ab, daß der Proletarierin Zeit und Kraft bleiben muß oder wenigstens bleiben müßte für die Pflege der geistig- sittlichen Seite des Familienlebens. Wir rechnen mit der traurigen Thatsache, daß die kapitalistische Ausbeutung die proletarische Familie mehr und mehr in eine bloße Tisch- und Schlafgenossenschaft verwandelt, oft in eine Schlafgenossenschaft allein. In der Folge muß sich die Frau in der proletarischen Familie mit ihrem Wirken fast ganz auf wirthschaftliche Aufgaben beschränken; sie ist der Haupt sache nach Haushälterin; Mutter und Gattin, Erzieherin und Lebensgefährtin dagegen nur nebenbei, nach der äußeren Seite hin, soweit es die Noth des Lebens zuläßt.
Diese Umstände muß man vor allem in Betracht ziehen, wenn man die vollen Schwierigkeiten ermessen will, welche sich der gewerkschaftlichen Organisirung der Arbeiterinnen entgegenstellen. Denn diese Umstände vernichten für breite Massen der erwerbs: thätigen Frauen und Mädchen unerläßliche Vorbedingungen der Zugehörigkeit zur Gewerkschaft, des dauernden, inneren und innigen Zusammenhang mit ihr.
170
zeugung von der Bedeutung der Gewerkschaft abgeht, die zum steten Wirken für deren Entwicklung treibt, insbesondere aber zur werbenden Agitation unter den Arbeitsgenossinnen und Genossen.
Gewiß, daß es Arbeiterinnen gibt, die ungeachtet der Bebürdung mit Zwangsleistungen für den Kapitalismus und mit Pflichtleistungen für die Familie vorzügliche Gewerkschaftlerinnen sind, Muße und Kraft gefunden haben, sich zu schulen und die nicht blos als gleichwerthige, sondern als hervorragende Mitglieder einer Organisation in Reih und Glied stehen. Aber diese Arbeiterinnen machen nur eine Handvoll von den Massen aus, die es gewerkschaftlich zu organisiren gilt. Und sie stellen bezüglich ihres Dranges nach geistiger Entwicklung, bezüglich ihrer Willensstärke und Opferfreudigkeit Ausnahmen dar, die weit eher das überschwenglichste Lob verdienen, als jene Fürstinnen und vornehme Damen, die eine feile Geschichtsklitterung als„ Zierden ihres Geschlechts" besingt.
Gewiß, daß es auch Tausende von Arbeiterinnen giebt, die troß der zwiefachen Ansprüche an ihr Leistungsvermögen gewerk
der erwerbsthätigen proletarischen Frauenwelt an und kommen der Mehrzahl nach doch nicht über die äußere Zugehörigkeit zur G.werkschaft hinaus.
Woher soll die für den Erwerb frohndende, im Hause wirthschaftlich organisirt sind. Aber diese Tausende gehören der Elite schaftende Proletarierin die Zeit nehmen, eine regelmäßige Besucherin der gewerkschaftlichen Versammlungen zu sein? Woher die nöthige förperliche und geistige Kraft und Frische, die Energie und Stärke des Charakters, über ihre Lage nachzudenken, in Presse und Versammlungen Belehrung über die Bedeutung der Gewerkschaftsbewegung zu suchen? Jede Minute ihrer Zeit, jedes Fünfchen ihrer Kraft wird von unabweisbaren Aufgaben in Anspruch genommen. Von zwei Seiten her mit Pflichten belastet, hezt sie von Arbeit zu Arbeit; müde, abgerackert, vielleicht von erfahrener Unbill erbittert, von schweren Sorgen geängstet, kehrt sie Abends in das äimliche Heim zurück, wo ihrer statt der Ruhe ein zweiter Arbeitstag wartet. Der aufs äußerste Abgearbeiteten Der aufs äußerste Abgearbeiteten bleibt im Allgemeinen nicht jener Ueberschuß von Zeit, geistiger Kraft und Charakterstärke, der für die verständige und treue Betheiligung an der gewerkschaftlichen Bewegung unerläßlich ist.
Dieser Thatbestand ist eine der wesentlichsten Ursachen davon, daß die Arbeiterinnenmassen der Organisation fernbleiben. Er erklärt aber auch mehr als die weibliche Unbeständigkeit und Nückständigkeit" allein, warum die heute für die Gewerkschaft gewonnenen weiblichen Mitglieder vielfach morgen schon wieder fahnenflüchtig werden, warum die organisirten Arbeiterinnen in den Gewerkschaftsversammlungen nur vereinzelt, ausnahmsweise, seltenen Zugvögeln gleich, anzutreffen sind.
Der Druck der kapitalistischen Ausbeutung läßt die Arbeiterin nach einem Weg ausschauen, der aus ihrem Elend zu lichteren Daseinsbedingungen führt. Sie ermöglicht es daher trotz aller ungünstigen Verhältnisse, hier und da einmal einer Agitationsversammlung beizuwohnen, wo sie die frohe Botschaft von den Segnungen der Organisation hört. Begeistert und überzeugt schließt sie sich der Gewerkschaft an, zumal in Zeiten wirthschaftlicher Kämpfe. Aber die Ueberbürdung mit Arbeiten sezt sie außer Stand, regelmäßig die Gewerkschaftsversammlungen zu besuchen, sie verliert deshalb die Fühlung mit der Organisation. Die entfachte Begeisterung erlischt allmälig wie eine Lampe, der das Del aus= gegangen ist. Denn das eigentliche Leben, die innere und äußere Entwicklung der Gewerkschaft bleibt der Arbeiterin fremd, sie nimmt feinen thätigen Antheil daran, sie verwächst nicht geistig damit. In der Folge ist ihr im Allgemeinen die Neigung eigenthümlich, die Gewerkschaft lediglich unter dem Gesichtswinkel einzelner Ereignisse, einzelner Lohnkämpfe 2c. und deren Ausgang zu betrachten. Gs mangelt ihr der klare Blick für das, was diese im Laufe der Zeit und dauernd für die wirthschaftliche Hebung der Arbeiterklasse leistet, welch hohe erzieherische Wirkung sie auf ihre Mitglieder ausübt, mit einem Worte, welch hohe kulturelle Bedeutung ihr innewohnt. Das Unterbleiben des Versammlungsbesuchs führt zu einem Ausbleiben der tieferen gewerkschaftlichen Schulung. Und weil dem so ist, so genügt oft ein Zufall, die der Organisation beigetretenen weiblichen Mitglieder zum Austritt zu bestimmen. Und weil dem so ist, so bleiben recht viele der organisirten Arbeiterinnen laue Gewerkschaftlerinnen, die ihre Pflicht der Organisation gegenüber mit Zahlung der Mitgliedsbeiträge erfüllt wähnen, denen aber jene durch Schulung gefestete klare und begeisterte ueber
Unter den Ausnahmen, unter der Elite der Arbeiterinnen jedoch da fluthet das gewaltige Meer der Lohnsklavinnen, die noch ohne Erfenntniß vom Nußen und der Nothwendigkeit der Gewerf schaft sind. Was die Organisationsfähigkeit dieser Massen anbe= trifft, so dürfen wir uns nicht auf das verlassen, was da sein sollte, wir müssen vielmehr mit dem rechnen, was da ist. Wir dürfen sie also weder bewerthen nach den Leistungen der einzelnen glänzenden Ausnahmen, noch nach der Haltung der Arbeiterinnenelite. Wir müssen vielmehr die Thatsache im Auge behalten, daß das Uebermaß der von der Proletarierin geforderten Pflichtleistungen die Masse der Arbeiterinnen so vollständig versflavt, daß ihnen die materielle Vorbedingung fehlt, rathende und thatende Mitglieder der Gewerkschaft zu sein.
Diese Thatsache muß festgehalten werden, nicht etwa zu dem Zwecke, den Eifer für die gewerkschaftliche Agitation zu lähmen, vielmehr um vor Enttäuschungen zu bewahren, wenn die Einbeziehung der Arbeiterinnen in die Gewerkschaften so langsam erfolgt. Sie muß aber auch vor allem festgehalten werden, um Mittel und Wege zu finden, der Organisationsunfähigkeit der Arbeiterinnenmassen entgegenzuwirken. Das vorzüglichste Mittel zu ihrer Befämpfung ist der gefeßliche Arbeiterinnenschuß, sind soziale Reformen, welche im Interesse der gesammten Arbeiter klasse liegen. Wir werden das noch ausführlich nachweisen. Zum Schlusse nur noch die Bemerkung, daß eine so vorzügliche Kennerin und beredte Vorfämpferin der Gewerkschaftsbewegung wie Beatrice Webb mit uns in dem geseßlichen Arbeiterinnenschuß die wesentlichste Vorbedingung für die gewerkschaftliche Organisirung der Arbeiterinnenmassen erblickt. Es ist kein Zufall, es ist in den thatsächlichen Verhältnissen begründet, daß die Kategorie der englischen Arbeiterinnen, die sich am längsten des gesetzlichen Schußes gegen die kapitalistische Ausbeutung erfreut, nämlich die Tertilarbeiterinnen, in der gewerkschaftlichen Organisation in einer Stärke vertreten ist, wie keine andere Arbeiterinnenschichte. Von den mehr als 100 000 gewerkschaftlich organisirten englischen Arbeiterinnen sind mehr als 90 000 Tertilarbeiterinnen. Angesichts der durch die gekennzeichneten Verhältnisse bedingten Organisationsunfähigkeit der breiten Arbeiterinnenmassen darf die Losung also feineswegs heißen: Verzicht auf die gewerkschaftliche Agitation. Sie muß vielmehr durch die Parole ergänzt werden: Her mit dem gesetzlichen Arbeiterinnenschuß, um eine unerläßlichen Vorbedingung für den dauernden Erfolg der gewerkschaftlichen Agitation zu schaffen.
Ein Frauenkongreh in Hamburg .
Stimmungsbilder und Eindrücke von Brutus.
Wenn man den bürgerlichen Zeitungen glauben will, die aus Sensationshascherei aus jeder Mücke einen Elephanten machen, so stand unsere gute, alte, freie" Hansastadt in den Tagen vom 2. bis 5. Oktober im Zeichen der Frauenbewegung. Der Bund deutscher Frauenvereine ", ein Sammelsurium von bürgerlichen Frauen