reicht wird. Rühmend erwähnte sie auch die sogenannten Stifte, worin alte Leute ihren Lebensabend verbringen und herrlich wie im Paradies leben. Mir fiel leider hierbei cine telle aus einem Ge­dicht ein, das sich in Hamburg   einer großen Beliebtheit erfreut und das eine Frau Schludermeiern" also sprechen läßt:

" Ich kenn' Senater Hütentüt,

Er fauft mir ins Etift, des is gewiß,

Weil mich der Mann gewogen is."

Einem offenkundigen Geheimniß zufolge soll die Gewogenheit" bei der Hamburger Wohlthätigkeit eine hervorragende Rolle spielen. Es war fomisch anzuschauen, mit welch selbstzufriedener Miene die Bourgeoisdamen dem Vortrag lauschten, in dem erhebenden Bewußt sein, daß für die armen Leute in Hamburg   so wunderbar schön ge­sorgt ist. Und doch grinst in der reichen Hansastadt grauenhaftes Elend aller Art aus jedem Winkel hervor. Davon sagte Fräulein Bonfort nichts, sie hätte ja sonst die Illusion ihrer Zuhörerinnen zerstört; auch davon sprach sie kein Wort, daß selbst die beste Wohl­thätigkeit immer nur ein jämmerlicher Nothbehelf ist, und daß die modernen Armen keine Wohlthaten erbetteln, sondern ihr Recht ver­langen.

Dieser Vortrag war so recht bezeichnend für den Charakter des Deutschen   Frauenbundes und kann als Miniaturbild der ganzen Ver­handlungen gelten. Die bürgerlichen Frauen wollen der ausgebeuteten Masse mit Wohlthaten helfen und dem Elend Schönheitspflästerchen auf die Wange kleben, aber das Elend herzhaft an der Wurzel an­greifen und aus der Welt schaffen, das wollen sie nicht und das können sie nicht weil sie als Angehörige der Bourgeoisie an der tapitalistischen Ordnung festhalten und mit ihrer Auffassung, ihren Zielen nicht über den Rahmen der heutigen Gesellschaft hinausgehen.

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Auf der Rückreise vom Stuttgarter  Parteitag sprach Genossin Kähler- Wandsbeck in der Rheinpfalz in folgenden Orten: Ludwigshafen  , Speyer  , Pirmasens  , Frankenthal   und Kaiserslautern  . Die Rednerin behandelte das Thema: Welches Interesse haben die Frauen am wirthschaftlichen und politischen Kampfe der Männer?" Bisher war es dem weib­lichen Geschlecht in Bayern   durch gesetzliche Bestimmungen verwehrt, an Volksversammlungen theilzunehmen, vor Kurzem sind nun diese Schranken gefallen. Die abgehaltenen Versammlungen geben Zeug­niß davon, daß in den Frauenkreisen das Interesse am öffentlichen Leben immer reger wird. Der Besuch der Versammlungen war überall ein sehr guter, in einzelnen Orten bestand das Publikum zu Zweidrittel aus Frauen. Die Referentin wies in eineinviertelstündigem Vortrage die Nothwendigkeit nach, daß auch die Frauen dem öffent­lichen Leben ihr Interesse zuwenden und an den Kämpfen unserer Zeit theilnehmen. Sie zeigte, daß die Frau heute mit Pflichten mannigfachster Art überlastet ist, jedoch nur winzige Rechte ihr eigen nennt und daß sie am meisten bei einer Umgestaltung unserer gesell­schaftlichen Ordnung zu gewinnen hat. Das Interesse der Prole­tarierinnen wie der Arbeiterklasse fordert, daß auch die Erstere für Befreiung des Proletariats Schulter an Schulter mit den Männern fämpft. Reicher Beifall bewies, daß die Versammelten der Rednerin beistimmten. Gegner meldeten sich nicht zum Worte, obgleich in einigen Versammlungen solche anwesend waren. Seitens der Frauen wurde gewünscht daß recht häufig derartige Versammlungen statt­finden möchten. Langsam aber sicher bahnen sich die Ideen der Sozialdemokratie auch unter der proletarischen Frauenwelt ihren W. K. Weg.

Die hausindustriellen Arbeiterinnen in der Berliner   Blusen-, Unterrock-, Schürzen­und Trikotkonfektion.

Von Gertrud Dyhrenfurth. Besprochen von Henr. Fürth  .

I.

Scharfer Verstand hat hier im Verein mit methodischer Gründ­lichkeit eine tüchtige Arbeit geleistet, der die Reichhaltigkeit, wie auch die Verarbeitungsweise des gesammelten Materials einen ehrenvollen Platz sichern wird. Das warme Herz und das eindringende Ver­ständniß der Verfasserin für die Lage der beobachteten Arbeiterinnen­klasse haben die Arbeit ganz wesentlich gefördert. Das Material ist durch persönliche Erforschung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse.

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der einzelnen Arbeiterinnen gewonnen worden. Und zwar auf Grund eines sehr ins Einzelne gehenden Fragebogens, der indeß den zu Be­fragenden nicht vorgelegt wurde, sondern lediglich gleichsam als Leit­faden für den Fragesteller diente.

Die übersichtliche und klare Darstellung der Produktionsverhält­nisse in der Berliner   Wäschekonfektion und ihrer Arbeitsweise mit Zwischenmeisterthum und Heimarbeit fügt dem bereits bekannten Bilde wesentliche neue Züge nicht hinzu.* Die menschliche Arbeits­fraft billiger als Dampf und Elektrizität: Darum neben hochentwickelter Technik Beibehaltung der rückständigsten Arbeitsweise, der Heimarbeit, die neben der motorischen Kraft dem Unternehmer auch noch die Werkstattmiethe, Beheizung 2c. spart.

Wie viel billiger diese rückständige Betriebsweise für den Unter­nehmer ist, das erhellt schon aus einem Umstand. Die Arbeiterinnen der Konfektion rekrutiren sich vorwiegend aus den Reihen der ver= heiratheten Frauen, die nur einen Nebenverdienst suchen, also sich mit niedrigen Löhnen begnügen und in der Lage sind, eine Werk­statt zu erstellen, das heißt ihre eigene Wohnung, bezw. das, was ,, Wohnung" genannt wird. Das enthebt den Unternehmer der Ver­pflichtung, selbst für geräumige, gesundheitlich einwandfreie Werk­stätten zu sorgen. Und das bedeutet für ihn neben der Ersparniß eine wesentliche Herabminderung des geschäftlichen Risikos. Er fann sein Geschäft dem jeweiligen Geschäftsgang entsprechend ausdehnen oder einschränken. Arbeiterinnen stehen ihm stets in beliebiger An­zahl zur Verfügung, den Nutzen des guten Geschäftsganges wird er also stets einheimsen, den Schaden des schlechten seelenruhig auf die Arbeiterinnen überwälzen. Ferner ist der Unternehmer der Ver­pflichtung enthoben, für Unfälle, für Invaliditäts- und Alters­versicherung aufzukommen. Seit dem Inkrafttreten der Versicherungs­gesetze hat die Heimarbeit beträchtlich zugenommen. Und endlich. Wie viel angenehmer ist es für den Unternehmer, mit zerstreut lebenden Arbeitskräften zu thun zu haben, denen jedes Gemeinschaftsempfinden fremd ist, da sie nichts von einander wissen und einander unterbieten, um nur ja die Arbeit nicht zu verlieren. Besonders die Verein­zelung, der völlige Mangel an Solidaritätsgefühl sichert die Macht des Unternehmers. Er erhält in der Folge Arbeitskräfte, die billig sind, so billig, daß alleinstehende, ausschließlich auf den eigenen Erwerb angewiesene Mädchen und Frauen durch die schlechten Er­werbsverhältnisse in der Konfektion dazu gedrängt werden, sich eine lohnendere Beschäftigung zu suchen. Am wenigsten fähig und geneigt, mit der Arbeit zu wechseln, sind die Familienmütter aus Gleich­giltigkeit, wenn sie durch die Einnahme des Mannes sicher gestellt sind, aus Furcht, den Unterhalt der Jhrigen aufs Spiel zu setzen, in den Fällen, wo diese ganz von ihnen abhängig sind."( S. 23.) So waren denn von 239 befragten Arbeiterinnen 131 verheirathet und ( was für die Art der Arbeit bezeichnend ist) von 204 Antwortenden waren 75 ungelernte Arbeiterinnen. Es handelte sich also bei diesen 75 um Ehefrauen, die vielleicht gedient, vor der Verheirathung aber jedenfalls keine eigentliche Arbeit gelernt hatten. Die Noth, manch­mal wohl auch nur der Wunsch, etwas zu der Einnahme des Mannes hinzu zu verdienen, hatte sie zur Erwerbsthätigkeit getrieben.

Unter welchen Bedingungen leben und arbeiten die meisten dieser Frauen? Die Broschüre bringt auch zur Beantwortung dieser Frage nichts Neues, nur die erneute, traurige Bestätigung der kläglichsten Wohnungsverhältnisse und Lebenshaltung. Von 196 Arbeiterinnen, die ohne fremde Hilfe arbeiteten, benutten 35 den Arbeitsraum zum Wohnen, Schlafen und Kochen, 72 zum Wohnen und Schlafen, 27 zum Schlafen und Kochen, 49 zum Kochen. Ist die Stube an Schlafgänger abvermiethet oder durch die eigene Familie in Beschlag genommen, so steht die Nähmaschine zwischen Kochherd, Vorräthen, Betten und eingeweichter Wäsche in der Küche."" Inmitten des unbeschreiblichen häuslichen Chaos die Frauen an der Maschine. Das Arbeitsmaterial liegt auf den Betten zerstreut und wird aufs Aengstlichste vor Unsauberkeit geschützt. Aber die Luft mit allem was sich ihr mittheilt, wenn in einem Raume gesunde und kranke Menschen Tag und Nacht athmen, sich reinigen, ihre Speisen zu­bereiten, die Ueberreste und die gebrauchte Wäsche aufbewahren diese Luft ist von den Waaren nicht abzuschließen." Sie heftet sich sammt jeweiligem Ungeziefer den abzuliefernden Waaren an. Wie gefährlich das ist, liegt auf der Hand. G. Dyhrenfurth berichtet z. B., daß eine Frau in einer Kochstube, in der ihre drei Kinder Diph­theritis durchgemacht haben, sieben Arbeiterinnen beschäftigt."

Den Wohnungszuständen entspricht die Arbeitszeit, entsprechen die Löhne. Auch hier bewahrheitet sich wiederum der alte Satz: Je widerstandsunfähiger die Arbeitskräfte, um so länger ihre Arbeits­

* Wir erinnern an das gleichfalls der Schmollerschen Sammlung angehörende: Hausgewerbe und Fabrikbetrieb in der Berliner Wäsche­industrie" von Dr. J. Feig.