unterscheiden. Gleichzeitig besteht die Hauptaufgabe des Bundes in dem Heranziehen der Einzelvereine zur bewußten Mitarbeit an den größer und allgemeiner gesteckten Zielen des Bundes. Damit nun der Bund nach oben und nach unten an Ausdehnung ge­winne, muß er besonders die Vereine der Arbeiterinnen heranziehen, muß er sich erweisen als ein Ergebniß be= wußter Einsicht und festen Willens, und zwar muß jeder Verein gegen den Widerspruch gewappnet sein, den er in seiner Arbeit zuweilen auch der staatlichen und städtischen Behörden erfährt. Wehe dem Vereine, der sich durch äußere Mißbilligung zurückhalten läßt von Dem, was er gewollt. Wenn das alte Wort, viel Feind, viel Ehr auch für uns gilt, so dürfen wir diese Art der Ehre doch nur im äußersten Falle ertrozen. Luise Otto- Peters  , die kühne Acht­undvierzigerin, hielt es als Vorsitzende des großen Allgemeinen deutschen  Frauenvereins doch für ihre Pflicht, so zu handeln, daß sie am Ende ihres Lebens sagen durfte: Unser Verein hat nie einen Schritt zurück gethan. So werde die Freiheit der Entschließung unsere Begleiterin. Die wahre Freiheit ist nicht Gesezlosigkeit, sondern fügt sich dem inneren Gesetz der Erkenntniß. Wehe unserem Geschlecht, daß man bis jetzt den herrlichen Begriff der Freiheit in Verbindung mit Frauen und Mädchen in erniedrigender Weise angewandt hat. Und zur Wahrhaftigkeit und inneren Freiheit trete die warme Menschenliebe, durch welche unser Thun   seine höchste Weihe empfängt. Dazu ist die Frau berufen, den warmen Hauch hingebender und ausgleichender Liebe, welche alle Selbstüberhebung und Herrschsucht ausschließt, der sozialen Arbeit mitzutheilen. Das reine mütterliche Empfinden, zu dem auch die kinderlosen Frauen berufen sind, sei unsere beste Waffe im Kampf um unsere Rechte. Mit Wahrhaftigkeit, Freiheit und Menschenliebe wollen wir arbeiten an der Erweckung der nachfolgen­den Generation!"

Sodann schritt man zur Statutenberathung, wozu ein Entwurf des Vorstandes und verschiedene Anträge des Berliner   Vereins " Frauenwohl" vorlagen. Letztere hatten eine wesentlich radikalere Färbung, insofern sie die wirthschaftliche Seite der Frauenfrage stärker hervorheben. Sie wurden von Fräulein Dr. Augspurg begründet, fanden aber augenscheinlich nicht die Billigung der übergroßen Mehr­zahl der Delegirten; sie wurden denn auch späterhin abgelehnt.

Sogleich in der ersten Sigung machten sich zwei Strömungen bemerkbar: Die der Alten" erblickt die Aufgabe der Frauen in den gemeinnützigen Bestrebungen", und hält Wohlthätigkeitspflege, Hebung der Sittlichkeit, Förderung der Mäßigkeit und bessere Erziehung für Mittel, das Elend aus der Welt zu schaffen. Die Absicht der be­treffenden Damen und Vereine mag ja die beste sein, aber da sie die wirthschaftlichen Triebkräfte im Volksleben verkennen oder bewußter Weise übersehen, handeln sie nach der Art von Leuten, die den Pelz waschen wollen ohne ihn naß zu machen. Die" Jungen" dagegen beginnen nach dem sozialen Untergrund der Erscheinungen zu spähen, weil sie instinktiv fühlen, daß das Uebel tiefer liegt und die empfoh­lenen Palliativmittelchen nur Pflaster auf häßliche Wunden bedeuten. Ein flares Verständniß für die sozialen Erscheinungen und die ge­schichtliche Entwicklung wird auch auf Seite der Jungen" nicht be­thätigt. Immerhin aber bedeutet ihre Richtung innerhalb der bürger­lichen Frauenbewegung Deutschlands   einen Fortschritt. Mir scheint es nur eine Frage der Zeit, daß es zwischen den beiden Richtungen zu einem Bruch kommt, der Funke des Zwiespalts glimmt schon unter der Asche.

Außer den Verhandlungen der Generalversammlung fanden mehrere Sitzungen von Kommissionen statt, in denen über die Thä­tigkeit dieser Körperschaften Bericht erstattet wurde. Bei dieser Ge­legenheit zeigte sich, daß jedesmal rührende Eintracht herrschte, wenn allgemeine Fragen zur Behandlung standen, wie z. B. Sittlichkeits-, Erziehungs- und Mäßigkeitsbestrebungen, weil dann vorwiegend Gefühlspolitik getrieben wurde. Dagegen traten bei der Erörterung von wirthschaftlichen Fragen im engeren Sinne die Gegensätze zwischen der älteren und neueren Richtung der Frauenbewegung zu Tage. So kam es u. A. zu einer scharfen Debatte über den Antrag des Fräulein Dr. Elvira Castner aus Berlin  , der Frauenbund möge die Förderung der praktischen Erwerbsthätigkeit und wirthschaftlichen Selb­ständigkeit gebildeter Frauen in sein Programm aufnehmen". Es wurde gegen die Forderung eingewendet, daß man nicht blos, gebildete" Frauen in ihrem diesbezüglichen Streben unterstützen müsse, sondern auch die ungebildeten" Arbeiterinnen. Lange debattirte man hin und her, ohne sich über die Grenzlinie zwischen den Begriffen ge= bildet" und ungebildet" überhaupt klar zu werden, abgesehen davon, daß die kapitalistische Ausbeutung verteufelt wenig danach fragt, ob es sich um gebildete oder ungebildete Frauen handelt. Die Antrag­stellerin und ihre Freundinnen hielten krampfhaft an dem Worte gebildet" fest, wurden aber schließlich überstimmt. Am schlimmsten erging es der durch Frau Minna Cauer   aus Berlin   geleiteten Kom­

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mission für Organisation der Handlungsgehilfinnen. Frau Cauer beklagte sich darüber, daß man seitens des Vorstandes das Wort " Organisation" gestrichen habe, so daß nur eine Kommission für Handlungsgehilfinnen" übrig geblieben sei, womit Niemand etwas anfangen könne. Sie fragte deshalb an, ob man überhaupt das Drängen der Handlungsgehilfinnen nach Organisation unterstützen wolle oder nicht. Die Antwort fiel sehr unbestimmt aus, und die Kommission dürfte wohl als eingeschlafen zu betrachten sein, ein Beweis, daß der Deutsche Frauenbund die Organisation der weib­lichen Arbeiter nicht fördern will oder ihr wenigstens gleichgiltig gegenüber steht Es ist ja auch viel leichter, gegen die Unmoral der Männer, die Trinksitten u. s. w. loszudonnern, als gegen die kapi­talistische Ausbeutung zu kämpfen, sei es sogar in der allerschwäch­lichsten Form, wie es der Hilfsverein für weibliche Handelsan­gestellte in Berlin   thut.

Am ungetrübtesten war der Eindruck, den ich von der Kom­mission für weibliche Gewerbeinspektion" gewonnen habe. Hier hielt an Stelle der erkrankten Frau Schwerin   Fräulein Alice Salomon  aus Berlin   das einleitende Referat, das sich durch Sachkenntniß und soziales Empfinden vor vielen anderen auszeichnete. Die Referentin berichtete über die in Berlin   und München   abgehaltenen Kurse zur Ausbildung von Gewerbeinspektorinnen.

Ein Vorgang verdient noch erwähnt zu werden, weil er ein eigenthümliches Licht auf den Ideenkreis mancher bürgerlichen Frauen wirft. Bei dem Antrag des Berliner   Hausfrauenvereins, die Frie­densbestrebungen in das Arbeitsgebiet des Bundes aufzunehmen, hielt eine Delegirte, die zweite Vorsitzende des preußischen Volksschullehre­rinnenvereins, eine patriotische" Rede, die jedem Kriegervereinler zum Ruhme gereicht haben würde. Die Rednerin sprach sich gegen eine Friedensresolution und für ein starkes Heer" aus, das die Vor­bedingung eines gesicherten Friedens sei. Sie fand bezeichnender Weise für ihre Worte reichen Beifall unter den Zuhörerinnen.

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In den öffentlichen Abendversammlungen sprach u. A. Frau Marie Stritt   aus Dresden   über die Mängel des neuen Bürger­lichen Gesetzbuches; Frau Elise Berg aus Ansbach   hielt ein sehr belehrendes Referat über Kostkinder und Generalvormundschaft, das jedoch den vornehmen Damen im Saale wenig zu interessiren schien, die wohl auch dem Vortrag von Fräulein Helene Lange   aus Berlin  , Pietätswerke", nur geringes Verständniß entgegenbrachten. Ein größeres Interesse erregte ein Referat von Frau Julie Eichholz aus Hamburg   über die Sprechstelle für Rechtsschutz in Hamburg  ". Die Einrichtung besteht seit ungefähr einem halben Jahre. In den Sprech­stunden, die jeden Dienstagabend für Frauen aller Stände unent­geltlich abgehalten werden, meldeten sich über 500 Auskunftheischende, d. h. ungefähr 5 bis 12 an jedem Abend, einige Male steigerte sich die Besuchsziffer sogar bis auf 17 Personen. Die Art der Fälle vertheilten sich folgendermaßen: 101 Ghestreitigkeiten, 68 Alimentationsforde­rungen, 32 Testaments- und Erbschaftsangelegenheiten, 105 Schuld­forderungen, 55 Miethsachen, 44 Lohnstreitigkeiten, 29 Beleidigungs­flagen, 65 vermischte Fälle. Hiervon konnten in 289 Fällen außer­gerichtliche Schritte eingeleitet werden, von denen 165 von günstigem Erfolg gekrönt waren. Am ohnmächtigsten erwies sich der gute Wille da, wo das Gesetz direkt entgegenstand, d. h. in vermögensrechtlicher Hinsicht, wo dem Manne das Recht zusteht, das von der Frau sauer Erworbene an sich zu nehmen und zu vergeuden. Die Sprechstelle" erwies sich ferner vielen Frauen dadurch nüßlich, daß hier Kontrakte, Eingaben und Gesuche an Behörden 2c. abgefaßt wurden. Des Weiteren wurden Vorschläge zum Entwurf einer neuen Dienstbotenordnung ausgearbeitet, die sämmtlich vom Bürgerschaftsausschuß angenommen worden sind. Um die Frauen über die geltenden Rechtsbegriffe zu belehren, veranlaßte man zwei Juristen, Vorträge über Zivil- und Strafrecht zu halten. Man ließ sich angelegen sein, Kenntniß der Bestimmungen des neuen bürgerlichen Rechts zu verbreiten, welche sich auf die Stellung der Frau beziehen.

Den größten Beifall der Zuhörerinnen errang das Referat von Fräulein Helene Bonfort   über" Frauenarbeit und Wohlfahrtsein­richtungen in Hamburg  ". Ich habe selten einen Vortrag gehört, der so einseitig gehalten war und so offenkundig auf den Lokalpatrio­tismus spekulirt, wie dieses Referat. Die Rednerin führte ein Bild von Hamburg   vor, welches nur Lichtseiten zeigte. Schade, daß keine armen Leute anwesend waren, ihnen hätte ja das Herz im Leibe lachen müssen, wenn sie erfahren hätten, in welch umfassender Weise man für sie in Hamburg   sorgt. Ein Hamburger Armer erscheint nach dem gehaltenen Referat als eine beneidenswerthe Persönlichkeit; von der Wiege bis zum Sarge wird er von der hamburgischen Wohl­thätigkeit beschirmt. Die Referentin ließ die sämmtlichen Wohlthätig­feitseinrichtungen Hamburgs   Revue passiren, nicht einmal die Wohl­that" vergaß sie, daß seitens einer Stiftung ein paar Mal während der Wintermonate an arme Schulmädchen Leberthran gratis verab