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haft ihr Abiturium erfolgreich bestanden hat. Es ist der Gedanke, daß auch Turati im Kerker schmachtet, verwundet während seines Versuchs, die Masse zu beruhigen und sehr krank; es ist die Erinnerung an all die Freunde, die ebenfalls den Schergen verfallen sind; es ist der Schmerz um die getroffene Bewegung und das leidende italienische Volk. Welche Seelengröße, welche Charakterfestigkeit gehört nicht dazu, unter diesen Umständen die Verurtheilung mit so ruhiger Fassung und Würde entgegenzunehmen, wie Frau Kulischoff sie entgegennahm! Als sich am Schlusse der Verhandlungen die im Zuhörerraum anwesende Andreïna schluchzend der Mutter an die Brust warf, ihr Antlitz mit Thränen und Küssen bedeckend, war unsere Genossin stark genug, der Tochter Trost und Muth zuzusprechen.
Frau Kulischoffs Verurtheilung erweist sich sinnenfällig als ein Att rohester Klassenrache. Es lag auch nicht der Schatten eines Beweises dafür vor, daß die edle Frau das Volk zu gewaltthätigem Widerstand gegen die blutigen Provokationen des Militärs aufgereizt hatte. Mehr noch: ein angesehener Professor der Medizin, der unsere Genossin behandelte, sagte aus, daß diese in Folge ihrer Krankheit gänzlich außer Stande gewesen sei, an den Tagen des Aufstandes und schon längere Zeit vorher auszugehen oder irgend welche Agitation zu betreiben. Die erhobene Anklage klang wie ein Spott auf die Thätigkeit, welche Frau Kulischoff seit langen Jahren in der sozia listischen Bewegung entfaltet hat. Wir haben gezeigt, in welch hervorragendem Maße es gerade ihr zu danken ist, daß die italienische Bewegung aus den Bahnen der Anarchisterei, der Putschmacherei und des Verschwörerthums in die des Kampfes auf gesetzlichem Boden und mit gesetzlichen Mitteln eingelenkt ist. Aber die Klassenjustiz wollte ihr Opfer haben, sie wollte die hochsinnige, opferfreudige Sozialistin, die geist und charakterstarke Rämpferin treffen, und sie hat sie getroffen.
In manchen Blättern, auch in befreundeten, hieß es, daß die Mailänder Standrichter schmachvoller Weise ein frankes, schwaches Weib verurtheilt hätten. Ein frankes Weib ja, ein schwaches Weib nun und nimmermehr. Frau Kulischoff gehört zum Geschlecht der edlen russischen Revolutionärinnen, die vor den Tribunalen nichts begehrten, als das gleiche Loos, das ihren männlichen Kameraden fiel. Als klarblickende, kühne Kämpferin hat sie gelebt und gewirkt, als Kämpferin ist sie mitten in der Schlacht von einer Kugel ereilt worden. Was ihr gebührt, ist nicht rührseliges Mitleid mit dem Weibe, sondern Hochachtung und Sympathie für die überzeugungstreue, opferfreudige und starke Rämpferin. Rampfesgefahr hat sie muthvoll gewollt und bestanden, Kampfesehre sei ihr Theil.
Notizentheil.
( Von Tily Braun und Klara Betkin.)
Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels und Verkehrswesens.
Die Zahl der preußischen Fabrikarbeiterinnen über 16 Jahre betrug nach dem Jahresbericht der preußischen Fabrikinspektoren für 1897: 337504, um 19019 mehr wie im Vorjahr. Es waren davon beschäftigt: in der Textilindustrie rund 142000; in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie 52064; in der Gruppe Bekleidung und Reinigung 37000; in der Papier - und Lederindustrie 24000; in der Industrie der Steine und Erden 23000; in der Metallverarbeitung 17500. Unter den verschiedenen Berufsgruppen beschäftigten Bergbau, Hütten- und Salinenwesen die geringste Zahl von Arbeiterinnen, nämlich etwa 5000.
Die Zahl der fächsischen Fabrikarbeiterinnen über 16 Jahre stellte sich für 1897 nach dem letzten Bericht der Fabrikinspektoren auf 142792 von 481 074 Arbeitskräften überhaupt, welche der Gewerbeaufsicht unterstehen.
Soziale Gesetzgebung.
Gesetzlicher Arbeiterinnenschutz in der Schweiz . Der Kanton Neuenburg hat ein Gesetz zum Schuße der Lehrlinge und ein solches zum Schuße der Arbeiterinnen; ersteres bestimmt eine zehn-, das andere eine elfstündige tägliche Arbeitszeit. Die Durchführung beider Gesetze sollen lokale Aufsichtskommissionen, die aus Vertretern der Arbeiter und Unternehmer gebildet sind, und auch die Gemeindebehörden überwachen, außerdem ist für das Lehrlingswesen ein kantonaler Inspektor vorhanden. Es scheint aber, daß die Durchführung beider Gesetze zu wünschen übrig läßt, da der Inspektor in jüngster Zeit einen Appell in Form eines offenen Briefes an die„ Damen des Kantons" erlassen hat, in welchem er sie bittet, gegen die Ueberanstrengung der Lehrtöchter und der jungen
Arbeiterinnen in den Läden und Ateliers der Mode- und Konfektionsgeschäfte zu kämpfen. Es ist notorisch, sagt er, daß viele junge Töchter über ihre Kräfte hinaus in Anspruch genommen werden, und daß viele Geschäfte die Aufsichtsbehörden zu täuschen suchen und die von ihren Familien schlecht geschützten armen Kinder zwingen, über alle Gebühr lange im Laden oder im Atelier zu bleiben. Die Damen mögen darum, bittet der Inspektor des Lehrlingswesens, ihre Kommissionen in den Geschäften nicht in später Stunde besorgen, ihre Aufträge fürder so zeitig geben, daß keine Ueberstürzung mehr eintritt, und Gesetzesübertretungen der Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, die ihnen bekannt werden, zur Anzeige bringen. Wenn wir dann einmal", schließt der Appell, zur Ehre des Kantons sagen können, daß die Gesetze zum Schutze der Lehrtöchter und der Arbeiterinnen treulich gehalten werden, so werden wir uns dessen erinnern, daß den Damen des Kantons der schönste Theil dieses Fortschrittes zu verdanken ist."
Es ist recht schön von dem Inspektor, daß er auch diesen Weg betreten hat, um die Durchführung beider Gesetze zu fördern, aber das Vorgehen erscheint doch naiv, wenn man erwägt, daß die Damen die Frauen und Töchter von Fabrikanten, Fabriktheilhabern, von Kaufleuten 2c. sind, die das Fabrikgeset mißachten und die kaufmännischen Angestellten täglich 14 bis 16 Stunden ausbeuten. Die besten Mittel zur wirklichen Durchführung des gesetzlichen Arbeiterschutzes sind eine ausgedehnte und lebhafte Arbeiterbewegung, zahlreiche und starke Organisationen, namentlich auch der Arbeiterinnen Arbeiterkommissionen zur Ueberwachung der Gesetze und genügende sowie tüchtige staatliche Aufsichtsorgane. Dadurch können dann die gefühlvollen Damen wie Herren der Bourgeoisie zur Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften erzogen werden.
D. Z.
Das Gesetz, betreffend die Fabrikation von PhosphorZündhölzchen, welches der Schweizer Nationalrath fürzlich erledigt hat, stellt Gesundheit und Leben vieler Arbeiterinnen und Arbeiter sicher. Es bestimmt, daß die Fabrikation von Zündhölzchen jeder Art ohne Rücksicht auf die Arbeiterzahl und die Ausdehnung des Betriebs unter das Fabrikgesetz fällt. Ferner bedarf es zur Zündhölzchenfabrikation der Bewilligung der Kantonsregierung; diese Bewilligung darf aber erst nach der eingeholten Zustimmung des eidgenössischen Industriedepartements in Bern , resp. des Bundesraths ertheilt werden. Letzterer hat betreffs der Zündhölzchenfabrikation die Bestimmungen aufzustellen, welche mit Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeitskräfte und der Konsumenten erforderlich sind. Verboten ist endlich die Fabrikation, Einfuhr, Ausfuhr und der Verkauf von Zündhölzchen mit gelbem Phosphor. Die letztere Bestimmung ist jedenfalls die wichtigste des ganzen Gesetzes. Veranlaßt wurde dasselbe durch die geradezu entsetzlichen Verheerungen, welche die Phosphor- Nekrose unter den Arbeitern und Arbeiterinnen der Zündhölzchenindustrie anrichtete. Den vorliegenden schweren Mißständen war bisher um so schwerer beizukommen, als in der Schweiz die Heimarbeit für die Zündhölzchenfabrikation eine große Rolle spielt.
Die Gewerbeordnungsnovelle, betreffend bestimmte Reformen in der Konfektions- und Wäschebranche, welche die Regierung am 18. Mai 1897 im Reichstag eingebracht hat, soll in der nächsten Session wieder vorgelegt werden. Die Novelle verlangte bekanntlich Vollmachten für den Bundesrath, die Einführung von Lohnbüchern oder Arbeitszetteln anzuordnen, das Verbot zu erlassen, Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern, welche in der Fabrik oder Werkstatt über sechs Stunden beschäftigt sind, Arbeit mit nach Hause zu geben und die Krankenversicherungspflicht auch für Hausarbeiter einzuführen. Wie die„ Nationalliberale Korrespondenz" wissen will, soll die Vorlage mit Rücksicht auf die Verhältnisse in der Konfektionsbranche ergänzt werden. Eine Ergänzung der geplanten dürftigen Schutzbestimmungen ist allerdings dringend geboten, denn die Reförmchen, welche die Regierung beantragte, blieben sehr weit hinter den durchaus berechtigten und sehr bescheidenen Forderungen der Konfektionsarbeiterschaft zurück. Aber freilich: der Weg von einer arbeiterfreundlich angehauchten Absicht der Regierung bis zu einer wirklich durchgreifenden arbeiterfreundlichen Maßregel ist weit und der Einfluß des profitgierigen Unternehmerthums ist groß!
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
Die Betheiligung der österreichischen Arbeiterinnen an den Gewerbegerichtswahlen widerlegt glänzend, was seitens der Gegner wider die Zuerkennung des Wahlrechts zu den betreffenden Körperschaften an die Frauen vorgebracht worden ist. In Desterreich besitzen die Arbeiterinnen, dafern sie zwanzig Jahre alt und mindestens ein Jahr im Lande beschäftigt sind, das aktive Wahlrecht zu den Gewerbegerichten unter den gleichen Bedingungen wie die Arbeiter.