ist es meines Erachtens nicht weiter verwunderlich, wenn es an Ausständen nicht fehlte, und die Klagen über Kontraktbruch der Ar­beiter sich im Berichtsjahre gehäuft und die Unfälle um 21 Prozent zugenommen haben".

Im Gegensatz zu dieser augenscheinlich höchst originellen Vor­stellung von dem schier unbeschränkten Rechte des Unternehmers auf Ausbeutung und den Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit berührt die Art und Weise des Gewerbeinspektors von M.- Gladbach auf das Angenehmste. Während, von Ausnahmen abgesehen( Arnsberg  , Koblenz   2c.), fast in allen Berichten die Angabe wiederkehrt, daß der Verkehr der Beamten mit den Arbeitern ein minimaler gewesen sei und die Sprechstunden selten von den Letzteren besucht wurden, heißt es im Bericht von M.- Gladbach: Der Verkehr mit den Arbeit­nehmern gestaltet sich immer lebhafter. Während vor zwei Jahren feine Arbeitnehmer mich in den Diensträumen aufsuchten, geschah dies im vorigen Jahre 19 Mal und in diesem Jahre 23 Mal. Der größte Theil der vorgebrachten Beschwerden war berechtigt. Den Arbeitern habe ich ferner mein Entgegenkommen dadurch zu beweisen versucht, daß ich an ihren Vereinsversammlungen theilnahm und mich dort bemühte, gesprächsweise und durch Vorträge das Verständniß für die zum Wohle der Arbeiter erlassene Gesetzgebung zu fördern.... Bei solchen Gelegenheiten brachten mir die Arbeiter ihr Vertrauen entgegen und theilten mir vielfach Mängel in Bezug auf Unfall­verhütung, Uebertretungen der Arbeiterschutzbestimmungen und Aus­stellungen in sittlicher Beziehung aus einzelnen Fabriken mit." Auch sonst wird aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf   das gute Ein­vernehmen zwischen Beamten und Arbeitern und daneben das gute Verhältniß der Beamten zu den Unternehmern gemeldet. Das spricht dafür, daß eine gerechte und umsichtige Amtsführung von beiden Seiten gewürdigt wird. In den Fällen dagegen, in denen ausschließ­lich von dem guten Einvernehmen mit den Arbeitgebern und der ablehnenden Haltung der Arbeiter die Rede ist, steht zu befürchten, daß allmälig das objektive Sehen der Aufsichtsbeamten und dadurch der Werth der ganzen Fabritinspektion beeinträchtigt wird.

Zur Frage der weiblichen Gewerbeaufsicht finden sich nur spärliche Aeußerungen. Nur einmal wird die Nothwendigkeit einer solchen direkt ausgesprochen, indem es im Bericht für Sigmaringen  heißt, daß die weibliche Aufsicht noch nicht den wünschenswerthen Umfang angenommen hat". Vielleicht ist es süddeutscher Einfluß, der sich bei diesem Urtheil wohlthuend geltend macht. Daß es indeß nicht überflüssig wäre, auch anderwärts weibliche Aufsicht zu ver­langen, geht schon aus den ständig wiederkehrenden Klagen hervor über den Mangel getrennter Aufenthalts-, Wasch- und Abortanlagen für Arbeiterinnen und Arbeiter. Gar nicht davon zu reden, daß es eine Menge Anstände und Schädigungen giebt, die Arbeiterinnen aus begreiflicher Scheu dem männlichen Aufsichtsbeamten überhaupt nicht mittheilen. Wie viel hier zu bessern wäre, erhellt aus der Klage des Koblenzer   Berichtes, daß die Gewerbeaufsichtsbeamten bei ihren Anordnungen und im Bestreben zur Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstands von den Unternehmern in vielen Fällen nicht unterstützt wurden". Und ferner aus der Schlußbemerkung des betreffenden Theiles des Erfurter   Berichtes:" Der bessere Schutz vor Ausbeutung und Verführung der Arbeiterinnen durch Arbeitgeber oder ihre Beauftragten verdient wieder­holt angeregt zu werden, denn auch in diesem Jahre sind wiederum Fälle zu verzeichnen, in denen sich Arbeitgeber gröblich gegen ihre Arbeiterinnen vergangen haben." Henriette Fürth  .

Notigentheil.

( Von Lily Braun   und Klara Betkin.)

Gewerkschaftliche Arbeiterinnen- Organisation.

Die gewerkschaftliche Organisation der deutschen   Arbeite­rinnen. In den 56 Berufsgruppen, für deren Arbeiterschaft zentra lisirte Gewerkschaften existiren, sind 1101701 Arbeiterinnen be­schäftigt und nicht blos 101701, wie uns der Druckfehlerteufel in unserem Leitartikel sagen läßt. Während 1897 die Zahl der in Ver­bänden organisirten Arbeiterinnen um 621 abgenommen hat, haben sich 82261 Arbeiter den Zentralisationen angeschlossen und nicht blos 64304. Bei der Berechnung der einschlägigen Zahlen für 1896 und 1897 auf Grund der vorliegenden Tabellen war übersehen worden, daß der Verband der Tabakarbeiter männliche und weibliche Mit­glieder nicht getrennt führt. Das Verhältniß betreffs Zunahme der männlichen und Abnahme der weiblichen Mitglieder der Zentrali­sationen stellt sich für letztere also noch ungünstiger. Im Jahre 1898 ist, wie wir seinerzeit berichteten, ein weiterer Gewerkschaftsverband entstanden, der Arbeiterinnen und Arbeiter zusammenfaßt: Der Ver­

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band der Buchdruckereihilfsarbeiter und Arbeiterinnen. Derselbe umschließt gegenwärtig ungefähr 600 bis 700 Arbeiterinnen. In Berlin   zählt er 400 weibliche Mitglieder, in Stuttgart   150, in Hamburg   60. Wie stark die weibliche Mitgliedschaft in Breslau  , Leipzig   und Mainz   ist, wissen wir nicht. Den Hirsch- Duncker­schen Gewerkvereinen gehören bis jetzt so gut wie keine weiblichen Mitglieder an. Der vor etlichen Monaten in Berlin   von bürgerlichen Frauenrechtlerinnen aus der Taufe gehobene Schneiderinnenverein Hirsch- Dunckerscher Observanz, war ein gar schwächlicher Sprosse: er zählte bei der Gründung ganze 11 Mitglieder. Von sachkundiger Seite wird uns mitgetheilt, daß die Lagerhalter 60 Kolleginnen zählen. Ferner, daß auch weibliche Arbeitskräfte in den anderen 5 Gewerben beschäftigt sind, für welche in der Tabelle der General­tommission teine Arbeiterinnen aufgeführt werden. Schon in den Nummern 30, 31 und 34 des Korrespondenzblattes" für 1897 ist darauf hingewiesen worden, daß für die betreffenden Berufe die Zahl der beschäftigten Arbeiterinnen in Folge der mangelhaften Berufs­zählung nicht angegeben werden konnte.

Der vierte Verbandstag der Fabrik-, Land-, Hilfsarbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands   fand in Kassel   vom 14. bis 19. August statt. Unter den 41 Delegirten befanden sich 2 Frauen, die Genossinnen Tröger- Offenbach und Ziez- Hamburg. Genossin Kähler- Wandsbeck wohnte dem Verbandstag als Vertreterin der Generalfommission bei. Aus dem Bericht des Vorstandes geht her­vor, daß die Mitgliederzahl des Verbandes und seine Leistungsfähig­keit bedeutend gestiegen ist. Im Jahre 1897 hat sich die Zahl der Verbandsorte von 87 auf 156 vermehrt, die Zahl der Mitglieder hat sich reichlich verdoppelt, 1897 betrug sie 14603 gegen 7210 im Jahre 1896. Die Ausgaben für Kämpfe zur Erringung besserer Arbeits­und Existenzbedingungen sind entsprechend gewachsen, sie stellten sich für das Berichtsjahr auf 38065,74 Mt. Von den 19 Kämpfen, an denen der Verband betheiligt war, endeten 8 mit vollem und 4 mit theilweisem Erfolg, 7 dagegen mit einer Niederlage. Den Gesammt­ausgaben im Betrag von 140154,07 m. stehen 162071,23 Mt. gegenüber, so daß 21917,16 Mt. Kassenbestand verbleibt. Die Zahl­stelle Linden wurde wegen angeblichen Verstoßes gegen das Vereins­gesetz vorläufig polizeilich geschlossen. Ein endgiltiges gerichtliches Urtheil liegt noch nicht vor. Auch in einer Reihe ländlicher Orte haben sich die Arbeiter dem Verband angeschlossen. Bekanntlich be­steht für alle Arbeiter, die Arbeiten verrichten, welche als zum land­wirthschaftlichen Betrieb gehörend zu betrachten sind, das Koalitions­verbot.§3 des Gesetzes vom 24. April 1854( Gesetzessammlung Seite 214) bedroht die Dienstleute, Landarbeiter und das Gesinde mit Gefängnißstraße bis zu einem Jahre, wenn sie die Arbeitgeber oder Obrigkeit zu gewissen Handlungen und Zugeständnissen dadurch zu bestimmen suchen, daß sie die Einstellung der Arbeit oder die Ver­hinderung derselben bei einzelnen oder mehreren Arbeitgebern ver­abreden, oder zu einer solchen Verabredung auffordern".

Die Landarbeiter haben von diesem Ausnahmegesetz meist keine Ahnung. Es kostete Mühe, den neuen ländlichen Verbandsmitgliedern flar zu machen, daß besonders auf dem Gebiet der Koalition der Grundsatz gilt: Wenn Zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Die Organisation hat ihnen den Weg gezeigt, wie sie auf völlig ge­setzliche Weise ihre Wochenlöhne etwas erhöhen können, die 9, 10 und 12 Mt. betragen, von denen oft noch 1 Mk. pro Woche als Pachtgeld abgeht. Die Debatte über den Vorstandsbericht kreisten um die Forderung: mehr Agitation. Beschlossen wird, zur Kräftigung des Verbandes eine größere Agitationstour durch Sachsen   im nächsten Winter zu unternehmen. Beschlossen wurde ferner: Der Vorsitzende und Kassier des Verbandes haben gegen eine festzusetzende Entschädi­gung ihre volle Arbeitskraft dem Verband zu widmen. Es ist ein Bureau des Verbandes einzurichten und dem Vorsitzenden für die Ueberlassung eines Zimmers, sowie für Beleuchtung, Reinigung und Heizung desselben eine jährliche Entschädigung von 200 Mt. zu ge­währen. Im lebhaften Für und Wider wurde über den Ausbau des Unterstützungswesens und die Arbeitslosenunterstüßung" berathen. G. Heinrich( Dessau  ), H. Martens( Harburg  ) referirten zu der Frage. Der Verbandstag beschloß, von der Arbeitslosenunterstützung ab­zusehen, da dieselbe ohne einen guten Arbeitsnachweis und einen flaren Ueberblick über den Arbeitsmarkt nicht durchgeführt werden könne, und der Verband zur Zeit weder das eine noch das andere besitze. Der Verbandstag beschloß dagegen eine Reihe von Erhebungen übert Lohn- und Arbeitsverhältnisse und hauptsächlich über die Arbeits­losigkeit der betreffenden Arbeiter. Das Material soll auf dem nächsten Verbandstag in geeigneter Weise verwendet werden. Zum Zwecke eines weiteren Ausbaues des Unterstützungswesens soll bei Sterbe­fällen den Hinterbliebenen eine Beihilfe von 25 Mt. nach zwei­jähriger Mitgliedschaft und von 50 Mt. bei fünfjähriger Mitglied schaft gewährt werden, doch tritt diese Bestimmung erst am 1. April

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