Nr. 19.
Dir Gleichheit.
8. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer
10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2970)
vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Mittwoch, den 14. September
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Inhalts- Verzeichniß.
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1898.
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Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Organisirung der Arbeiterinnen. II. -Zur Dienstbotenfrage. Eine Erwiderung. Von Wally Zepler. Aus der holländischen Frauenbewegung. Von X. Y. Z. Das freie Wort. Von John Henry Mackay. ( Gedicht.) Feuilleton: Die Geschichte vom unartigen kleinen Jungen. Skizze von Mark Twain . Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Weibliche Fabrifinspektoren. Frauenarbeit auf dem ArbeitsGebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. bedingungen der Arbeiterinnen.- Frauenstimmrecht.- Frauenbewegung.
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Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Drganisirung der Arbeiterinnen.
II.
Eine gemeinsame Wurzel ist es, aus welcher die verschiedenen Verhältnisse und Eigenschaften emporsprossen, welche die gewerkschaftliche Organisirung der Arbeiterinnen besonders schwierig ge= stalten. Es ist das Weibthum der Arbeiterin. Die Rolle, welche die Familie bisher für den Lebensunterhalt und Lebensinhalt der Frau gespielt hat und theilweise noch spielt; die unterbürtige Stellung, welche die Frau in der Familie und im sozialen Leben lange Zeitläufte hindurch einnahm und zum Theil noch einnimmt: wirken zusammen, um auf Seiten der Arbeiterinnen bestimmte Eigenschaften und Verhältnisse zu entwickeln, welche als geradezu organisationsfeindlich bezeichnet werden müssen. ,, Weil die Arbeiterin eine Frau ist", so lautet wieder und wieder die Antwort auf die Frage nach den Ursachen, welche sich dem ge= werkschaftlichen Zusammenschluß der erwerbsthätigen Proletarierinnen entgegenstemmen. Manche der organisationsfeindlichen Eigenschaften und Umstände, welche in dem Frausein der Arbeiterin ihre lezte Wurzel haben, wirken in der Richtung, die Arbeiterin organi= sationsunlustig zu halten; anderen dagegen ist die Tendenz eigen, die Arbeiterin direkt organisationsunfähig zu machen.
Die Rücksicht auf die Familie ist einer der stärksten Anreize, welche den Arbeiter der Organisation zuführen. Auf Seiten der Arbeiterin ist dagegen der Hinblick auf die Familie gerade ein ganz wesentlicher Grund für das Fernbleiben von der Organisation.
Der Arbeiter ist von der Ueberzeugung durchdrungen, daß es seine Pflicht als Mann ist, für den Unterhalt der Familie aufzukommen oder wenigstens den größten Theil von deren Existenzkosten zu decken. Er empfindet die Nothwendigkeit, durch Arbeit für den Markt der Familie zu geben. In der Arbeiterin lebt dagegen vielfach noch die Auffassung, daß sie als Frau in der Familie ihren Unterhalt oder mindestens einen Theil desselben finden müsse. Sie rechnet mit der Hoffnung, für Leistungen im Hause von der Familie zu empfangen.
Gewiß, daß heutigen Tags in Hunderttausenden von Fällen diese Auffassung sowohl des Arbeiters wie der Arbeiterin nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. Die wirthschaftliche Entwicklung sezt mit jedem Tage mehr Männer außer Stand, die Eristenz der Familie sichern zu können; sie zwingt mit jedem Tage mehr Frauen, ihren Unterhalt zu erwerben, dafern nicht auch wenigstens zeitweilig den der Familie. Allein die Auffassung der breiten Massen humpelt nur langsam hinter den veränderten wirthschaftlichen Verhältnissen drein. Troß der Predigt der Thatsachen betrachten deshalb zahlreiche Arbeiterinnen, wenn nicht die meisten,
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Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara gettin( Eißner), Stuttgart , NothebühlStraße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
die Berufsarbeit als einen Nothbehelf, zu dem sie nur vorübergehend oder nebenbei ihre Zuflucht nehmen. Die ledige Arbeiterin lebt in der Hoffnung, durch die Verheirathung in so günstige Verhältnisse zu kommen, daß sie der industriellen Frohn für einen Unternehmer enthoben wird. Der verheiratheten Proletarierin liegen aber daheim so zahlreiche Aufgaben ob, daß sie in der Regel nur durch das Muß der materiellen Noth dazu getrieben wird, zeitweilig oder nebenbei dem Erwerb nachzugehen und es im Interesse von Mann und Kindern freudig begrüßt, wenn der Verdienst des Mannes es ermöglicht, daß sie sich ganz den häuslichen Pflichten zu widmen vermag.
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Die proletarischen Mädchen und Frauen werden eben nicht wie zahlreiche bürgerliche Damen durch den in der Familie mangelnden Pflichtkreis und Lebensinhalt zur Berufsarbeit gedrängt, sondern im Allgemeinen lediglich durch das mangelnde Brot. Ihr Heim ist nicht ein bürgerliches Puppenheim, in welchem die Frau als Dekorationsstück, als Lurusmöbel ihren Plaz hat, in welchem sie lebt und webt, wie die Lilien auf dem Felde wachsen, ohne zu spinnen und zu arbeiten". Das proletarische Heim weist vielmehr troß seiner Enge oder richtiger gerade wegen seiner Dürftigkeit der Frau ein ausgedehntes, meist ein übermäßig ausgedehntes Thätigkeitsfeld zu. Ihr häusliches Wirken findet deshalb auch von Seiten des Mannes eine ganz andere achtungsvolle Bewerthung, als die Respräsentationsrolle der bürgerlichen Dame. Nicht der Efel vor dem geschäftigen Müßiggange ist es mithin, welcher die proletarische Frau zur Berufsarbeit treibt. Ebenso wenig der Drang, durch ernstes berufliches Wirken die Gleichwerthigkeit mit dem Manne nachzuweisen, eine geachtete Stellung in der Familie und der Gesellschaft zu erringen.
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Die
Andererseits erscheint der proletarischen Frau nicht wie der bürgerlichen Dame die Berufsarbeit in der Gloriole der Befreierin von der wirthschaftlichen Abhängigkeit vom Manne, vielmehr be= lastet mit dem Fluche der kapitalistischen Ausbeutung, als schlimmere Form der wirthschaftlichen Knechtung, nämlich der Knechtung durch einen fremden Ausbeuter. Die unter der kapitalistischen Fuchtel frohndende Arbeiterin spürt herzlich wenig von der Ehre, der Würde der freien und befreienden Berufsarbeit", von der Freude am Schaffen. In der Regel ist eben ihre Berufsthätigkeit weder eine freigewollte, noch der Art nach eine freigewählte, vielmehr nach der einen und anderen Richtung hin eine aufgezwungene. Proletarierin wird nicht Berufsarbeiterin, weil sie in der Ausübung des Berufs eine innere Befriedigung sucht, sondern weil sie Brot erwerben muß. Sie kann nicht den Beruf ergreifen, auf den Veranlagung und Neigung hinweisen, sie muß auf dem Gebiete thätig sein, wo sie die meiste Aussicht hat, ohne besondere Vorbildung und bei möglichst kurzer Lernzeit ihren Unterhalt zu finden. Nicht die Würde und den Segen der Arbeit lernt sie bei ihrer Berufsthätigkeit kennen, fie erfährt die durch ihr Weibthum verstärkte Sklaverei der fapitalistisch ausgebeuteten Lohnarbeit. Nicht die Freude am Wirken und Schaffen empfindet sie, sie muß die Qual kosten der sich im ewigen Einerlei wiederholenden mechanischen Handgriffe, welche den besten Theil der Lebenskraft aufzehren, Nerven und Muskeln überspannen und erschöpfen; die Qual des Schuftens, des in nervöser Ueberreizung Draufloshaftens, gespornt von tapitalistischen Antreibern oder von der bitteren Noth.
Da ist es denn erklärlich, daß die Masse der Arbeiterinnen die Berufsarbeit nicht als eine dauernde Lebensaufgabe bewerthet,