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zeit, je länger ihre Arbeitszeit, um so geringer ihr Lohn! In den verpesteten Arbeitshöhlen sigt die Frau an der Maschine. Unentwegt. Vom grauenden Tag bis tief hinein in die Nacht. Sie nimmt sich nicht Zeit, die Kinder zu reinigen oder die Wohnung aufzuräumen. Sie sorgt nicht oder nur schlecht für die Verköstigung der Familie. " Das anspruchsvolle Jüngste hatte eine Mutter in ein Holzkistchen gepfercht, in dem es nicht zu Schaden kommen, aber auch sich nicht bewegen konnte." Eine andere erklärte völlig stumpf und apathisch: Ich kann das Kind nicht aufheben, wenn es vom Stühlchen fällt, ich darf mich nicht von der Maschine fortrühren." Zur Arbeits­maschine geworden, von der Erwerbsthätigkeit derart in Anspruch genommen, daß weder Zeit noch Kraft bleibt für die Aufgaben als Mutter, Pflegerin, Erzieherin, schuftet die Frau darauf los, schuftet sie ohn' Unterlaß. Nicht die kleinste Pause darf sie sich gestatten, die geringste Abhaltung könnte ihr einen der für die Erhaltung der Familie so unerläßlichen Pfennige fosten! Und das nennt sich " Heimarbeit!"

Was kann die Heimarbeiterin bei ihrer Hezzarbeit verdienen? Lassen wir wiederum die Broschüre reden. Wer da glaubte, in Bezug auf Niedrigkeit der Löhne nichts Neues mehr erfahren zu können, wird sich traurig enttäuscht finden. Stundenlöhne von 10-15 Pf., ein Wochenverdienst von 7 9 Mt. sind hier als günstig anzusehen, denn es giebt auch Stundenlöhne von 4 Pf. und dementsprechend Wochenverdienste von 2-3 Mt.

" Die Knopflocharbeiterinnen der Trifotkonfektion erhalten vom Zwischenmeister, in Folge des Ueberangebots von billigem Arbeitspersonal, für das Dutzend Taillen, das ist für 144-168 Knopflöcher, 70, 80, 90 Pf. und 1 Mt., für die best ausgeführten Sachen bis 1,50 Mt. Die Auslagen für Garn und Seide betragen zwischen 7-25 Pf. pro Dutzend," welcher Betrag also auch noch von dem fargen Verdienst in Abzug zu bringen ist. Der Nettoverdienst der Trikotarbeiterinnen beläuft sich bei zehnstündiger Arbeitszeit auf 0,83-1,35 Mt. pro Tag, das heißt 8-13 Pf. für die Stunde.( Siehe Tabelle S. 52.) Die Soutachenäherinnen bekommen, gleichviel ob das Muster ein schwieriges ist oder nicht", für 100 Meter Bemühung 90 Pf., in besseren Geschäften, für die mit Seide genäht werden muß, für 100 Meter 2 Mt. In beiden Fällen muß der Faden von den Arbeitenden bezahlt werden, welche außerdem auch die Muster zu be­schaffen haben, was eine weitere Ausgabe bis zu 30 Mt. für die Saison bedeutet.

In der Unterrockbranche sind die Löhne noch niedriger. Hier kommen die früher erwähnten Stundenlöhne von noch nicht 4 Pf. vor, ein sogenannter Nettoverdienst, von dem indeß die etwaigen Ausgaben für Pferdebahn und Beleuchtung bei Nachtarbeit noch nicht in Abzug gebracht sind. Das sind allerdings Löhne, die der Zwischenmeister zahlt, während die Theilarbeiterinnen der Werk­stätten es bei 10-11 stündiger Arbeit auf 9-12 Mt. brachten, weniger eingearbeitete Mädchen auf 7-9 Mt., die sogenannten Gar nirerinnen sogar auf 13-14 Mt. Wiederum eine Thatsache, die gegen Zwischenmeisterthum und Heimarbeit und für Werkstätten­arbeit spricht.

In der Schürzenkonfektion erreichten von 70 Antwortenden 26 ein wöchentliches Einkommen von 7 Mt., 44 Arbeiterinnen blieben jedoch mit ihrem Verdienst unter diesem Satz und zwar zum Theil beträchtlich.

Die Löhne in der Blusenkonfektion schwanken zwischen 5 und 17 Mt. pro Woche. Die höheren Lohnsätze werden natürlich nur von einer verschwindenden Minderzahl besonders geübter Arbeite­rinnen erreicht. Dagegen verdienen die Knopflocharbeiterinnen dieses Arbeitszweiges pro Tag nur 50-75 Pf. bei 11-12stündiger Arbeit.

Dem Verdienst entspricht die Lebenshaltung. Sie bleibt fast durchweg unterhalb der Grenze dessen, was als äußerste Lebensnothdurft zu bezeichnen ist. Bei einem Wochenbudget von 6,25 Mt. muß die Betreffende der Ersparniß halber ihr Zimmer mit einer anderen Person theilen; von irgend welcher Fleischkost ist nicht die Rede. Diese Ernährung muß bei der anstrengenden Arbeit und sitzenden Lebensweise als ungenügend bezeichnet werden." Um die übrigen Ausgaben für den Haushalt zu decken, Schuhe und Kleidung zu beschaffen, muß jedoch selbst diese Ernährungsweise noch verschlechtert und die Nahrung so beschränkt werden, daß sie auch quantitativ nicht mehr ausreicht.

,, Erst bei einem Verdienst von 9 Mt. an läßt sich eine dürftige Existenz ermöglichen, bei der wenigstens das physische Leben nicht zurückgeht.( Das heißt zu deutsch  , bei der die Arbeiterin nicht langsam verhungert. H. F.) Doch um in ehrenwerther Weise aus­zukommen, bedarf es einer ungemein verständigen Ordnung der Be­dürfnisse und eines Verzichtleistens auf jeden Genuß und jeden Schmuck des Daseins." Wir werden noch sehen, was alles

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unter dieser verständigen Anordnung" und diesem Verzichtleisten verstanden ist.

Zu alledem kommt ein anderes. Die von uns gekennzeichneten Löhne beziehen sich fast durchweg auf die flotte Saison. In der stillen Zeit bleibt der Verdienst entweder ganz aus oder wird be= trächtlich herabgemindert. Die angeführten Einkommensverhältnisse gestatten also feineswegs einen Rückschluß auf den Jahresverdienst der Arbeiterinnen, der meist noch ungünstiger ausfällt, als es nach den Angaben erscheint.

In der Schürzen-, Blusen- und Unterrockkonfektion hatten die unregelmäßig Beschäftigten( es ist dies etwa die Hälfte aller Arbei­tenden) 6 Monate volle Arbeit, knapp 3 Monate halbe, knapp 3 Monate keine Arbeit. In der Trifotkonfektion hatte die Hälfte der Arbeitenden immer etwas, doch nie genügend zu thun; der andere Theil hatte nur während 2/ 2-4/ 2 Monaten volle Arbeit". Wie diese Unglücklichen während der übrigen Zeit ihr Dasein fristen, ob und welche Beschäftigung sie finden, das kümmert den Unternehmer nicht. Er hat ihre Adresse, er weiß, daß sie zu seiner Verfügung sind, das genügt ihm. Ist es doch gerade", wie G. Dyhrenfurth sehr richtig bemerkt, die völlig verantwortungslose Disposition über die Arbeits­fräfte, die die Beschäftigung Hausindustrieller so vortheilhaft macht." Wie anders sieht die Sache aus, sobald man sie vom Standpunkt der Interessen der Arbeitenden betrachtet. Da treten die verhängniß­vollen Folgen dieser unheilvollen Produktionsweise klar in Erschei­nung. Während der Saison verläuft der Arbeitsprozeß in einer ständigen, Leib und Seele in gleicher Weise zerrüttenden Hezze. Immer die Angst, den Anforderungen des Arbeitgebers nicht genügen zu können, immer die Hoffnung, durch verdoppelte Anstrengung, durch Ueberanspannung aller Kräfte ein paar Pfennige mehr herausschlagen zu können! Und dabei das Gespenst der Sorge, das mitten in dieses fieberhafte Hasten seine Schatten wirft, die Gewißheit, in wenig Wochen die Ruhe in ihrer ganzen Ausdehnung kosten zu dürfen, die Ruhe und den Hunger!

Resolutionen des Parteitags der Sozialdemokra­tischen Partei Deutschlands   in Stuttgart  .

4. Resolution über die preußischen Landtagswahlen. Die Betheiligung an den preußischen Landtagswahlen unter dem Dreiklassenwahlsystem kann nicht wie die an den Reichstags­wahlen als eine Heerschau betrachtet werden, als ein Mittel, durch die Zählung unserer Stimmen einen moralischen Erfolg zu erreichen, sondern nur als ein Mittel, bestimmte praktische Erfolge zu erzielen, namentlich die Abwendung der Gefahr, daß die frasseste Reaktion die Mehrheit im Landtag erlangt.

Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, erklärt der Parteitag, daß die Betheiligung an den Landtagswahlen nicht in allen Wahl­freisen geboten ist, umsoweniger als bei der Kürze der Zeit, die uns von den preußischen Landtagswahlen trennt, nicht daran gedacht werden fann, die in dieser Frage jetzt weit auseinandergehenden Meinungen innerhalb der Partei einander so zu nähern, daß ein einheitliches Vorgehen der Gesammtpartei möglich ist.

Unter diesen Umständen überläßt es der Parteitag den Genossen der einzelnen Wahlkreise, über die Frage der Betheiligung zu ent­scheiden. Wird in einem Wahlkreis die Betheiligung beschlossen, so werden, falls es sich dabei um eine Unterstützung bürgerlicher Oppo­sitionskandidaten handelt, die Kandidaten sich verpflichten müssen, für den Fall ihrer Wahl in den Landtag für die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts, wie solches für die Wahlen zum Reichstag besteht, auch für die Wahlen zum Landtag einzutreten und im Landtag alle Maßnahmen entschieden zu bekämpfen, die geeignet sind, die bestehenden Volksrechte im Einzel­staat weiter zu schmälern oder zu beseitigen.

Die zu dem Punkte preußische Landtagswahlen gestellten An­träge sind durch die Annahme dieser Resolution erledigt.

5. Resolution zum Bergarbeiterschutz.

Die ständig an Intensität zunehmende großkapitalistische Ge­winnung der Erdschätze( Kohlen, Erze, Salze 2c.) hat für die dabei betheiligten Arbeiter eine außerordentliche Zunahme der Unfalls­gefahr zur Folge. Seitdem die deutschen Bundesstaaten, von der Mitte bis zum letzten Drittel dieses Jahrhunderts an, allmälig das Direktionsprinzip( Leitung der Gewinnungsarbeiten im Bergbau nur durch staatliche Betriebsbeamte, und Anlegung und Ablegung der Arbeiter staatlicherseits) aufgaben, also den Grubenbetrieb für das Privatkapital freimachten, nimmt auch die Zahl der im Betrieb ge­