Nr. 6.

Die Gleichheit

9. Jahrgang.

Beitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage etnmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3033) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch, den 15. März 1899.

Nachdruck gauzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

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Inhalts- Verzeichniß.

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Keine soziale Gleichstellung ohne wirthschaftliche Selbständigkeit. Das Die Frauenfrage Privatrecht der Frau in Japan  . Von Dr. s- ss. Aus der Be­im Alterthum. IV. Von Lily Braun   in Berlin  . wegung. Feuilleton: Eine Dichterin der Freiheit. Von Klara Zetkin  . Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Weibliche Fabrikinspektoren. Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Soziale Gesetzgebung.- Frauenstimmrecht. Frauenbewegung.

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Keine soziale Gleichstellung

ohne wirthschaftliche Selbständigkeit.

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Wohlmeinende Sozialreformler fordern das Verbot der Fabritarbeit verheiratheter Frauen, um die schweren Schäden zu bekämpfen, welche im Gefolge der Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts heutigentags einherschreiten. Wir haben in einem früheren Artikel nachgewiesen( siehe Nummer 3 der Gleichheit"), daß das vorgeschlagene Mittel nicht zu dem erstrebten Ziele führt, sondern zu härterer Ausbeutung der Arbeiterinnen, weil seine Befürworter furzsichtig die wirthschaftlichen Thatsachen verkennen. Soziale Reaktionäre erheben die gleiche Forderung, weil sie die Frau mit ihrem Sein und Thun   auf das Haus beschränken und ihr die volle soziale Gleichberechtigung vorenthalten wollen. Klar bewußt oder instinktiv gehen sie von der Auffassung aus, daß die soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts mit der wirth schaftlichen Unabhängigkeit der Frau vom Manne steht und fällt. Und weil diese Auffassung thatsächlich zutreffend ist, so sprechen- ganz abgesehen von den früher erörterten praktischen Verhältnissen bedeutsame prinzipielle und geschichtliche Gründe gegen das geheischte Verbot.

Die Klassenlage des Proletariats zeigt sinnenfälligst den innigen, unlöslichen Zusammenhang zwischen wirthschaftlicher Ab­hängigkeit und sozialer Unfreiheit. Die Urkunden, auf denen die politische und soziale Gleichberechtigung des Habenichts mit dem Bourgeois geschrieben steht, werden in unendlich viel Fällen in Stücke gerissen, zu einer Scheineristenz verdammt durch die Armuth und die daraus folgernde wirthschaftliche Unterwerfung des Prole­tariers unter den sogenannten Brotgeber. Es wird nachgerade als Binsenwahrheit anerkannt, daß nur der wirthschaftlich von einem Dritten Unabhängige sich voller sozialer Freiheit erfreuen fann. So lange die Frau wirthschaftlich abhängig vom Manne und von der Familie bleibt und nicht auf eigenen Füßen steht, so lange muß sie dem Manne unterthan sein. Ihre wirthschaft­liche Abhängigkeit ihm gegenüber ist der Boden, in dem ihre politische und soziale Rechtlosigkeit wurzelt. Die Grundlage aber für die wirthschaftliche Selbständigkeit der Frau ist die Berufs­

arbeit.

Gewiß, auch das unbeschränkte Verfügungsrecht über eigenes Vermögen macht die Frau vom Manne wirthschaftlich unabhängig. Und doch wohnt diesem Recht für die soziale Gleich­stellung des weiblichen Geschlechts nicht die gleiche grundlegende Bedeutung inne wie der Berufsarbeit. Nicht nur deswegen, weil die große Mehrzahl der Frauen kein Vermögen besigt und sich von einem papiernen Rechte nicht nähren, kleiden 2c. könnte. Viel-|

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner  ), Stuttgart  , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

mehr noch aus einem anderen wichtigen Grunde. Das Ver­fügungsrecht über das Vermögen emanzipirt nicht die Frau als Person vom Manne, sondern nur die Frau als Trägerin von Eigenthum. Die Zuerkennung des betreffenden Rechts an das weibliche Geschlecht ist die letzte Stufe der sozialen Emanzipation des Kapitals, ist eine weitere Bestätigung der Thatsache, daß in der kapitalistischen   Gesellschaft der todte Besitz über den lebendigen Menschen steht und ihm seine soziale Bedeutung verleiht. Im lezten Grunde gilt das betreffende Recht nicht der Person, vielmehr dem Besiz. Es verträgt sich deshalb auch mit der politischen Recht­losigkeit des weiblichen Geschlechts. Als Trägerin von Eigenthum tann die Frau auch ohne das politische Recht der Person durch ihren Besiz sozialen Einfluß ausüben. Die Berufsthätigkeit löst dagegen die Frau als Person wirthschaftlich vom Manne los und schafft damit die Vorbedingung, daß sie als Person zur Wahrung ihrer Interessen nach sozialem Einfluß streben muß. Diesen Ein­fluß fann sie aber nur gewinnen durch die Zuerkennung voller politischer Rechte.

Die Berufsthätigkeit der Frau schlägt den Wahnglauben in Trümmer, daß der Mann der natürliche" Versorger und Erhalter der Frau sei, daß diese nur innerhalb der Familie und durch das Wirken für sie ihre Eristenz zu finden vermöge. Sie erbringt den unumstößlichen Beweis, daß die Frau unabhängig vom Manne und der Familie in der Gesellschaft und durch gesellschaftliche Arbeit ihr eigenes Brot zu erwerben vermag.

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Die Theilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern hat unter der Herrschaft des Privateigenthums zu der irrigen Vorstellung geführt, daß die Frau für ihre Eristenz auf den Mann angewiesen sei und in der Familie von ihm erhalten" werde. Denn in der vaterrechtlichen Familie, die auf dem Eigenthumsrecht des Mannes beruht, stehen sich Mann und Frau gegenüber wie Bourgeois und Proletarier. Wie der Kapitalist als Besizer der Arbeits­mittel, als wirthschaftlicher Herr den Arbeitsertrag seiner Arbeiter und Arbeiterinnen sich rechtmäßig" aneignet und ihnen dafür gnädig in Gestalt des Lohnes Brot giebt", so fällt dem Manne, dem Eigenthümer und Herr in der Familie, der Ertrag der Arbeit der Frau zu und er giebt ihr" dafür den Unterhalt. Das Eigen­thumsrecht des Mannes und seine Herrschaftsstellung verdunkeln die Thatsache, daß die Frau auch in der Familie auf Grund ihrer eigenen Arbeit lebt und nicht als Parasit auf Kosten der Arbeit des Mannes. Die breite Masse der Frauen ist jederzeit durch ihre Thätigkeit für ihre Eristenzkosten aufgekommen. Ein arbeitsloses Leben haben nur die Frauen von Persönlichkeiten oder gesellschaftlichen Klassen zu führen vermocht, welche selbst von der Ausbeutung der Massen lebten. Aber auch diese Frauen werden nicht von ihren Männern erhalten", vielmehr von den Frauen und Männern, welche die ehrenwerthen Herren auspowern.

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Erst die neuzeitlichen wirthschaftstechnischen Umwälzungen haben die Vorbedingungen dafür geschaffen, daß der Gesammtheit des weiblichen Geschlechts eine wirthschaftlich selbständige Eristenz auf Grund einer Berufsthätigkeit außerhalb der Familie möglich ist. Denn sie zerstörte durch das Aufkommen der Großinduſtrie und des Großhandels das Gebiet des alten wirthschaftlichen, produktiven Wirkens der Frau im Hause. Gleichzeitig schuf sie die Voraussetzungen, daß die Frau wie der Mann für den Markt arbeiten konnte, statt für den Verbrauch der Familie. Straft­maschinen, welche die Stärke eines Riesen befizen, ermöglichen die