geringerer, den die Arbeiterinnen zu den gewerkschaftlich organisirten Angehörigen der Buchbindereien und verwandten Gewerbe stellen. Die Zahl der Arbeiterinnen der einschlägigen Berufe ist nämlich wesentlich größer, als die 1895er Berufs- und Gewerbezählung angiebt. Die Statistik des Verbandsvorstandes zählt allein in den 110 Orten, auf welche die Erhebung sich erstreckte, 17022 Arbeiterinnen, also 2259 mehr, wie die offizielle Statistik von 1895. Der Unterschied erklärt sich wahrscheinlich dadurch, daß die Berufs- und Gewerbezählung einen Theil der von der Verbandsstatistik erfaßten Arbeiterinnen anderen Berufen zugezählt hat, vermuthlich den Gewerben zur Anfertigung von Papier, Pappe und Papierwaaren. Wenn auch durch diesen Umstand der Prozentsatz der gewerkschaftlich organisirten Arbeiterinnen des Buchbindergewerbes 2c. sinkt, so zählt die weibliche Arbeiterschaft der betreffenden Berufe nichtsdestoweniger noch zu den meistorganisirten Arbeiterinnenfategorien Deutschlands . Ein Beweis dafür, wie gleichgiltig die Arbeiterinnenmassen der Gewerkschaft leider noch gegenüber stehen.
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
Ein neuer Vers zum alten Lied von der„ Reinlichkeit" in manchen Bäckerei- und Konditoreibetrieben. In einer Konditorei im Osten von Berlin wurde ein fünfzehnjähriges Mädchen beschäftigt, dem als Schlafraum eine unverschließbare Kammer dicht neben dem Abort für Herren angewiesen war. Als das Mädchen seine Stellung antrat, war das Bett nicht frisch überzogen, und die Bettwäsche wurde im Verlauf des Vierteljahrs, das die„, weiße Sklavin" in dem Geschäft aushielt, auch nicht ein einziges Mal gewechselt. Die Arbeitszeit dauerte bis spät nach Mitternacht , und da es Morgens sehr zeitig auf dem Posten sein hieß, fand das Mädchen häufig nicht Zeit zum Waschen, geschweige denn zum Reinigen der Kleider. Nach drei Monaten wurde es, mit Ungeziefer behaftet, von den Eltern nach Hause geholt. Zur richtigen Würdigung dieser Kultivirung des Schmutzes in der betreffenden Konditorei sei bemerkt, daß das Mädchen nicht blos häusliche Dienste zu verrichten hatte, sondern auch im Geschäftsbetrieb thätig sein mußte. Die uns von durchaus glaubwürdiger Seite mitgetheilten Thatsachen reihen sich würdig dem Material an, das von Bebel und der Gewerkschaft der Bäckereiarbeiter über die skandalösen Zustände in Bäckereien 2c. gesammelt worden ist. Sinnenfällig sprechen sie für die Nothwendigkeit, die dürftige Bäckereiverordnung trotz allen Geschreis„ dicker" und dünner" Bäckermeister auszugestalten und die strengste Durch führung der gesetzlich festgelegten Vorschriften zu sichern. L.
Frauenstimmrecht.
Das Frauenstimmrecht zu dem niederösterreichischen Landtag fordern die österreichischen Genossinnen, sowie die radikalen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen anläßlich eines Entwurfs zur Wahlreform, der vom Landesausschuß dem Landtag vorgelegt worden ist. Der Reformentwurf, das Werk der Christlich- Sozialen, ist weit da= von entfernt, dem niederösterreichischen Proletariat volles politisches Recht zu gewähren. Er läßt vielmehr die Vorrechte der Grundbesitzer und der Handels- und Gewerbekammern fortbestehen und speist die Arbeiterklasse mit einer dürftigen Wahlrechtsänderung ab. Noch weniger haben es sich die christlich- sozialen Herren einfallen lassen, das Wahlrecht auf die Frauen auszudehnen, und doch haben sie in Wien ihre Erfolge ganz wesentlich den Frauen zu verdanken. Daß der Entwurf die Frauen vom Wahlrecht ausschließt, ist um so bemerkenswerther und reaktionärer, als in Desterreich vor dem Jahre 1849 das Landtagswahlrecht wie das Gemeindewahlrecht in einem besonderen Statut zugesichert war. Ausnahmen bildeten nur die Städte Wiener- Neustadt und Waidhofen an der Ybbs , sowie die Provinzen Triest und Küstenland. 1849 wurden die Frauen Wiens von dem Besitz des Gemeinde- und Landtagswahlrechts ausgeschlossen. 1861 wollten die Konservativen die Frauen, die in Niederösterreich das Landtagswahlrecht noch hatten, politisch entmündigen. Die Liberalen schlugen damals in glänzenden Reden den reaktionären Versuch zurück. 1888 aber waren die Liberalen so weit heruntergekommen, daß sie es waren, die durch einen ihrer Führer durchsetzten, daß den niederösterreichischen Frauen das Landtagswahlrecht entzogen wurde. In den anderen österreichischen Provinzen besitzen die Frauen das Wahlrecht zu den Landtagen noch heute. Ebenso besitzen sie noch in Niederösterreich , mit Ausnahme von Wien , WienerNeustadt und Waidhofen , das Gemeindewahlrecht. Allerdings stand und steht das Wahlrecht zu Landtagen und Gemeinderäthen nicht allen österreichischen Frauen zu, sondern nur den ,, eigenberechtigten, steuerzahlenden" Frauen. Die übrigen Frauen waren und sind also nicht grundsätzlich ihres Geschlechts wegen vom Wahlrecht ausge
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schlossen, sondern lediglich in Folge ihrer Besitzverhältnisse, als Proletarier. Die Genossinnen kämpfen deshalb für das gleiche, allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht für alle mündigen Staatsglieder, ohne Unterschied des Geschlechts. In einer sehr gut besuchten Versammlung sprach Genossin Schlesinger über„ Das Wahlrecht für Land und Gemeinde und die weibliche Bevölkerung". Die Versammlung stimmte begeistert den Ausführungen der Rednerin und der Forde rung des Frauenwahlrechts zu. Auch die radikalen Frauenrechtlerinnen nahmen in einer imposanten Versammlung Stellung zur Frage der Wahlreform und forderten in Anschluß an ein Referat von Fräulein Fickert das Frauenwahlrecht zum Gemeinderath und Landtag. Der antisemitische Christliche Frauenbund" mit seinen 11 000 Mitgliedern steht dagegen der Frauen- Wahlrechtsbewegung gänzlich fern.
Eine Konferenz der Komites der FrauenstimmrechtsVereine, die unter dem Namen ,, National Union of Womans Suffrage Societies" vereinigt sind, tagte im März in London . Der Konferenz wohnten mehrere Parlamentarier bei; den Vorsitz führte Mr. Faithful Begg, ein bekannter Vorkämpfer für das Frauenwahlrecht, der den diesbezüglichen Antrag zu begründen hat, der demnächst im englischen Unterhause zur Verhandlung gelangen wird.
Ein Gesetzentwurf, den Frauen der Staaten Arizona und Oklahoma ( Vereinigte Staaten ) das volle Stimmrecht zu ge= währen, wurde im Unterhause mit großer Majorität angenommen. In beiden Staaten verwarf jedoch der Senat das Gesetz.
Das Frauenstimmrecht zu den Parlamentswahlen und zu den Kommunalwahlen in Massachusetts fordern zwei Gesetzentwürfe, die im Parlament des Staates eingebracht worden sind und im März verhandelt werden sollten. Ob das geschehen ist, und wie eventuell die entscheidende Abstimmung ausfiel, darüber liegen uns zur Zeit noch keine Nachrichten vor.
Das Stimmrecht der kalifornischen Frauen in Schulangelegenheiten ist durch Gesetz fürzlich eingeführt worden. Dr. David Stan Jordan, Rektor der Universität Stanford , und Dr. Martin Kellog, Rektor der Staatsuniversität Kalifornien , traten in einem offenen Schreiben sehr warm für die Annahme des Gesetzentwurfs ein. Ob sich wohl in Deutschland Universitätsrektoren von der gleichen Vorurtheilslosigkeit finden würden?
Ausdehnung des Stimmrechts auf die Frauen haben die gesetzgebenden Körperschaften des nordamerikanischen Staates Oregon . beschlossen. Im Parlament wurde der betreffende Antrag mit 48 gegen 6 Stimmen angenommen, im Senat mit 25 Stimmen gegen 1. Die Einführung des Stimmrechts der Frauen zu den Wahlen des Oberhauses von Süd- Australien hat die Regierung vorgeschlagen. Die Frauen dieser englischen Kolonie besitzen bekanntlich bereits das Wahlrecht für das Unterhaus, und allen vorliegenden Urtheilen nach hat sich die Einrichtung glänzend bewährt.
Frauenbewegung.
Die Betheiligung an dem Internationalen Frauenkongreß von London , der im Juni tagen soll, haben unsere österreichischen Genossinnen ebenfalls abgelehnt. Das sozialdemokratische Frauen- Reichskomite" war von dem österreichischen Frauenverein in Wien " aufgefordert worden, sich an einer Besprechung aller Frauenvereine zu betheiligen, die sich über eine gemeinsame Vertreterin verständigen sollten. Die Genossinnen haben die Betheiligung an der Besprechung und die Vertretung in London abgelehnt. Die Genossinnen Popp- Dworschat und Schlesinger, die wie die Genossinnen Braun und Zetkin vom Londoner Organisationskomite zur Betheiligung am Kongreß eingeladen worden waren, haben ebenfalls abgelehnt, der Einladung Folge zu leisten.
Mit der Frauenfrage beschäftigte sich die Freie kirchlichfoziale Konferenz", die am 11. April in Berlin zusammentrat. Zur Sache referirte Professor von Nathusius aus Greifswald , der seinen Ausführungen folgende Leitsätze zu Grunde legte:
1.„ Die Frauenfrage von heute hat ihren tiefsten Grund nicht in vorübergehenden Nothständen, sondern in der allgemeinen, schon vom Naturrecht aufgeworfenen Frage nach der Vernünftigkeit der geschichtlich gewordenen Beschränkungen der Freiheit des Einzelnen. 2. Der Standpunkt ist daher zu nehmen auf der von Gott ge= setten Ordnung des Frauenlebens. Dieselbe ist nur durch die heilige Schrift und die weibliche Natur selbst in ihren Grundlinien erkennbar. Ihnen hat sich die soziale Ordnung, soweit das in diesem unvollkommenen Leben überhaupt möglich ist, einzufügen. 3. Ent sprechend der körperlichen Beschaffenheit und Aufgabe der Frau, hat sie auch eine geistige von der männlichen verschiedene Anlage. Deren
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