Im zweiten Stock des Hauses befinden sich Ateliers für Maler und Bildhauer. In zwei Sälen arbeiten die Schüler und Schülerinnen unter der Leitung anerkannter Meister. Alle Räume sind elektrisch beleuchtet und mit Luftheizung versehen. Der Besuch des Instituts ist vollständig kostenlos.

Ein internationaler Verein von Journalistinnen und Schriftstellerinnen ist kürzlich in Washington gegründet worden. Die Gründung wurde von dem Kongreß der amerikanischen Jour­nalistinnen angeregt, der in Washington getagt hat. Der Verein ver­folgt den Zweck, Beziehungen herzustellen zwischen den Frauen, welche für Tageszeitungen und Wochenschriften arbeiten, und denen, welche als Herausgeber oder Illustratoren thätig sind. Der Sitz des Vereins ist Washington .

Ein Geschäftshaus für Frauen soll in St. Louis in den Vereinigten Staaten errichtet werden. Die einzelnen Läden und Bureaus sollen an Geschäftsinhaberinnen und andere erwerbsthätige Frauen vermiethet werden. Man will Modistinnen, Puhmacherinnen, Schneiderinnen, Friseurinnen, Maschinenschreiberinnen, Journalist­innen, weibliche Aerzte und Rechtsanwälte veranlassen, in dem Ge­bäude sich niederzulassen, bezw. zu wohnen.

* Die Frauenfrage in Japan . Das frühere aufgelöste ja­panische Parlament, dessen Neuwahl eben stattfand, hatte sich wieder­holt mit der Frauenfrage beschäftigt, die auch jetzt wieder auf die Tagesordnung kommt. Während eine Gruppe von Abgeordneten den Antrag gestellt hatte, der Staat solle die von privater Seite vor­bereitete Frauenuniversität aus öffentlichen Mitteln errichten und den Frauen alle gelehrten Berufe öffnen, wurde von den Gegnern der Frauenbewegung beantragt, es solle für alle Mädchen im Alter bis zu 18 Jahren ein obligatorischer Religionsunterricht eingeführt werden. Dieser Antrag der Alt- Japaner wurde damit begründet, daß die Frauen Japans gegenwärtig von sehr gefährlichen Neuerungsgelüften befallen seien und dadurch allem fremdländischen Wesen das Ein­dringen nach Japan erleichterten." Der gewünschte Religionsunter­richt solle daher in dem heranwachsenden Frauengeschlecht die Ehr­furcht vor den heimischen ererbten Sitten wieder erwecken. Beide entgegengesetzten Anträge wurden von der Mehrheit des Parlaments abgelehnt. Gegen den letzteren, den der Alt- Japaner, wandte sich auch der berühmte japanische Staatsmann, Staatsminister Marquis Ito , in sehr bemerkenswerther Weise. Er sagte: Das japanische Volk hat vor allen Völkern Asiens in kultureller Hinsicht gerade des­halb einen großen Vorsprung gewonnen, weil es sich geistig aus den beengenden Banden der alten, alles hemmenden Schinto- Religion los­löste. Auf dem Grundsay, daß die religiösen Ueberzeugungen die Privatangelegenheit des Einzelnen seien und keinerlei Fortschritt, feinerlei Abweichen von dem alten Brauche verboten ist, beruht der gesammte Kulturfortschritt Japans . Der beantragte Religionsunter­richt für Mädchen würde daher einen Rückschritt bedeuten, da er die Erregung des Hasses gegen die europäische Kultur bezweckt. Der Staat hat aber nur die Pflicht, die Jugend zur Gesetzlichkeit und Sittlichkeit zu erziehen, und hat die Pflege religiöser Glaubenslehren den Einzelnen zu überlassen." Wir haben in Deutschland noch nie einen Staatsminister so vernünftig und vorurtheilslos über Frauen­bestrebungen, Religionsunterricht und Neuerungen reden hören, als es der japanische Marquis gethan. In Deuschland ist es eben nicht staatsmännische Einsicht, die über die auftauchenden Zeit- und Streitfragen urtheilt und entscheidet, vielmehr polizeigeistige Be­schränktheit.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Eißner) in Stuttgart. - Drud und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. 5.) in Stuttgart .