hält es offenbar aus waschechtem Patriotismus mit dem Grundsatz:n�Ibi Kens, iki patria-; ins Kapitalistische übersetzt:„Wo ich ausbeuten kann, da ist mein Vaterland." Als Bekennerin des internationalen Sozialismus handelte dagegen Anna Kulischoff der Ueber-zeugung gemäß: Wo ich für meine Ideale, für die Befreiung desausgebeuteten Volkes aus Noth, Knechtschaft und Unbildung kämpfenund opfern kann, da ist mein Vaterland. Was das junge Mädchensich in dieser Hinsicht gelobt, die reife Frau hat es in treuesterPflichterfüllung gehalten. Anna Kulischoff hat jederzeit ihre ganzereiche und kraftvolle Persönlichkeit für den Befreiungskampf des italienischen Proletariats eingesetzt. Sie selbst hat sich damit zur Bürgerindes Landes geschlagen, das ihr als Urkunde ihrer Bürgerschaft dieMärtyrerkrone gereicht.Unter harten inneren und äußeren Kämpfen ging Anna ihrenvielseitigen Studien nach, wirkte sie für ihre Ideale. Sie hatte sichmit Andrea Costa verheirathet, einem sehr talentvollen Manne, dersich mit der Zeit aus einem Führer der damals unklaren anarchisteln-den Bewegung zu einem der trefflichsten Führer der jetzigen ausgesprochen sozialdemokratischen Partei in Italien entwickelt hat. DieEhe war aus Ueberzeugung eine freie. Für Anna war die in denrevolutionären russischen Kreisen jener Zeit vorherrschende Auffassungmaßgebend, daß die Momente, welche der Ehe eine sittliche Kraftverleihen, nicht durch eine äußere Formel geschaffen und erhaltenwerden können; daß die thatsächlich eine geistig-sittliche Einheit darstellende Ehe keiner äußeren Formel für ihre Weihe und ihren Bestand bedarf; und daß schließlich die heutigen Ehegesetze der Gattineine so unterbürtige Stellung anweisen, daß eine freie, nach Gleichberechtigung strebende Frau sich im Interesse ihrer Würde ihnennicht unterwerfen kann. Die Verbindung der beiden hochbegabtenMenschen war keine glückliche. Sie förderte die Entwicklung derIndividualitäten nicht, sondern drohte sie zu hemmen. So ward dieEhe gelöst, der ein Töchterchen entsprossen: Andrema.Zu den Schmerzen, unter denen die Erkenntniß reiste und Entschlüsse gesaßt und durchgeführt wurden, gesellte sich die materielleNoth. Anna Kulischoffs Ehe war„frei" von dem Charakter derVersorgungsanstalt und des schmutzigen Schachergeschäfts, der dieEhe vieler bürgerlicher Damen zur Prostitution herabwürdigt. Auchals Frau und Mutter wahrte Anna ihre wirthschaftliche Selbständigkeit, stand sie auf eigenen Füßen. Und die Mittel, über welche sieverfügte, waren knapp. Trotzdem galt es damit nicht blos Unterhaltstauen verrichtet haben, hat diese zu kräftigen Hünengestalten mitaußerordentlich starker Muskulatur gemacht, was allerdings blos inFolge der ausreichenden, sehr kräftigen Beköstigung möglich war.Geistig stehen die Frauen und auch die Männer des Boerenvolkesauf ziemlich niedriger Stufe, weshalb auch die Unmoralität der Zurücksetzung des weiblichen Geschlechts nicht zum Bewußtsein dringt.Die verhältnißmäßig unabhängige und scheinbar gleichberechtigteStellung der britischen Frauen betrachten die Boerenweiber gewissermaßen als eine verwerfliche Extravaganz, ungefähr so, wie mancheprüde Deutsche eine Radlerin. Die Frau des Generals Junbertentgegnete der Gattin des britischen Vertreters Sir DrummondHay mit einer gewissen Verachtung:„Was einer Engländerin be-hagt, würde einer Boerenfrau nicht geziemend erscheinen!" NochJahrzehnte werden verstreichen und wirthschaftliche Umwälzungenum sich greifen müssen, bevor eine Aenderung in der Lebensstellungder Boerenfrau und in deren Daseinsbegriffen sich vollziehen.Die diametral entgegengesetzte Stellung der angelsächsischenFrau ist das Produkt wirthschaftlich günstiger, wie die der Boerindas wirthschaftlich ungünstiger Zustände. Die Erwerbsverhältnisseder in der Gold- und sonstigen Industrie Transvaals beschäftigtenLeute— und nur auf dem Gebiete der Industrie und des Handelsschaffen Engländer, Deutsche und andere Europäer— sind dermaßenlukrative, daß Jedermann ausreichende Einkünfte für sich und seineFamilie hat. Es ist aber nicht das Selbstbewußtsein der Frau,ihr Würdegefühl, das sie zur energischen Geltendmachung ihrerRechte, ihrer Gleichberechtigung mit dem Manne in der Familieund Gesellschaft antreibt. Ihre freie soziale Stellung resultirtvielmehr wesentlich mit aus dem Wunsche des Mannes, sich einanmuthendes Heim zu verschaffen, das er ohne das Walten derFrauenhand nicht erhalten kann. Jeder noch so egoistische Mannwird trachten, seine Gattin und Tochter der gewerblichen Arbeitzu entziehen, sei es auch nur, um seine Häuslichkeit angenehmerzu gestalten, und aus demselben Grunde wird er suchen, die Lebensgefährtin sich geistig ebenbürtig zu machen, um einen Gedanken-und Studium bestreiten, sondern auch die Opfer, welche die Bewegungerheischte, insbesondere darunter die Ausgaben, die dadurch erwuchsen,daß der Kampf und die Verfolgungen Costa und vielfach auch seinejunge Gattin von Ort zu Ort hetzten. Dazu die in den revolutionären Kreisen in hohem Maße geübte Solidarität, die stets bereitwar, mit den Mehrbedürftigen auch das Letzte zu theilen; späterhindie Ausgaben für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes. Dieeifrige Studentin und leidenschaftliche Revolutionärin lernte, durchdie Nothwendigkeit geschult, besser sparen und wirthschaften wie manchesgedrillte Nichts-als-Aschenputtel. Sie führte den bescheidenen Haushalt selbst, nähte für sich und das Kind und— verdiente noch durchliterarische Arbeiten. Da traf denn sehr oft der grauende Morgendie Ueberfleißige noch vollauf beschäftigt. Die Hausarbeit machte ihrtägliches Recht geltend, das Brotstudium durfte nicht vernachlässigtwerden— galt es doch der Mutter eine sichere Existenz zu schaffen,welche die gute Erziehung des Kindes ermöglichte— und die Bethäti-gung in der Bewegung sollte nicht leiden. In jenen Jahren istdurch anhaltende Ueberanstrengungen und viele Entbehrungen derGrund zu dem tückischen Leiden— der Knochentuberkulose— gelegtworden, das an unserer Genossin Lebenskraft zehrt.Anna Kulischoff ließ sich später als Aerztin in Mailand nieder.Die Begabung, Gewissenhaftigkeit und Aufopferung, die sie in ihremBeruf bewies, verschafften ihr bald eine sehr ausgedehnte Praxis inallen Kreisen der Bevölkerung. Als Aerztin erfreute sie sich sowohlbei den Armen und Aermsten, und gerade bei ihnen, des höchstenAnsehens und der größten Beliebtheit, wie auch bei der Bourgeoisieund Aristokratie.Frau Dr. Kulischoff hatte sich zum zweiten Male verheirathet,ihren Grundsätzen entsprechend abermals in freier Ehe, und zwarmit Filippo Turati, unstreitig dem bedeutendsten politischen Führerder italienischen Sozialistenpartei. Es ist kennzeichnend für die hoheAchtung, die unsere Genossin errungen hatte, aber auch für die schöneVorurtheilslosigkeit der bürgerlichen Welt Mailands, daß auch instreng konservativen Kreisen die Ehe der Frau Kulischoff als einevollgiltige und moralisch unantastbare geschätzt wurde. Anna— derjede Unklarheit und Unwahrheit in den Tod zuwider ist— pflegtein jenen Kreisen Grüße„an ihren Mann" mit den Worten zurückzuweisen:„Sie wissen doch, daß nach Ihrem Gesetz Herr Turati nichtmein Mann ist." Darauf wurde ihr stets dem Sinne nach das Eineerwidert:„Aber Ihrem Glauben nach ist er. Ihr Mann, und wiraustausch zu ermöglichen. Dadurch ist die erste Anspornung zurgeistigen Fortbildung der Frau gegeben, und diese muß noth-gedrungen zu allen übrigen Folgerungen führen, sobald das Weiblogisch sortdenkt und vor Schlüssen nicht zurückschreckt. Die angedeuteten Umstände sind allenthalben in überseeischen Ländern vonEinfluß auf die Stellung der Frauen gewesen, und ebenso auchin Südafrika unter der wohlhabenden angelsächsischen Bevölkerung.Die britische Arbeiterfrau verrichtet ihre Haushaltungsarbeitenmit Hilfe einer farbigen Dienerin, welcher alle gröberen Dienstleistungen zufallen, und interessirt sich in sehr reger Weise für allesozialen und politischen Angelegenheiten, welche die Allgemeinheitbeschäftigen. Sie betrachtet diese Angelegenheiten aber durch dierosagefärbte Brille der wohlhabenderen Klasse, ungefähr in ähnlicher Weise, wie die modernen, bürgerlichen Frauenrechtlerinnendies thun. Politische Rechte sind der Frau in Transvaal vorenthalten, denn die Macht liegt in den Händen der intolerantenBoeren, welche die Erwerbung des Bürgerrechts Ausländern ungemeinerschweren. Sozial dagegen kann die Frau sich sehr frei nachGutdünken bewegen und ist nicht der herben Kritik einer vorurtheils-vollen Menge ausgesetzt. Die persönliche Freiheit der angelsächsischenFrauen bethätigt sich leider weniger in Wissensdrang und Verbreitung von Aufklärung unter ihren Mitschwestern, als in derEntfaltung von großartigem Luxus und kostspieligen Lebensgewohnheiten. Die Damenklubs dienen nicht ernsten Diskussionen, sondernvielfach lediglich als Rauch- und Spielzimmer, in denen es zum gutenTon gehört, Liqueure und andere alkoholische Getränke zu vertilgen.Der Aufwand, den die Frauen jetzt machen, wird selbst in diesemLande schon allmälig zum Ehehinderniß und giebt zu recht unliebsamen Erscheinungen Anlaß. Der Einfluß der Britin auf die Boerenfrau würde ein größerer und heilvollerer sein, richtete erstere ihreagitatorische Thätigkeit auf ein ernstes, dem Boerencharakter anheimelndes Feld, fröhnte sie nicht so oft der Frivolität.____ O. Kalt-Reuleaux.