Nr. 22.

Die Gleichheit.

769

8. Jahrgang.

Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2970) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch, den 26. Oktober 1898.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Organisirung der Arbeiterinnen. III. Ein Frauenkongreß in Hamburg  . Stimmungsbilder und Ein­drücke von Brutus. Aus der Bewegung. Die hausindustriellen Arbeiterinnen in der Berliner Blusen-, Unterrock-, Schürzen- und Trikotkonfektion. Von Gertrud Dyhrenfurth  . Besprochen von Henr. Fürth  . Resolutionen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands   in Stuttgart  . Mene Tekel. Von Ernst Klaar.  ( Gedicht.) Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Weibliche Fabrikinspektoren. Frauenbewegung.

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Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Drganisirung der Arbeiterinnen.

III.

Die sehr langsamen und kleinen Fortschritte der gewerk­schaftlichen Organisirung der Arbeiterinnen werden schon erklärlich durch die früher erörterten Umstände, welche eine gewisse Organi­sationsunluft bedingen. Aber noch bei Weitem hemmender als sie wirken dem Anschluß der erwerbsthätigen Proletarierinnen an die Gewerkschaften Verhältnisse entgegen, welchen die Tendenz innewohnt, die Arbeiterinnen geradezu organisationsunfähig zu machen. Es sind dies im Wesentlichen die übermäßige Belastung mit Arbeit und die niedrige Entlohnung. Auch diese Hindernisse wurzeln in legter Linie in dem Weibthum der Arbeiterinnen, das unter der Herrschaft der kapitalistischen   Ordnung zur Vorbedingung wird für den höchstmöglichen Grad der Ausbeutung und damit der Unfreiheit und des Gebundenseins der Persönlichkeit. Un­günstige soziale Verhältnisse, die auf der Arbeiterin als Frau lasten und ungünstige soziale Verhältnisse, welche sie als Prole­tarierin niederdrücken, wirken zusammen, um für die Massen der industriell thätigen Frauen und Mädchen äußerst wichtige Voraus­segungen der gewerkschaftlichen Organisationsfähigkeit zu zerstören.

Von ausschlaggebendem Einfluß ist da zunächst das llebermaß und die Vielseitigkeit der Pflichtleistungen, welche der Proletarierin obliegen, die dem Erwerb nachzugehen gezwungen ist.

Der Arbeiter dafern er nicht in der aufs Höchste ver­sklavenden Hausindustrie frohndet- hat im Allgemeinen nach Feierabend etliche Stunden frei, in denen er ruhen fann, die er seiner Bildung, dem Vereins- und Versammlungsleben zu widmen vermag. Er hat nur ein wirthschaftliches Thätigkeitsfeld: seinen Beruf. Den Theil seiner Zeit und Kraft, welcher der fapitalistischen Ausbeu­tung entzogen bleibt, kann er als Staatsbürger öffentlichen Angelegen heiten, kann er als kämpfender Proletarier dem Ringen gegen den Kapitalismus widmen. Die bürgerliche Dame ihrerseits ist durch die Entwicklung unseres Wirthschaftslebens den früheren wirth­schaftlichen Leistungen der Frau in der Familie ganz oder zum größten Theil enthoben. Soweit die ehemaligen häuslichen Ver­richtungen nicht aus dem Heim verlegt und besondere Berufsarbeiten geworden sind, liegen sie in der Hauptsache Miethspersonen ob. Die Rolle der Hausfrau beschränkt sich meist auf die Leitung und Ueberwachung des Haushalts, hier und da sogar nur auf den geschäftigen Müßiggang und die Drangsalirung der Dienstboten. Telephon und Telegraph 2c., das Nichtvorhandensein der Nothwendig feit, mit jedem Pfennig rechnen zu müssen, vereinfachen die Haus­

Buschristen an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Bettin( Eißner), Stuttgart  , Rothebühl­Etraße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

geschäfte in bürgerlichen Streisen immer mehr. In Hunderten und Tausenden von Fällen hat die bürgerliche Frau in der Folge in der Familie kein wirthschaftliches Thätigkeitsfeld oder wenigstens feins, das ihre volle Kraft in Anspruch nimmt. Es ist ihr des­halb möglich, sich an allgemeinen Bestrebungen zu betheiligen, ohne ein lebermaß an Charakterstärke und Opfermuth aufwenden zu müssen. Diejenigen bürgerlichen Frauen, welche durch ihre materielle Lage und ihre Berufsarbeit in das Proletariat der Kopfarbeit gedrängt werden, erfreuen sich allerdings nicht der gleichen Bewegungsfreiheit, die Enge ihrer Eristenz bebürdet vielmehr sie, wie die Proletarierinnen der Handarbeit, mit beruf­lichen und mit häuslichen Pflichten. Aber immerhin ist für sehr zahl­reiche erwerbsthätige bürgerliche Frauen nur der Zwang des Wirfens auf einem Gebiete vorhanden: auf dem der Berufsarbeit. Dank eines bürgerlichen Einkommens und anderer Umstände noch ist es ihnen möglich, die Hausarbeiten bezahlten Hilfskräften zu übertragen.

Ganz anders liegen die Verhältnisse für die Arbeiterin, zu­mal für die verheirathete Arbeiterin Ihre Bewegungsfreiheit im öffentlichen Leben und damit die Möglichkeit ihrer vollen Be­theiligung am Gewerkschaftsleben ist nicht so groß wie die des Arbeiters, ist nicht so groß wie die der bürgerlichen Frau.

Die Dürftigkeit der proletarischen Existenz zwingt die ums Brot arbeitende Proletarierin auf zwei Gebieten wirthschaftlich thätig zu sein: in der Industrie und im Hause. Sie ist die moderne Lohnsflavin geworden, aber gleichzeitig die Hausstlavin geblieben. Die Nothwendigkeit, das Einkommen der Familie zu vergrößern, wirthschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen, treibt sie in Fabrik und Werkstatt, fesselt sie als Heimarbeiterin an die Erwerbsarbeit. Aber ihr Verdienst bemißt sich nicht nach ihren Wünschen, ja nicht einmal nach ihren Bedürfnissen. Er ist dent Gesezen der fapitalistischen Ordnung unterworfen und sichert ihr, der zwiefach Widerstandslosen gegenüber der Geldsacksgewalt, wenig mehr als die nackte Eristenz, während ihr Schaffen kraft der nämlichen Geseze dem Unternehmer reichen Profit zuwirft. Sie ist deshalb außer Stande, für die dem Hause, der Familie ent­zogene Kraft Ersatz zu zahlen, sondern muß neben der Erwerbs­arbeit noch den häuslichen Verrichtungen obliegen. Der Arbeitstag der erwerbenden Proletarierin hat deshalb thatsächlich keine Grenzen; er beginnt lange vor der Berufsarbeit und endet lange nach ihr, tief in der Nacht.

In vollem Umfange gilt das für die verheirathete Arbeiterin, die noch ehe der Tag graut, Nachts und Sonntags den Haus­haltungsgeschäften nachgehen, fochen, scheuern, waschen, ausbessern muß, womöglich auch die neue Kleidung und Wäsche für sich und die Kinder anzufertigen gezwungen ist. Die Hauswirthschaftliche Rührigkeit, Tüchtigkeit der Frau ist ja von allergrößter Be­deutung für die proletarische Familie. Aber auch die ledige Arbeiterin ist nach Feierabend nicht etwa völlig frei. Ist sie für ihre Eristenz lediglich auf ihren Verdienst angewiesen, so bedingt dessen Knappheit, daß sie den größten Theil der für ihre Lebenshaltung nöthigen häuslichen und weiblichen" Arbeiten selbst verrichtet; vielfach muß sie noch bedacht sein, durch Arbeit für die ,, Logiswirthin", durch Serviren in Restaurants, durch Heimarbeit ein paar Pfennige zu verdienen. Besitzt sie aber noch einen Rück halt an der Familie, so fällt ihr in der Regel auch ihr Theil an den Hausgeschäften zu. Wir sehen für den Augenblick davon